»Mathe fürs Leben«: Mit Schokolinsen Statistik lernen
In der Oberstufe hatte ich oft schlechte Noten in Mathematik. Dennoch gab mein Mathelehrer die Hoffnung nie auf, mir und anderen Matheangsthasen die Schönheit der Mathematik und ihre Relevanz fürs Leben vermitteln zu können. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit standen nur leider ein staubtrockenes Mathebuch und ein Lehrplan von vorgestern.
Jahrzehnte später hat die Mathematik bei vielen Schülern immer noch einen schlechten Ruf. Auch in Edward van de Vendels erzählendem Kindersachbuch fragen sich die Schüler einer fünften Klasse, wofür Mathe eigentlich gut ist. Fedor, Estelle, Nille, Mick und all die anderen finden ihr Mathebuch blöd und langweilig. Das Urteil: zu viele Zahlentabellen, zu lange Texte und viel zu wenig Bezug zum Alltag. Das sehen die Mathelehrer Herr Sanders und Frau Verbeek ähnlich. Am liebsten würden die beiden die Mathebücher Seite für Seite im Klo versenken. Dass ein Schüler zufällig Ohrenzeuge ihres Frustgesprächs wird, hatten die beiden nicht auf der Rechnung.
Danach nimmt die Rechenrebellion der Kinder Fahrt auf. Sie wollen nicht mehr wie bisher mit dem doofen Buch lernen und bringen die Lehrer zum Nachdenken. Bald ist ein Kompromiss gefunden: Die Klasse bearbeitet das Mathebuch nur zur Hälfte. Die andere Hälfte der Aufgaben steuern die Kinder selbst bei, indem jedes von ihnen seiner Klasse eine schwierige Mathefrage aus dem echten Leben stellt. In 22 Wochen sollen gemeinsam 22 Fragen beantwortet werden. Das macht richtig Spaß, ist manchmal aber auch anstrengend: Wie findet man bloß Antworten auf Fragen wie »Was ist die letzte Zahl?« – »Kann man in Tränen baden?« und »Wenn wir Menschen ameisenstark wären, was könnten wir dann tragen?«. Von leicht bis kompliziert, von einfachen Rechenaufgaben bis hin zu Experimenten zum Thema Statistik beschreiten Schüler und Lehrer gemeinsam die Lösungswege – neugierig, lustvoll und anschaulich.
Spannende Fragen und einfallsreiche Antworten
Anschaulich, lustvoll und Neugier entfachend: Das trifft auch auf den Inhalt und die Gestaltung von »Mathe fürs Leben« zu. Kein Wunder: Wissen doch der preisgekrönte niederländische Autor Edward van de Vendel und die Mathematikerin und Professorin für Wissenschaftskommunikation Ionica Smeets sehr genau, wie man Know-how kindgerecht vermittelt: mit einer abwechslungsreichen Mischung aus erzählenden Passagen, in denen die Erwachsenen den Kindern auf Augenhöhe begegnen; mit interessanten Fragen und Antworten; und mit Theorien und Erklärungen im Comicstil und jeder Menge Humor. Für Letzteren sorgt vor allem der Comiczeichner Floor de Goede mit präzisem Strich, pointiert charakterisierten Figuren und panelartigen Szenen. Die garantieren, dass auch die Schaulust nicht auf der Strecke bleibt und Matheregeln leichter nachvollziehbar sind. Die einzelnen Kapitel sind in sich abgeschlossen, gut strukturiert und stellen jeweils ein Kind mit seiner Frage in den Mittelpunkt. Die letzte Kapitelseite trägt stets den Titel »Später« und kommentiert den zuvor verhandelten Inhalt oder erweitert ihn um einzelne Aspekte – mit Erkenntnisgewinn.
Kinder können das Buch allein lesen, gemeinsam mit Erwachsenen durchblättern oder sich vorlesen lassen. Dabei miteinander ins Gespräch zu kommen und zu bleiben, erleichtert das Buch, indem es immer wieder aufs Neue Fragen stellt und reflektiert und so dazu einlädt, die Themen im Dialog weiterzuentwickeln. So transportiert es nicht nur Wissen, sondern regt auch zum kritischen Denken und zum unerschrockenen Umgang mit Zahlen an – und bietet sogar Exkurse in andere Fächer wie die Philosophie. So führt Romans Frage »Wie werde ich reich?« nicht nur zu Rechenexempeln mit verschiedenen Geldanlagen, sondern auch zum Nachdenken über Reichtum oder zu Ideen, was die Kinder mit viel Geld machen würden.
Immer wieder schlägt das Buch auch die Brücke von der Theorie zum ganzheitlichen Lernen mit Hirn und Hand: Die meisten Lösungen und Antworten auf die Mathefragen der Kinder lassen sich ausprobieren oder spielerisch nachvollziehen – wie das Experimentieren mit »M&M‘s« beim Thema Wahrscheinlichkeitsrechnung. Ganz ehrlich: Ich hätte nicht gedacht, dass ein Buch mit dem Titel »Mathe fürs Leben« so unterhaltsam sein kann und derart gut im Alltag verankert ist. Mein Erkenntnisgewinn: Die Mathematik macht unsere chaotische Welt zumindest ein bisschen beherrschbarer. Meinem Mathelehrer hätte das sicher gefallen.
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