Schlau ohne Bart
Stellen Sie sich einen Philosophen vor. Haben Sie an einen alten Mann mit grauem Bart gedacht? Das ist nicht nur ein Klischee, sondern spiegelt sich auch in der Literatur wider, stellten Rebecca Buxton und Lisa Whiting fest. Buxton forscht zu politischer Philosophie an der University of Oxford, Whiting ist Politikwissenschaftlerin. Sie stießen in den Standardwerken der Philosophie auf kaum oder gar keine Frauen. Mit ihrem Buch haben Buxton und Whiting ein Gegenbild gezeichnet. Denn es gibt und gab sehr wohl Philosophinnen, auch wenn sie noch immer nicht die gleiche Anerkennung wie ihre männlichen Kollegen erfahren.
Auch die 20 Porträts der im Werk versammelten großen Denkerinnen haben Frauen geschrieben. Chronologisch, von der Antike bis heute, stellen sie Philosophinnen vor. Darunter sind bekannte Namen wie Hannah Arendt, Simone de Beauvoir und Angela Davis. Neben großen westlich geprägten Denkerinnen erfährt man aber auch etwas über philosophische Strömungen aus anderen Kulturen, etwa über die Intellektuelle Ban Zhao aus der chinesischen Antike, oder über moderne Philosophinnen wie Sophie Bosede Oluwole, eine Vertreterin der nigerianischen Yoruba-Philosophie.
Die Mischung von Epochen, Kulturen, Denkrichtungen und auch Milieus, aus denen die Philosophinnen stammen, macht die Textsammlung lebendig. Dazu passt, dass die Autorinnen der Porträts – oft selbst Universitätsdozentinnen − ganz verschieden schreiben. Manche Texte gehen detailliert auf den Lebensweg ein, andere legen den Schwerpunkt auf Theorien und Denkschulen. Die Sammlung wird dadurch bunt und leuchtend wie das Buchcover.
Klempnerin gesellschaftlicher Missstände
Welche Funktion hat Philosophie? Im Beitrag zu der 2018 verstorbenen Ethikerin Mary Midgley findet man dazu eine überraschend alltagsnahe Antwort. Sie verglich in einem ihrer Bücher die Philosophie mit dem Wasserleitungssystem. Beides seien unverzichtbare Strukturen. Gerade wenn Missstände deutlich werden, sei es die Aufgabe des Philosophen, wie ein Klempner den Fußboden aufzureißen und zu Grunde liegende, fehlerhafte Konzepte aufzuspüren.
Aus dieser Perspektive ist einleuchtend, warum gerade Frauen einen so wichtigen Beitrag in der Philosophie leisten. Für einige der vorgestellten Philosophinnen scheint das Schreiben und Denken ein Weg zu sein, sich Freiheiten zu verschaffen, die ihnen versagt waren. Sie litten unter gesellschaftlichen Missständen, viele versuchten, diese zu benennen und zu verändern. Schon der Zugang zu Bildung war für die Mehrzahl der Frauen im Buch schwierig. Und auch wenn sie es an die Universität schafften, fand ihre Arbeit in vielen Fällen kaum Anerkennung. So ist beispielsweise unumstritten, dass Edith Stein maßgeblich am Buch »Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins« mitgearbeitet hat. Dort werden allerdings Edmund Husserl als Autor und Martin Heidegger als Herausgeber genannt. Stein wird zwar erwähnt, ihr Beitrag aber auf das »stenografische Konzept« reduziert. Dass sie die ihr gebührende Würdigung erhält, ist nur eines der Ziele, die Rebecca Buxton und Lisa Whiting mit ihrem Buch erreichen möchten.
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