»Der Geist der Hoffnung«: Atmosphäre der Hoffnung
Nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten sich zwei maßgebliche Strömungen der Philosophie heraus, die sich vor allem in ihrer Methodik massiv unterschieden. Einerseits setzte sich vor allem in England, den USA und Skandinavien die analytische Philosophie durch. Sprachphilosophie und formale Logik verbindend, stand sie metaphysischen Überlegungen skeptisch gegenüber, ja lehnte Metaphysik mitunter kategorisch ab. Etwa zur selben Zeit entwickelte sich ein ganzes Spektrum von Philosophien, die heute unter dem Begriff »Kontinentalphilosophie« zusammengefasst werden. Zu ihr rechnet man den Existenzialismus oder postmoderne Philosophen wie Jacques Derrida. Ihre Texte funktionieren oft assoziativ und generieren Bedeutung auch jenseits der Grenzen formaler Logik. Sie wurden mitunter als intellektuell und akademisch nutzlos eingestuft – was umso öfter geschah, je stärker die Geisteswissenschaften insgesamt unter Druck gerieten, sich methodisch an die Naturwissenschaften anzunähern und ihre Aussagen empirisch zu belegen.
Byung-Chul Han steht eher in der Tradition der Kontinentalphilosophie. Auch in »Der Geist der Hoffnung« widmet er sich Themen, die sich nicht unbedingt über das Sammeln von Daten erschließen. So hat sich die Welt laut Han in den letzten Jahren in einen dauerhaften Krisenmodus begeben, was Beispiele wie die Coronapandemie, die Klimakrise und auch die andauernden Kriege in verschiedenen Teilen der Welt belegen. Dadurch befinde sich die Menschheit zunehmend in einem Zustand des Überlebens – statt tatsächlich zu leben. Hans Lösung für dieses Problem lautet: Hoffnung.
Zu Beginn des Buchs befasst sich Han mit dem Wesen der Hoffnung. In den folgenden drei Kapiteln benennt er Lebensbereiche, in denen Hoffnung seines Erachtens wieder Einzug halten sollte. Das Werk beschließt ein Anmerkungs- und Bilderverzeichnis. Letzteres vermittelt Informationen zu den acht Bildern, die oft zwischen den Kapiteln in den Text eingewoben sind und von dem zeitgenössischen Künstler Anselm Kiefer stammen. Die großartigen Kunstwerke, die, wie für Kiefer typisch, Mischtechniken aus archaisierenden Materialien wie Holz, Metall oder Gegenständen wie Seilen verwenden, sind herausragend und werten das Buch ungemein auf. Sie vermitteln vor allem Atmosphäre und passen in ihrer chiffrierten Abstraktion sehr gut zum Stil Hans.
Wenn Freiheit zum Zwang wird
Dieser Stil, der am ehesten als metaphorisierend und assoziativ beschrieben werden kann, könnte für Leser, die im Sinne der analytischen Philosophie präzise Argumentationen und scharfe begriffliche Trennungen bevorzugen, eine Hürde darstellen. Wer also Sätze wie »[Die Hoffnung] hält auf das Ungeborene zu.« problematisch findet, wird sich mit »Der Geist der Hoffnung« schwer tun. Hans Stil erinnert streckenweise an Nietzsches Aphorismenwerke; er reiht viele prägnante Sätze aneinander, wobei sich bisweilen auch Widersprüche aufzutun scheinen. Einzelne Sätze wirken kryptisch und sind kaum für sich genommen zu verstehen. Der Leser sollte also ganze Abschnitte auf sich wirken lassen und dabei selbst frei und assoziativ den Gedanken des Autors folgen – wobei ein gewisser geistiger Abstand durchaus produktiv sein und Raum für eigene Ansätze schaffen kann. Zugleich bietet Hans Buch auch eine ganze Reihe treffender Beobachtungen über unsere Zeit. So beschreibt der Autor, wie eine maßlose Freiheit, wie sie in neoliberalen Gesellschaften herrscht, selbst in einen Zwang umschlagen kann: den Zwang, sich zu optimieren, kreativ zu sein oder etwas zu erreichen.
Um einzelne Gedanken eindringlicher zu gestalten, setzt der Verfasser immer wieder Wörter typografisch ab, vor allem durch Kursivierungen. Diese erfüllen meistens ihren Zweck, bisweilen verliert das Stilmittel allerdings etwas an Kraft, wenn etwa in fünf Zeilen genauso viele Wörter hervorgehoben sind.
»Der Geist der Hoffnung« ist ein außergewöhnliches Buch, das Menschen, die mit Hans besonderem Stil zurechtkommen, in eine Atmosphäre der Hoffnung entführen und tatsächlich etwas hoffnungsvoller zurücklassen kann.
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