»Hätte, hätte, Eimerkette«: Die Flut verstehen
Es ist ein Bild der Verwüstung: eingestürzte Brücken über einem reißenden Fluss, Autos liegen im Wasser, ein umgestürzter Baum hat ein Dach zerstört – und überall tragen Menschen mit Eimern Schlamm aus den Häusern. Schon das Cover des Bilderbuchs von Bille Weidenbach macht den Ernst der Lage klar. Und bildet damit einen augenfälligen Kontrast zu seinem Titel, der an einen netten Kinderreim erinnert. Auf den nächsten 32 Seiten erzählt die Illustratorin Vorschulkindern die Geschichte einer Katastrophe in einem hübschen Städtchen mit seinen menschlichen und tierischen Bewohnern. Die bunten Häuschen mit ihren Einblicken in ein sorgloses Leben, die angrenzenden sonnenbeschienenen Weizenfelder und die sanft geschwungenen Hügel in der Ferne bilden die »Heile Welt«-Kulisse für eine verheerende Folge des Klimawandels: ein Starkregenereignis mit Überflutung und Hochwasser.
Solch eine Katastrophe geschah in der Realität im Sommer 2021, als in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz 188 Menschen bei der »Jahrhundertflut« an den sonst harmlos dahinplätschernden Flüssen Erft und Ahr starben. Das Ahrtal ist auch Heimat und Wohnort der Illustratorin Bille Weidenbach. Ihre persönliche Betroffenheit und ihr Anliegen, schon kleinen Menschen ehrlich, kindgerecht und einfühlsam von den Auswirkungen des Klimawandels zu erzählen, merkt man ihrem Werk an. Unterstützt wird sie dabei vom bekannten Meteorologen Sven Plöger, der das Vorwort zu ihrem Buch geschrieben hat.
Die Geschichte setzt am Tag vor der Flut ein und folgt auf großen Doppelseiten der Chronologie der Ereignisse. Die Gattung Wimmelbuch mit ihren panoramaartigen Tableaus ist dafür besonders gut geeignet, hier lassen sich viele – teils auch parallel stattfindende – Geschehnisse auf einem Bild darstellen.
Am Anfang geht alles seinen Gang im idyllischen Städtchen am Fluss. Wir sehen Häuser, Geschäfte, junge und alte Menschen, lebendige Alltagsszenen auf Straßen und in Gärten. Für Kinder gibt es viel zu entdecken, zu suchen und zu finden – wie den kleinen Hund, der auf fast jeder Seite auftaucht. Das schärft den Blick, zieht die Kleinen regelrecht ins Geschehen hinein und sensibilisiert sie für die vielen Veränderungen der nächsten Stunden und Tage.
Bilder der Hoffnung
Dann kommt der große Regen. Und will gar nicht mehr aufhören. Bille Weidenbach zeichnet das nahende Unglück mit entsättigten Farben, färbt den Himmel blau-schwarz. Auf einmal geht alles rasend schnell: Der Fluss tritt über die Ufer, die Menschen bringen sich in Sicherheit, der Strom fällt aus. Abwechselnd sehen wir die Katastrophe, bei der Häuser und Stadt wortwörtlich im Chaos versenken, als Panorama oder herangezoomten Querschnitt eines Hauses. Die Bilder sind beklemmend und für ein Kinderbilderbuch erstaunlich ehrlich und realistisch.
Als das Wasser abfließt und eine zerstörte Stadt freilegt, mildert Weidenbach den Schrecken beim Betrachter schnell mit einer tröstlichen Wendung: Scharen von Helfern strömen von nah und fern herbei. Gemeinsam mit den Bewohnern bauen sie den Ort wieder auf und feiern am Ende ein großes Fest.
Wir sehen Bilder der Hoffnung, die Optimismus verströmen. Die Botschaft ist klar: Gemeinsamkeit macht stark – erst recht in der Krise. »Ein Bilderbuch von Flut, Mut und Wiedergut« lautet denn auch der Untertitel des Buches. Bille Weidenbach möchte mit dem aufmunternden Ende Kindern eine große Portion Zuversicht angesichts der Klimakrise mit auf den Weg geben. Und aufzeigen, dass ein sicheres Leben trotz Unwetterereignissen möglich ist, wenn Menschen bereit sind, sich an den Klimawandel anzupassen und die Weichen anders zu stellen. Auf den beiden Vorsatzseiten zeigt sie die kleine Stadt komplett monochrom – einmal vor und einmal nach der Katastrophe. An verschiedenen Stellen betonen farbig hervorgehobene Details mit Texttäfelchen, welche Fehler vor der Flut gemacht wurden: »Oberhalb des Tales sind nur Felder und keine Bäume, die Wasser speichern können« – und was die Bewohner am Ende gelernt haben: »Als Hochwasser-Schutz wurde ein Regenwasser-Rückhaltebecken angelegt.«
Kleine Kinder sollten das beeindruckende und lange nachhallende Wimmelbuch am besten gemeinsam mit Erwachsenen anschauen und so mit ihnen ins Gespräch kommen. Die Großen können dann Fragen beantworten und mit den Kleinen über das Geschehen und Gefühle wie Angst oder Mitgefühl reden. Ganz sicher lässt »Hätte, hätte, Eimerkette« am Ende aber auch Erwachsene nicht unberührt. Wie war das doch gleich mit der Botschaft? Gemeinsam sind wir einfach stärker.
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