»Fünf unlösbare Rätsel der Mathematik«: Spannend und unterhaltsam, aber keine leichte Kost
Nach Pi und die Primzahlen und Gesichter der Mathematik ist nun (endlich wieder) ein Buch des (auch bei YouTube erfolgreichen) Autors Edmund Weitz erschienen, und zwar als preiswertes Taschenbuch.
Auch hier möchte der Professor für Mathematik und Informatik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg wieder für die Mathematik begeistern. Er möchte aufklären, womit sie sich beschäftigt, und unterhaltsam und anschaulich beschreiben, wie sie sich entwickelt hat, welche – aus mathematischer Sicht – existenziellen Schwierigkeiten in ihrer Geschichte auftraten und wie diese überwunden wurden.
Weitz (oder sein Verlag?) hat für diese Momente, die man durchaus auch »Sternstunden der Mathematik« nennen könnte, im Titel des Buchs die etwas irritierende Bezeichnung »unlösbare Rätsel« gewählt. Bei der Lektüre wird dann aber deutlich, was damit gemeint ist: Den Begriff »unlösbar« wählte der Autor, um die strukturelle Begrenztheit mathematischer Erkenntnismöglichkeiten und mathematischer Methoden zu betonen.
Im Einzelnen geht es um die Beantwortung von fünf Fragen, welche die Weiterentwicklung der Mathematik entscheidend beeinflusst haben: 1. Gibt es für beliebige geometrische Aufgabenstellungen eine geeignete Konstruktion mit Zirkel und (unmarkiertem) Lineal? 2. Lassen sich Lösungsverfahren für Gleichungen beliebigen Grades finden? 3. Kann man das Parallelenaxiom des Euklid aus seinen anderen vier Axiomen beweisen? 4. Lassen sich alle mathematischen Sätze beweisen? 5. Was ist unendlich?
Das erste Drittel des Buchs beschäftigt sich mit den drei klassischen »ungelösten« Problemen der Geometrie: dem Delischen Problem der Verdopplung eines Würfelvolumens, der Dreiteilung beliebiger Winkel und der Quadratur des Kreises.
Weitz entfaltet hier wieder seine großartige Fähigkeit, Fragestellungen spannend und verständlich zu vermitteln, insbesondere die grundsätzliche Frage zu klären, warum es Problemstellungen gibt, für die man keine geeignete Konstruktion finden kann – egal, wie lange man sucht. Seine Ausführungen zur für mathematische Laien so verblüffenden Einsicht, dass man die Unmöglichkeit einer Konstruktion beweisen kann, gehören zu den gelungenen Abschnitten des Buchs, die eher leicht zugänglich sind. Dabei fällt am Ende auch noch eine Antwort auf die Frage ab, welche regelmäßigen Vielecke sich mit Zirkel und Lineal konstruieren lassen. Spannend, unterhaltsam und wieder anekdotenreich sind die Weitz’schen Erzählungen über die beteiligten Mathematiker – wie etwa den zu Unrecht vergessenen Pierre Wantzel. Und wie schon in den »Gesichtern der Mathematik« bekommt auch diesmal wieder Ferdinand von Lindemann sein Fett weg.
Anders als in »Pi und die Primzahlen« finden sich die zahl- und hilfreichen Anmerkungen des Autors erfreulicherweise nicht erst am Ende des Buches, sondern wurden in grau unterlegten Kästen (»Wenn Sie es genau wissen wollen«) so in den laufenden Text eingefügt, dass man sie, je nach Bedarf, entweder gleich lesen oder bei der ersten Lektüre überspringen kann.
Im Unterschied zu den locker formulierten Anekdoten des Buchs sollte man sich für die Darstellungen mathematischer Zusammenhänge genügend Zeit nehmen. Dass etwa die Lösung der kubischen Gleichung 8x³–6x–1=0 zum Problem der Dreiteilung eines Winkels von 60 Grad gehört, ist laut Weitz »spätestens seit dem 17. Jahrhundert mathematisches Allgemeinwissen« – die Leser dürfen sich provoziert fühlen zu prüfen, warum das so ist.
Von Euklid bis zu Gödel – und darüber hinaus
Im zweiten Teil des Buchs, der etwa 50 Seiten umfasst, geht es bald um die Suche nach einer Lösungsformel für quintische Gleichungen, also Gleichungen fünften Grades. Nach den Entdeckungen von Tartaglia, Cardano und Ferrari für Gleichungen dritten und vierten Grades sowie dem pragmatischen Umgang von Bombelli mit komplexen Lösungen schien es nur eine Frage der Zeit, wann ein Lösungsverfahren für Gleichungen fünften Grades gefunden würde. Einfühlsam schildert Weitz hier das Schicksal des zu früh verstorbenen Genies Évariste Galois. Sein Beweis der Unmöglichkeit, eine allgemeine Lösungsformel aufzustellen, wurde erst Jahrzehnte nach dessen Tod verstanden und wird mit gutem Grund auch heute noch erst in den Vorlesungen für fortgeschrittene Semester behandelt. Gleichwohl gelingt es Weitz auf sehr anschauliche Weise, eine Idee davon zu vermitteln, an welcher Struktureigenschaft es letztlich scheitert, dass es prinzipiell keine allgemeine Lösungsformel geben kann.
Dass die Elemente des Euklid und die dort konsequent umgesetzte deduktive Methode der Mathematik die (europäische) Geschichte des Fachs geprägt haben, ist Thema zu Beginn des dritten Teils, der etwa 65 Seiten umfasst. Auch hier gelingt es Weitz wieder, die Entwicklung spannend darzustellen. So erzählt er, wie der Versuch, das scheinbar umständlich formulierte Parallelenaxiom zu ersetzen, »neue Welten« in der Geometrie erschloss und letztlich auch zu den Bemühungen führte, allgemeinere axiomatische Grundlagen zu finden. Weitz beschreibt anschaulich, wie der Hilbert’sche Spruch über »Tische, Stühle und Bierseidel« zu verstehen ist, und zeigt auf, wie Riemann die Werkzeuge für die Geometrie der Relativitätstheorie zur Verfügung stellte.
Auf den 40 Seiten des vierten Teils geht es zunächst um die Schwierigkeiten der Mathematiker, die von Newton und Leibniz begründete Infinitesimalrechnung auf ein sicheres Fundament zu stellen. Weitz legt gewohnt souverän dar, wie sich an der Frage »Wann ist ein Beweis tatsächlich ein Beweis?« die Geister schieden – der sogenannte Grundlagenstreit entzweite die Lager. Durch Gödels Unvollständigkeitssätze wurden die Einschränkungen hinsichtlich der Beweisbarkeit von mathematischen Sätzen offensichtlich. Weitz beendet den Abschnitt schließlich mit der für die mathematische Forschung beruhigenden Feststellung: »Die weitverbreitete Darstellung, aufgrund von Gödels Resultaten gebe es wahre mathematische Aussagen, die man niemals wird beweisen können, ist jedenfalls falsch. Die Frage nach der Wahrheit hat Hilbert nicht gestellt und Gödel nicht beantwortet.«
Die letzten 24 Seiten des Buchs widmet Weitz dem Mathematiker Cantor und der von diesem begründeten Mengenlehre, der Kontinuumshypothese und der Axiomatisierung dieses Teilgebiets der Mathematik. Den Abschluss bildet dann ein umfangreiches, mit kurzen Kommentaren versehenes Verzeichnis von Büchern, die zur Vertiefung einzelner Themen dienen können.
Das Buch wendet sich, wie der Verlagstext auf seiner Rückseite treffend beschreibt, an »alle, die gerne über grundlegende Fragen nachdenken und wissen wollen, wo die Grenzen unseres Wissens verlaufen.« So kann sein Erwerb allen an Mathematik Interessierten wärmstens empfohlen werden – nicht nur wegen des vergleichsweise niedrigen Kaufpreises. Es eignet sich insbesondere dazu, einen Blick über den Tellerrand der Schulmathematik zu werfen – etwa für (angehende) Abiturienten, die vor der Frage stehen, ob sie denn Mathematik studieren möchten.
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