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»The Internet of Animals«: Jedem einzelnen Tier eine Stimme geben

Das Projekt ICARUS ermöglicht die globale Beobachtung von Tieren aus dem Weltall. Martin Wikelski erzählt von dessen Entwicklung und seiner Bedeutung für Tier und Mensch.
Icarus wird montiert

Die »größte Überraschung in seiner Laufbahn als Biologe« erlebte Martin Wikelski im Golf von Mexiko. Nach einer Fahrt aufs offene Meer entdeckte sein Team eine große Gruppe von Walhaien. Die Begeisterung ob der Sichtung dieser größten Fische der Welt war riesig, doch dann stahl ein kleiner Singvogel ihnen die Show: ein Pieperwaldsänger, der auf seinem Flug von den USA übers Meer nach Süden war. Der Vogel landete auf dem Wasser und Wikelski dachte, er müsste völlig entkräftet sein und im Meer verenden – doch der kleine Vogel flog wieder auf und setzte seinen Weg Richtung Süden fort. Wikelskis Überzeugung, dass Singvögel nie auf dem offenen Meer landen, sei von diesem kleinen Vogel über Bord geworfen worden. »Wir mussten alles infrage stellen, was wir vom Vogelzug über natürliche Hindernisse hinweg zu wissen glaubten.« Und er schloss daraus: »Wir sollten jedem einzelnen dieser Tiere eine Stimme geben.«

In seinem Buch »The Internet of Animals« erzählt der Direktor der Abteilung für Tierwanderungen am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und Honorarprofessor an der Universität Konstanz von vielen solcher Erlebnisse mit Tieren in freier Wildbahn, die ihn immer wieder zu überraschenden Erkenntnissen brachten. Einen großen Raum nimmt dabei die Entwicklung von ICARUS  – »International Cooperation for Animal Research Using Space« – ein. Wikelski hat dieses weltraumbasierte Tierbeobachtungssystem initiiert und mit internationalen Partnern vorangetrieben; heute ist er dessen Leiter.

Auf einer kleinen Insel in Panama wollten er und sein Team Ende der 1990er Jahre unter anderem Agutis und Ozelote mit einem Radiotelemetriesystem ununterbrochen beobachten. Allerdings waren sie von falschen Voraussetzungen ausgegangen: Denn viele Tiere blieben nicht auf der Insel, sondern verließen sie immer wieder – die Insel entpuppte sich als Knotenpunkt eines großen Reisenetzwerks und nicht als isoliertes Universum. Diese Erkenntnis bildete den »Grundstein« zum Aufbau von ICARUS. Und als »Sputnik-Moment« bezeichnet Wikelski ein Erlebnis 2001 in Panama, als er mit Freunden Nachtschmetterlinge beobachtete, die bei Tag in Massen nach Süden flogen. Aber wohin genau? Wie oft machen sie diese Wanderung? Immer tagsüber oder auch nachts? Diese unbeantworteten Fragen sind typisch für viele Migrationssysteme und führten zur Einsicht: »Tierökologen denken zu kleinteilig und vernetzen sich nicht global. Ein eigenes satellitengestütztes System zur Tierbeobachtung muss her.« Die Internationale Raumstation (ISS) schien den Wissenschaftlern der geeignete Ort für ein solches System.

Rückschläge und ein Neustart

Aus vier Jahren der geplanten Umsetzung wurden 20 Jahre: Immer wieder gab es Enttäuschungen, Fallstricke und Rückschläge – vor allem in der Zusammenarbeit mit Roskosmos, der Weltraumorganisation der Russischen Föderation. Wikelski berichtet von schwierigen Materialtransporten nach Russland und von Erlebnissen im »Nirgendwo«, dem Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan, von wo aus die ICARUS-Teile zur ISS geschickt werden sollten. Erst im März 2020 nahm ICARUS den Betrieb auf, nahezu zeitgleich mit dem Beginn der Corona-Pandemie. Die ersten Projekte wurden vorbereitet, bis Ende Februar 2022 Putins Truppen in die Ukraine einmarschierten. Alle Weltraumprojekte unter Beteiligung von Deutschland und Russland wurden auf Eis gelegt – ICARUS auf der ISS wurde funktionsunfähig.

Doch es sollte nicht das Ende sein, erklärt der Autor: Ein neues System kann auf einem eigenen Kleinsatelliten untergebracht werden, ICARUS-CubeSat wird entwickelt. Ende 2024 soll er in eine erdnahe Umlaufbahn geschickt werden, zwei weitere sollen folgen.

Inzwischen wurden immer leistungsfähigere Tracker entwickelt, mit kleineren und leichteren Sendern, mit Sensoren zum Beispiel für Körpertemperatur, Herz- und Atemfrequenz. Doch wie und wo diese befestigen? Anschaulich erzählt Wikelski vom Anbringen solcher »Wearables for Wildlife« an verschiedenen Tieren: an den Ohren von Giraffen, an Amseln – in Form von »Stringtangas« – und sogar an Libellen.

Doch welchen Nutzen hat die Beobachtung von Tieren aus dem All? Wikelski ist überzeugt, dass sie nicht nur für die Verhaltensforschung sowie den Tier- und Naturschutz sinnvoll ist, sondern auch wir Menschen vom Verhalten der Tiere lernen und profitieren könnten. Beispielsweise könnte die Überwachung von Wanderbewegungen wilder Wasservögel und möglichen Kontakten mit Nutztieren dabei helfen, Ausbrüche der Vogelgrippe einzuschätzen.

Am Ende des Buchs beschreibt Wikelski seine Vision von einem »Internet der Tiere«, das durch eine »große Zahl lebender Netzknoten« gebildet wird – so könnten wir die »Weisheit der Tiere« nutzen. Er stellt sich eine Art »Wettervorhersage« für die Erde vor: »Weißstörche und Schwarzmilane haben im Südwesten des Tschad einen Schwarm von Wüstenheuschrecken entdeckt … Seeadler und Stachelschweine rund um den Vulkan Korjakskaja Sopka zeigen ungewöhnliche Unruhe. Dort müssen wir wohl mit einem größeren Vulkanausbruch rechnen …« Diesem optimistischen Blick auf eine »glänzende Zukunft« kann sich vielleicht nicht jeder Leser anschließen.

Martin Wikelskis »The Internet of Animals« ist ein lesenswertes populärwissenschaftliches Buch. Der Verhaltensbiologe beschreibt ausführlich und spannend die langwierige Entwicklung des Projekts ICARUS, erzählt aber auch mit großer Begeisterung von zahlreichen überraschenden Tierbegegnungen, die ihn zu seiner Vision des Internets der Tiere geführt haben.

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