Serie: Halluzinogene: DMT – Das stärkste Psychedelikum der Welt
Geschichte
1858 berichtete der ecuadorianische Geograf Manuel Villavicencio von einem »Zaubertrank«: Indigene Völker des Amazonasregenwalds nahmen einen Tee namens Ayahuasca zu sich. Der Tee würde aus einer Liane gebraut und sollte dem Trinker helfen, Antworten auf schwierige Fragen zu finden. Er könnte etwa die Pläne eines Feindes durchschauen oder die Ursache einer Erkrankung finden.
Heute wissen wir, dass Ayahuasca den psychedelischen Wirkstoff DMT (N,N-Dimethyltryptamin) enthält. Der Stoff hielt Wissenschaftler mehr als 100 Jahre lang zum Narren. Bereits 1851 identifizierte der britische Botaniker Richard Spruce Banisteriopsis caapi als »die Liane« des Tees. Seine Aufzeichnungen wurden jedoch erst 57 Jahre später veröffentlicht.
In verschiedenen Ländern und Stämmen des südamerikanischen Kontinents entdeckten westliche Botaniker zudem zwei weitere Tees, Caapi und Yajé, die ähnlich wie Ayahuasca zu wirken schienen. Weder für Ayahuasca, Caapi noch Yajé gab es allerdings ein festes Rezept. Die Stammesmitglieder brühten unterschiedliche Pflanzen für den Sud auf. Caapi und Yajé enthielten oft nicht nur B. caapi.
Jahrzehntelang durchkämmten Ethnobotaniker den Amazonasregenwald auf der Suche nach dem psychedelischen Wirkstoff. Derweil synthetisierte der kanadische Chemiker Richard Manske DMT zum ersten Mal im Jahr 1931. Er hatte jedoch keine Ahnung von dessen magischen Kräften, und die Substanz geriet in Vergessenheit.
Die Samen des südamerikanischen Baums Piptadenia peregrina verhalfen der psychedelischen Forschung schließlich zu einem ersten Durchbruch. Indigene Völker schnupften die Samen etwa in Initiationsritualen. 1955 gelang es den drei Wissenschaftlern Fish, Horning und Johnson, das Molekül DMT aus den Samen und Hülsenfrüchten des Baums zu isolieren.
Trotzdem war die Verwirrung weiterhin groß. Unzählige Botaniker und Chemiker isolierten ständig neue Wirkstoffe aus den psychedelischen Tees. Sie gaben ihnen Namen wie Nigeriana, Telepathine, Yajeine, Yajeinine, Banisterine oder Harmine. Einige davon beschrieben ein und denselben Stoff. Es dauerte eine Weile, bis der Wissenschaftswelt bewusst wurde, dass für Ayahuasca, Yajé und Caapi immer eine DMT-haltige Pflanze zusammen mit einer weiteren Pflanze in den Kochtopf kommt.
Inzwischen haben Forscher DMT in mindestens 50 verschiedenen Pflanzen aus zehn verschiedenen Familien entdeckt
Die entscheidende Hilfe kam zunächst aus Ungarn. Der Chemiker Stephen Szara extrahierte in den 1950er Jahren DMT aus der Pflanze Mimosa hostilis. Anschließend injizierte er sich das Molekül in verschiedenen Dosen. Die halluzinogenen Effekte von DMT beschrieb Szara dann in einer wissenschaftlichen Publikation. Dabei hatte er ursprünglich gar nicht mit DMT experimentieren wollen, sondern mit LSD. Der Schweizer LSD-Hersteller Sandoz weigerte sich jedoch, die Substanz in ein kommunistisches Land zu liefern.
Den Medizinern Bo Holmstedt und Jan-Erik Lindgren fiel auf Szaras Entdeckung hin auf, dass fast alle »Zaubertränke« neben DMT so genannte Beta-Carboline enthielten. Sie stellten 1976 die Hypothese auf, dass DMT ohne diese Alkaloide gar keinen halluzinogenen Effekt hat, wenn man es oral zu sich nimmt. Das liege daran, dass das Enzym Monoaminooxidase (MAO) das DMT sofort abbauen würde, bevor es die Blut-Hirn-Schranke durchdringt. Beta-Carboline hemmen genau dieses Enzym. Raucht oder injiziert man DMT, erreicht die Droge jedoch direkt die Blutbahn und erzielt trotz fehlender Beta-Carboline den gewünschten Effekt im Gehirn. Zahlreiche Experimente haben diese Vermutung seitdem bestätigt.
Inzwischen haben Forscher DMT in mindestens 50 verschiedenen Pflanzen aus zehn verschiedenen Familien entdeckt. In Deutschland findet man den Wirkstoff beispielsweise im Rohrglanzgras.
Verbreitung
Die Tradition, DMT-Pflanzen zu konsumieren, ist alt. Archäologen fanden Schnupfzubehör und Spuren von DMT etwa in nordchilenischen Grabanlagen, die sie auf das 8. Jahrhundert datierten.
Noch immer wird Ayahuasca in Ritualen eingenommen, die von Schamanen oder Therapeuten geleitet werden. Zudem haben sich in Brasilien im letzten Jahrhundert so genannte Ayahuasca-Kirchen entwickelt, in denen die Substanz regelmäßig als Sakrament zum Einsatz kommt. Eine dieser Religionen, Santo Daime, breitete sich in den 1990er Jahren weltweit aus.
Ayahuasca und DMT sind lange nicht so beliebt wie andere Drogen
In den USA wurde DMT vor allem durch Terence McKenna bekannt. McKenna hatte einen Abschluss in Ökologie und Schamanismus und reiste oft in das Amazonasgebiet, um Pflanzen mit psychoaktiven Wirkstoffen zu sammeln und sie zu Hause zu züchten. Er warb in den 1980er Jahren öffentlich viel für bewusstseinserweiternde Drogen, sprach sich jedoch für einen verantwortlichen Umgang mit ihnen aus.
Ayahuasca und DMT sind lange nicht so beliebt wie andere Drogen: Nur zwei Prozent der 115 000 weltweit befragten Teilnehmer der Global Drug Survey 2017 gaben an, die Rauschmittel im Jahr zuvor konsumiert zu haben. Dagegen berichteten etwa 60 Prozent der Befragten, Cannabis zu sich genommen zu haben, sowie elf Prozent von LSD und zehn Prozent von »magic mushrooms«.
Viele Touristen strömen in den Dschungel Südamerikas, um dort an einer Ayahuasca-Zeremonie teilzunehmen. Eine Hochburg für Ayahuasca-Touristen ist die peruanische Stadt Iquitos geworden, die sich mitten im Amazonasregenwald befindet. Auch in Europa finden Ayahuasca-Zeremonien statt – jedoch nicht immer legal.
Pures DMT ist in fast allen Ländern strikt verboten. In Deutschland etwa wird jeglicher Umgang mit DMT strafrechtlich verfolgt. In den Niederlanden wird der Konsum von Ayahuasca dagegen geduldet, solange er in einem religiösen oder spirituellen Kontext stattfindet.
Wirkung
Nimmt man DMT intravenös zu sich oder inhaliert es, ist die Reaktion heftig, aber mit 15 bis 30 Minuten von kurzer Dauer. Wegen dieser »effizienten« Wirkung bekam DMT in den 1960er Jahren den Spitznamen »businessman's trip«. Wird DMT in einem traditionellen Gebräu getrunken, dauert der Rausch – abhängig von der Dosis – drei bis acht Stunden.
Konsumenten berichten von synästhetischen Erfahrungen und lebendigen visuellen Halluzinationen
Das Molekül DMT gehört genau wie Psilocybin und LSD sowie der Neurotransmitter Serotonin zu den Tryptaminen. DMT ist dem Serotonin ähnlich und dockt hauptsächlich an einen bestimmten Serotoninrezeptor an. Dort sorgt es für die Ausschüttung von Serotonin, das Halluzinationen auslöst. Die psychoaktiven Effekte werden viel intensiver empfunden als bei Psilocybin, LSD oder Ketamin.
Konsumenten berichten von synästhetischen Erfahrungen und lebendigen visuellen Halluzinationen. Bei höheren Dosen sehen sie sich schnell bewegende, mehrdimensionale kaleidoskopische Bilder. Andere haben das Gefühl, eine andere Dimension zu betreten, und berichten sogar davon, fremden Wesen zu begegnen. Terence McKenna etwa nannte diese zwergartigen Wesen »Maschinenelfen«.
Wer Ayahuasca trinkt, durchlebt oft seine intimsten emotionalen Erinnerungen, was mit euphorischen oder panischen Gefühlen einhergehen kann. Eine Studie zeigte, dass Menschen 24 Stunden nachdem sie Ayahuasca getrunken haben, achtsamer über sich und ihre Umgebung nachdachten als vor der Einnahme. Die meisten müssen sich während der Ayahuasca-Erfahrung übergeben, manche erleiden zusätzlich oder stattdessen Durchfall. Noch ist nicht genau bekannt, woran die Magen- und Darmempfindlichkeiten liegen.
Die psychoaktiven Effekte werden viel intensiver empfunden als bei Psilocybin, LSD oder Ketamin
»Nichts bereitet einen Menschen auf das vor, was bei der Einnahme von Ayahuasca auf ihn zukommt«, meint der Ayahuasca-Forscher Jordi Riba von der Universität Maastricht in den Niederlanden. »Ein Ayahuasca-Erlebnis ist so anders als normale Realität. In unserem täglichen Leben haben wir uns angewöhnt, Gefühle zu unterdrücken, Schwieriges oder Schmerzhaftes von uns wegzuschieben. Unter Ayahuasca ist es nicht möglich, eine Grenze zwischen uns und unseren Gefühlen zu ziehen. Da fühlt man alles tief und deutlich.«
Forscher spekulieren, dass DMT auch natürlich im menschlichen Gehirn vorkommt, was es zu einem Neurotransmitter machen würde. Erwiesen ist das bisher jedoch nicht. Im Gehirn von frei herumlaufenden Nagetieren haben Wissenschaftler DMT gefunden – und zwar in der Zirbeldrüse. Interessanterweise ist die Zirbeldrüse der Ort, an dem der Philosoph René Descartes im 17. Jahrhundert den Sitz der Seele vermutete. Im menschlichen Blut wies der Nobelpreisträger Julius Axelrod außerdem Enzyme nach, die an der Produktion von DMT beteiligt sein können. Es gibt bisher nur Spekulationen darüber, welche Rolle körpereigenes DMT im menschlichen Gehirn spielen könnte.
Therapeutischer Nutzen
Es ist nicht klar, ob DMT therapeutisch eingesetzt werden kann. Eine Tierstudie zeigte, dass DMT bei Ratten depressives und ängstliches Verhalten reduzierte. Einige Studien an Patienten legen nahe, dass man mit Ayahuasca Depressionen lindern und Suchterkrankungen behandeln könnte. Mediziner sind sich allerdings nicht sicher, ob diese therapeutischen Effekte schlicht den MAO-Hemmern zu verdanken sind, die bereits als Wirkstoff in Antidepressiva vorkommen. Es fehlen derzeit systematische klinische Studien mit DMT an Menschen mit psychischen Erkrankungen, bei denen man einen Placeboeffekt ausschließen kann.
Risiken
Während eines DMT-Rauschs kann es zu erhöhter Herzfrequenz, erhöhtem Blutdruck, erweiterten Pupillen, schnellen Augenbewegungen und Schwindel kommen. DMT macht – wie viele andere psychedelische Drogen – körperlich nicht abhängig. Eine psychische Abhängigkeit von der Droge zu entwickeln, ist auch unwahrscheinlich. Der Konsument bekommt nicht ständig Lust auf mehr DMT – im Gegensatz zu Drogen wie Ketamin oder Kokain.
Für gesunde Menschen besteht das größte Risiko von DMT darin, einen schlechten Trip (»Bad Trip«) durchzumachen – denn DMT ist eine der stärksten halluzinogenen Drogen, die es gibt. Terence McKenna nannte sie etwa »das stärkste der Menschheit und der Wissenschaft bekannte Halluzinogen«. Im Rahmen eines Experiments am University College London berichteten 13 Freiwillige während des DMT-Rauschs von ähnlichen Gefühlen wie Menschen, die eine Nahtoderfahrung gemacht haben. Insgesamt haben rund sechs Prozent der Menschen, die schon einmal DMT konsumierten haben, eine schwierige oder negative Erfahrung mit der Droge gemacht.
Menschen, die unter Psychosen leiden, laufen zudem Gefahr, ihre Symptome durch Halluzinogene zu verschlimmern. Man vermutet auch, dass Ayahuasca – wie viele andere psychoaktive Substanzen – psychische Störungen bei Menschen mit einer Veranlagung dafür begünstigen kann. So berichtet eine Fallstudie von einem argentinischen Mann, der direkt nach einer Ayahuasca-Zeremonie eine psychotische Episode durchmachte. Der Vater des Patienten litt unter einer bipolaren Störung.
Eine besondere Gefahr besteht außerdem für Menschen, die Antidepressiva, Johanniskraut oder andere serotoninhaltige Mittel einnehmen. Alle diese Substanzen erhöhen den Serotoninspiegel. Bei gefährlicher Anhäufung des Neurotransmitters Serotonin kann es zum so genannten Serotoninsyndrom kommen. Dabei treten starke Muskelzuckungen auf, die in schlimmen Fällen die Atemmuskulatur einbeziehen und so zum Tod führen können.
In der ersten Fassung des Artikels war fälschlich von der Stadt »Quito« sowie »Elfenmaschinen« die Rede; es handelt sich aber um die Stadt »Iquitos« und Maschinenelfen. Wir bedanken uns für die Hinweise und bitten, die Fehler zu entschuldigen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.