Bunte Vielfalt
»Man liebt nur, was man kennt, und man schützt nur, was man liebt.« Auch wenn sich die Autoren des Werks »Die Flugbegleiter« nicht auf dieses Zitat von Konrad Lorenz berufen, agieren sie doch in dessen Sinn. In 41 kurzen und völlig unterschiedlichen Texten, die von Beobachtungen, Reportagen bis zu umweltpolitischen Essays reichen, teilen Journalisten ihr fundiertes Wissen über Vögel und ihre Begeisterung mit den Lesern – und regen diese zu aktivem Naturschutz an.
Einordnen und schützen
Auf den ersten Blick erscheinen die Einzelbeiträge, die in drei Kapitel gegliedert sind, wie ein willkürliches Themenpotpourri. Obwohl der Zusammenhang nicht immer gegeben ist, lassen sich die Texte dennoch stets gut lesen.
Im ersten Kapitel »Beobachten und Staunen« geht es zunächst um die »Allerweltsvögel« Amsel, Drossel, Fink und Star. Doch auch das intensive Beobachten von Altbekanntem kann immer wieder neue Erkenntnisse hervorbringen, wie der erste Beitrag zeigt. So nimmt man das Tschilpen der Spatzen oder die Koloraturen der Feldlerche auf einmal genauer wahr und sieht sie in einem neuen, sozial- oder umweltbezogenen Zusammenhang. »Das Gute am Vogelbeobachten ist, warten zu lernen« und damit vielleicht sogar »Wege aus dem Chaos im Kopf« zu finden: Naturbeobachtung als Medizin.
Es folgen Vorschläge, wie man sich Vogelstimmen merken kann, etwa indem man Vögel in Dur- oder Mollsänger einteilt oder ihren Gesang mit Wörtern beschreibt: Die Goldammer singt dann etwa »wie wie wie hab ich dich lieeb«. Allerdings funktionieren diese Merkhilfen hauptsächlich für ihre Erfinder, während sie für andere Beobachter nicht immer nachvollziehbar sind.
In einer »Liebeserklärung« an die Spatzen erfährt man viel über ihr Verhalten und ihre ausgeprägten Lernfähigkeiten. In einem anderen Beitrag spiegelt sich die Leidenschaft eines DJs für Vogelwelt und Naturschutz in seiner elektronischen Musik wider. Für ihn ist »Natur ein Schlüssel zum Glück, sie macht unabhängig von materialistischen Dingen«.
Wie leicht sich auch Jugendliche fürs Vogelbeobachten begeistern lassen, kann man beim »Young Birders Club« in Hamburg erleben. Die dem NABU angehörende Jugendorganisation ist eine schöne Widerlegung des Ornithologen-Klischees als »grauhaariger Mensch mit jahrzehntelanger Beobachtungserfahrung«. Zudem findet sich eine Anregung für Eltern, frühe Hinweise auf die Naturbegeisterung ihrer Kinder ernst zu nehmen und dabei vielleicht selbst Spaß am Beobachten zu gewinnen.
Der zweite Teil des Buchs heißt »Erforschen und entdecken«. Darin stellen die Autoren zunächst das internationale Projekt ICARUS vor, mit dem Wissenschaftler das Verhalten von Zugvögeln künftig aus dem Weltall beobachten wollen. Es soll unter anderem erklären, warum bei manchen Arten einige Vögel nach Süden ziehen, während andere im Brutgebiet bleiben.
Am Beispiel des Alexander-König-Museums in Bonn zeigt das Werk, wie wichtig wissenschaftliche Sammlungen sind. So konnten Forscher etwa anhand von mehr als 200 Jahre alten Vogelbälgen völlig neue Erkenntnisse für die Evolutionsforschung, die Genetik und Systematik erbringen.
Hoffnungsvoll stimmt ein Wiederansiedlungsprojekt für Bartgeier in Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz. Die in Zoos aufgezogenen Tiere wurden ausgewildert, wodurch es seit 20 Jahren wieder zu Wildbruten kommt. In Spanien und Portugal hat man hingegen herausgefunden, warum spanische Gänsegeier nicht nach Portugal fliegen, obwohl dort Futterangebot und Landschaft fast identisch sind: Die unterschiedliche Gesetzgebung hat dafür gesorgt, dass Hirten in Spanien tote Tiere liegen lassen, während man die Kadaver in Portugal aus Angst vor BSE verbrennen muss.
In einem anderen Beitrag erklären die Autoren, dass sich nicht nur Menschenaffen und andere Säugetiere von den Gefühlen ihrer Artgenossen anstecken lassen, sondern auch Vögel, etwa Raben und Papageien. In komplizierten Versuchsanordnungen haben Forscher zudem gezeigt, wie die Tiere ihre Artgenossen in bestimmten Situationen sogar austricksen.
»Federn für die Flugsicherheit«: Ein Labor für forensische Ornithologie am National Museum of Natural History in Washington, DC, bestimmt nach Kollisionen von Vögeln mit Flugzeugen anhand der Federüberreste die jeweilige Vogelart. Große Flughäfen beschäftigen inzwischen Wildbiologen, die versuchen, durch gezielte Maßnahmen wie Vogelmanagement und technische Hilfsmittel die Gefahren solcher Kollisionen zu mindern.
Der letzte Teil des Buchs »Gefahren erkennen, sich Sorgen machen« beginnt mit dem Beitrag »Das schleichende Vogelsterben«: Nicht nur der Welt-Biodiversitätsrat warnte schon im Jahr 2019, dass mehr als eine Million Arten von unserem Planeten verschwinden werden, wenn sich die Klima-, Umwelt- und Agrarpolitik nicht schnellstmöglich ändert. Auch der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) hat gemeinsam mit dem Bundesamt für Naturschutz und der Ländergemeinschaft der Vogelschutzwarten einen schleichenden Vogelschwund seit 2013 vermerkt. Mehr als 2500 Forscher aus allen EU-Mitgliedsstaaten wandten sich in einem Brandbrief an die Europäische Kommission und appellierten, ohne Verzögerung eine weit reichende, wissenschaftsbasierte Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) einzuleiten.
Eine Initiative (»Rotmilan – Land zum Leben«) will in Zusammenarbeit mit mehreren Dachverbänden die Lebensbedingungen des »heimlichen Wappenvogels Deutschlands« verbessern, da der durch konventionelle Landwirtschaft erzeugte Nahrungsmangel und die Gefährdung durch Windkraftanlagen die Populationen drastisch reduziert haben. Auch für die seltene Sumpfohreule und andere Vögel besteht Hoffnung, wenn Bauern mit Naturschützern zusammenarbeiten, damit man etwa ihre Wiesen vor der Mahd nach Gelegen absuchen kann.
»Flurbereicherung statt Flurbereinigung«: Die Renaturierung der Feuchtgebiete ist extrem wichtig. Das Naturschutzgebiet Dümmerniederung in Niedersachsen ist ein Paradebeispiel für langfristige, konstruktive und durch politische Entscheidungen beförderte Zusammenarbeit von Landwirten und Naturschützern zum Erhalt von Biodiversität.
Mit ihrem reichhaltigen Werk, das auf den ersten Blick unzusammenhängend wirkt, verdeutlichen die zehn Autoren, dass ebendiese Vielfalt nötig ist, um die Bedeutung von Klimaschutz und Biodiversität angemessen zu verstehen. Die Berichte über Naturschutz, Vogelwelt, ornithologische Forschung und Umweltpolitik sind dabei sehr informativ, auch wenn nicht alle Beiträge von gleicher argumentativer Qualität sind.
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