»Himmel hilf!«: Die Geister, die wir riefen
Blut ist ein ganz besonderer Saft. Als ein Mörder 1755 in Dresden hingerichtet werden sollte, baten Mitglieder der Schneiderbrüderschaft die Obrigkeit um dessen Blut, um einen der ihren von der Epilepsie zu heilen. Die Therapie wurde gewährt und zeigte angeblich Erfolg. Man möchte den Kopf schütteln ob solchen Aberglaubens, doch Tillmann Bendikowski, Historiker und Journalist, rät zur Zurückhaltung. Denn, wie er überzeugend darlegt, magisches Denken ist nicht nur ein uraltes Phänomen, es ist auch heute noch quicklebendig.
So schmücken sich Tees und Tinkturen der Alternativmedizin mit dem Namen der berühmten Äbtissin Hildegard von Bingen. Die sicherlich die Klostermedizin vorantrieb, die aber auch gegen die Lepra eine Salbe empfahl, die aus der pulverisierten Leber eines Einhorns bestehen sollte. Sicherlich zeigten so manche mittelalterliche Rezepturen ihre Wirkung, Gleiches gilt für heutige homöopathische Arzneien, obwohl sie frei von Wirkstoffen sind. Allerdings verdanke sich diese Wirkung nicht magischer Zuschreibungen. Vielmehr greife, so der Autor, der Placeboeffekt, die Macht der Erwartung. Diese »war immer auch ein zentrales Element des magischen Denkens: die Vorstellung, dass Unerklärliches geschehen kann, wenn wundertätige, heilkundige Mitmenschen ihre geheimen Techniken anwenden – und dass Dinge geschehen, für die es in einem wissenschaftlichen Sinn keine Belege gibt«.
In Zeiten der Angst und einer überfordernden Wirklichkeit hat der Aberglaube Konjunktur. Mit oft dramatischen Folgen. So basierte die Vorstellung nationalsozialistischer Theoretiker, es gebe ein edles und ein unedles Blut – letzteres natürlich den Juden zu eigen – auf mittelalterlichen Konzepten. Auch heute beflügeln Verschwörungsmentalität und Aberglaube rechtsextreme Einstellungen.
Von angenehmem Gruseln und religiösem Glauben
Der Autor hat unzählige Quellen durchforstet, um eine möglichst umfassende Darstellung des Phänomens vorzulegen. Von spiritistischen Sitzungen ist die Rede, die Mitte des 19. Jahrhunderts in »besseren Kreisen« angenehmen Grusel boten, von der Bedeutung der Astrologie etwa für den Börsencrash 1927. Immer wieder nennt der Autor auch all jene, die gegen den Aberglauben zu Felde zogen, so etwa den »Klub der Dreizehn« Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin, der Vereinsabende gern an einem Freitag, den 13., veranstaltete; oder den katholischen Theologen Ferdinand Sterzinger, der im 18. Jahrhundert jeglichen Aberglauben bekämpfte, weil er »die himmlische Vorsehung negiere und magischen Dingen eine Kraft einräume, die sie nach den Gesetzen der Natur und göttlicher Ordnung nicht hätten«. Wobei es mit den Kirchen so eine Sache ist. Denn der Glaube an die Wiederauferstehung, eine Grundfeste des Christentums, beflügelte schon früh die Annahme einer Geisterwelt.
Bendikowski ist ein hochspannendes und fesselndes Buch gelungen, das irgendwann aber auch den Leser überfordert. Die Gliederung nach Oberbegriffen wie »Geisterglaube« oder »Hexerei« genügt nicht, die Fülle an Beispielen angemessen zu strukturieren. So bleibt der Eindruck einer überbordenden Fülle von Informationen, die nur in kleinen, freilich nicht homöopathischen Dosen zu verabreichen ist.
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