Klima: Die kleinste gemeinsame Katastrophe
Die Lage ist ernst: Ein Temperaturrekord jagt den nächsten, ausgedehnte Waldbrände in den hohen Breiten sorgen im Sommer für Schlagzeilen, das Ahrtal versinkt 2021 in den Fluten eines Starkregenereignisses. Zwar sind das einzelne Vorkommnisse, aber in der Summe wird klar: Der Klimawandel ist da, und die Folgen können verheerend sein. In den meisten Köpfen dürfte das inzwischen angekommen sein. Umso enttäuschender erscheinen mitunter die Maßnahmen – oder besser: Unterlassungen –, die Regierungen rund um den Globus beschließen, um der globalen Erwärmung Einhalt zu gebieten. So mag man berechtigte Zweifel haben, ob mit den Weichenstellungen von heute das 1,5-Grad-Limit noch einzuhalten ist.
Die Alarmglocken schrillen
Von diesen Zweifeln ist auch die Journalistin Sara Schurmann getrieben, die in ihrem Buch »Klartext Klima!« alle Alarmglocken schrillen lässt. Zu Recht. Nach allem, was wir wissen und was der Weltklimarat prognostiziert, steuern wir auf ein Desaster zu, bei dem von einem Klimawandel kaum mehr die Rede sein kann, weshalb man von einer Klimakatastrophe reden müsse, wenn dieser nicht gebremst werde, erklärt die Autorin. Es ist klar: Es müssen dringend einschneidendere Maßnahmen her – Fridays for Future bringen diese Forderung lautstark auf die Straße. Und selbst wenn das 1,5-Grad-Ziel eingehalten wird: Auch in diesem Fall ist mit Folgen zu rechnen. Die Grenze lässt sich nur als eine Verständigung auf die »kleinste gemeinsame Katastrophe« sehen. Das macht Schurmann in ihrem Buch sehr deutlich.
In vier Kapiteln stellt die Autorin dar, wie die aktuelle Lage ist, wie es dazu kommen konnte, welche Handlungen erforderlich sind und was wir tun können. So trägt sie eingangs Fakten über den Klimawandel zusammen, in denen sie die naturwissenschaftlichen Grundlagen beschreibt, Nichtlinearitäten des Klimasystems schildert und zweifelsfrei klarmacht, dass man den Ausstoß von Treibhausgasen radikal reduzieren muss. In den Folgekapiteln beschreibt sie unter anderem, wie Lobbypolitik in den vergangenen Jahren einen effektiven Klimaschutz verhindert hat, warnt, dass die sich zuspitzenden Krise jeden und jede betreffen wird, und räumt mit der Vorstellung auf, dass technische Lösungen allein einen Weg aus der Misere bieten könnten. In den letzten Kapiteln schließt sich dann der Kreis und Schurmann führt Maßnahmen an, die man nun dringend umsetzen müsse: unter anderem Emissionen reduzieren, eine wirkliche Verkehrswende und eine Agrarwende.
So richtig und wichtig diese Schritte sind, so sehr stellt sich beim Lesen doch ein doppeltes Déjà-vu-Gefühl ein: zum einen innerhalb des Buchs, wenn die Autorin am Ende Maßnahmen wie Emissionsreduktionen fordert, die sie bereits am Anfang des Buchs nennt. Zum anderen begegnen uns die Themen regelmäßig in fast allen Medien. Die Autorin vertritt die Meinung, dass die Klimathematik in den Redaktionen nur ein Thema von vielen sei, es mehr Expertise brauche und das Thema auch bei allen anderen Berichterstattungen mitbedacht werden müsse.
Aber ist dem nicht längst schon so? Zwei Wochen nach Erscheinen des Buchs setzt sich ein Leitartikel der »Zeit« mit den agrarischen Folgen des Kriegs in der Ukraine und CO2-Emissionen verschiedener Bewirtschaftungsformen auseinander; im Politikteil werden sieben aktuelle Krisen, vom Artensterben über die Pandemie und den Klimawandel bis zu Krieg und Flucht, gemeinsam besprochen. Zeitgleich findet sich bei »Focus Online« ein Doppelinterview so gegensätzlicher Charaktere wie Formel-1-Pilot Sebastian Vettel und Klima-Aktivistin Luisa Neubauer zur Klimakrise. »FAZ Online« arbeitet das Karlsruher Klimaurteil des Jahres 2021 auf. und selbst »Bild« hat eine Themenseite zum Klimawandel. Schaut man ins Ausland, findet man einen Artikel auf »Al Jazeera«, der beschreibt, wie der Krieg in der Ukraine den Klimanotstand am Horn von Afrika beschleunigt. Die Aussage, die Klimathematik werde mit den anderen Nachrichtenthemen nicht hinreichend gemeinsam bedacht, ist kaum wirklich haltbar.
Dass die im Buch besprochenen Aspekte mehrmals auftauchen, schmälert allerdings nicht die Qualität des Werks – sein Wert liegt sicher in der kompakten, gut verständlichen und sehr eindringlichen Zusammenstellung der überzeugend vorgebrachten Fakten. Es bleibt zu hoffen, dass es auch einen Leserkreis erreicht, der die Debatte bisher eher als ein Thema von vielen wahrgenommen hat, denn viel Zeit zum Handeln bleibt nicht mehr.
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