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Ein Plädoyer für Hans Huckebein

"Hier sieht man Fritz, den muntern Knaben,
Nebst Huckebein, dem jungen Raben.
Und dieser Fritz, wie alle Knaben,
Will einen Raben gerne haben."


Schon Wilhelm Busch verweist in seiner 1867 entstandenen Lausbubengeschichte um den Raben Hans Huckebein auf die von den schwarz gefiederten Vögeln ausgehende Faszination. Auch Josef Reichholfs Buch "Rabenschwarze Intelligenz. Was wir von Krähen lernen können" – das im Übrigen am Anfang jedes Großkapitels Zeichnungen aus dem gereimten Busch-Werk enthält – zeigt deutlich die Sympathie des Autors für die Rabenvögel und kommt zudem oftmals lausbubenhaft und anekdotisch daher.

Reichholf, seit 1974 Leiter der Sektion Ornithologie der Zoologischen Staatssammlung in München und umtriebiger Gastdozent, hat eine persönliche Annäherung an das Thema seines Buches gewählt. Bereits im Vorwort beschreibt er das Aufziehen einer Dohle als Zehnjähriger in seiner niederbayerischen Heimat gleichsam als Initialzündung seines ornithologischen Interesses. Darauf werden in sechs Kapiteln auf insgesamt knapp 250 Seiten Herkunft, Biologie und der aktuelle Status von Krähe und Co vorgestellt.

Zunächst gibt Reichholf einen taxonomischen Überblick über die zu den Singvögeln zählenden Raben- beziehungsweise Krähenvögel (beide Bezeichnungen sind für die Familie der Corvidae zulässig): von der nur 200 Gramm schweren Dohle über die weiß getupften Tannenhäher bis zum bussardgroßen Kolkraben mit 1,5 Metern Flügelspannweite, der als Nahrung dienende Tierkadaver sogar gegen Wölfe zu verteidigen vermag. In diesem recht informativen und interessanten Kapitel geht der Autor auch kurz auf die durchaus große Intelligenz der Rabenvögel ein, handelt dies jedoch mit oberflächlichen, teils anekdotischen Vergleichen zu Hund, Wal und Affe ab.

Im nächsten Kapitel werden persönliche Erlebnisse mit der Rabenkrähe Tommy und dem Kolkraben Mao geschildert. Diese Abschnitte erinnern in Teilen an die malerischen Geschichten des britischen Zoologen und Autors Gerald Durrell in "Ein Koffer voller Tiere" und sind oft humorvoll geschrieben, vom Informationsgehalt her allerdings eher dünn. Wenn es um den Kolkraben Mao geht, werden zwar auch zunehmend wissenschaftliche Fakten einbezogen (etwa zur so genannten Theory of Mind, der Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen), eine detaillierte Analyse der Themen bleibt jedoch aus.

Im Anschluss stellt Reichholf das Leben so genannter Landkrähen dem von Stadtkrähen gegenüber. Dabei geht er ausführlich auf die unterschiedlichen Lebensbedingungen der Vögel und deren Veränderung über die Zeit ein. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Thema der Jagd- und Regulierungsbestimmungen (etwa Massenabschuss von Krähen als Räuber von Singvogelgelegen und Niederwild). In diesen Passagen bringt Reichholf klar seine Wertschätzung für die Rabenvögel und seine Kritik an der Sinnlosigkeit und Borniertheit bestimmter forstlicher Maßnahmen und behördlicher Regelungen zum Ausdruck. Insgesamt fallen die Darstellungen jedoch etwas zu ausführlich aus und dürften vor allem an Jagdpolitik interessierte Leser ansprechen.

Im vorletzten Kapitel geht es dann explizit um die Intelligenz der Krähenvögel. Nach der Darstellung eigener Beobachtungen verlässt das Buch einmal den niederbayerischen Rahmen, und der Autor widmet sich einigen internationalen Studien und Forschergruppen: nussknackende Krähen in Tokio oder neukaledonische Krähen, die sich selbst Werkzeuge herstellen und diese zur Futtergewinnung nutzen. Abschließend geht Reichholf auf die Rolle der Rabenvögel in der Mythologie und in der Alltagssprache ein: von den Kolkraben Hugin und Munin – Botschafter des Germanengottes Odin – bis zu in der Bibel erwähnten Raben, von den Rabeneltern bis zur Krähe, die der anderen kein Auge aushackt.

Naturwissenschaftlich kompetenten Lesern wird unter Umständen die teils volkstümliche Sichtweise und einfache Interpretation ökologischer Zusammenhänge und verhaltensbiologischer Beobachtungen negativ auffallen. Eine Reihe von Begründungen basieren auf einzelnen, persönlichen Erlebnissen, niederbayerischen Anekdoten aus den 1950er und 1960er Jahren des vorherigen Jahrhunderts, und sind damit wissenschaftlich nicht sonderlich robust. Darüber hinaus sind Titel und Umschlagtext irreführend. Insgesamt geht es in Reichholfs Buch wenig um die Intelligenz – die kognitiven Fähigkeiten – der Rabenvögel, sondern mehr um ihre Ökologie, und auf aktuelle internationale Literatur zum Thema Kognition, die umfassend und vielfältig ist, geht der Autor nur peripher ein.

Letztendlich muss ihm allerdings zu Gute gehalten werden, dass er genau dies in einem "Ausblick" am Ende des Buches selbst einräumt: "Was möchte ich mit diesem Buch bezwecken?" fragt er dort, um sich sogleich selbst die Antwort zu geben. Das Buch sei ursprünglich als Zusammenfassung von Erlebnissen mit Krähe und Co konzipiert worden, beim Schreiben habe sich dann als zweite Säule die Problematik des menschlichen Umgangs mit den Vögeln aufgedrängt. Um die rabenschwarze Intelligenz geht es also nur am Rande. Das Buch eignet sich daher wohl am besten für Leser mit geringen biologischen Vorkenntnissen, die einen persönlich gefärbten, gut lesbaren allgemeinen Einblick in das Leben der Krähenvögel schätzen – also auch für solche, deren entsprechendes Wissen bislang auf der Bildergeschichte von Hans Huckebein basierte.

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