Lexikon der Biologie: Brutpflege
Brutpflege, im Tierreich weitverbreiteter Verhaltensbereich, der dem Schutz und der Versorgung von Nachkommen (Nachkommenschaft) dient. Grundsätzlich gibt es bei der Fortpflanzung zwei verschiedene Strategien ( vgl. Infobox ): Entweder werden möglichst viele Jungtiere generiert und für das einzelne Junge wenig investiert, also auch keine Brutpflege getrieben (r-Strategie, z. B. Muscheln), oder es werden wenige Jungtiere gezeugt aber für das einzelne Junge vergleichsweise mehr investiert (K-Strategie), z. B. durch Brutfürsorge oder/und besonders große Eier oder/und Brutpflege. Aus biologischer Sicht macht sich Brutpflege nur bezahlt, wenn sie den eigenen Jungen zugute kommt (Hamilton-Regel; inclusive fitness). Bei vielen Arten treiben entweder nur die Weibchen oder nur die Männchen Brutpflege. Wenn beide Eltern Brutpflege treiben (z. B. bei vielen Vögeln und wenigen Säugetieren), leben sie monogam (z. T. sequentiell bzw. seriell; Monogamie). Die Brutpflege kann im Bewachen der Eier und Jungtiere bestehen, in ihrer Versorgung mit Nahrung, Wasser und Wärme, ihrer Tarnung, Verteidigung, Schattenspenden, Reinigen, Transport, ihrer Führung, dem Zusammenhalten der juvenilen Jungtiere im Lebensraum und dem Tradieren von Wissen (Tradition) usw. Für die Jungtiere vieler brutpflegender Arten sind die Eltern bei Gefahr das Fluchtziel und Quelle der Beruhigung (secure base; Kontaktappetenzverhalten). Brutpflege ist ein einseitig altruistisches Verhalten (Altruismus) mit einem Interessenskonflikt zwischen Jungen und Eltern: Jungtiere tendieren häufig dazu, mehr und länger Brutpflege in Anspruch zu nehmen, als die Eltern bereit sind (nach Trivers). Hoch entwickelt ist die Brutpflege bei sozialen Insekten (Bienen, Ameisen, Termiten; staatenbildende Insekten) sowie bei Vögeln und Säugetieren. Bei letzteren wird die Brutpflege durch hormonelle Umstellungen ausgelöst, die bei der Eiablage bzw. Geburt einsetzen (z. B. Prolactin). Die Bereitschaft zur Brutpflege wird, falls es Jungtiere bzw. Eier zu versorgen gibt, auch durch Reize aufrechterhalten, die von den Pflegeobjekten ausgehen (z. B. Kindchenschema). Bei Höheren Säugetieren und vielen Vögeln ist die Bereitschaft zur Brutpflege mit einer individuellen Bindung zu den Jungtieren verbunden, d. h., die Eltern lernen ihr Junges kennen und meistens auch umgekehrt die Jungen ihre Eltern (Prägung, Inzesttabu). Der Bindebereitschaft der Eltern- oder Muttertiere steht die Anschluß- oder Bindungsnotwendigkeit der Jungen gegenüber. Das gegenseitige Kennenlernen setzt kognitive Leistungen voraus, über die nicht brutpflegende Arten meistens nicht verfügen. Bei manchen Huftieren muß die Bindung innerhalb weniger Minuten nach der Geburt erfolgen, sonst erlischt die Bereitschaft zur Brutpflege. Bei Säuger-Muttertieren wird diese Bereitschaft durch Oxytocin ausgelöst. Auch bei Primaten existiert eine sensible Phase kurz nach der Geburt, in der die vom Kind ausgehenden Reize die Pflegebereitschaft besonders stark ansprechen und zugleich die Bindung anbahnen. – Brutpflege war ein evolutionsbiologisch besonders wichtiger Schritt, weil durch sie Bindung und Liebe in die Welt gekommen sind, wie I. Eibl-Eibesfeldt (1970) erkannt hat: Er sieht in sozialen Gruppen stammesgeschichtlich erweiterte Familien (Familienverband). Mit dieser stammesgeschichtlichen Entwicklung wurden Elemente des Brutpflegeverhaltens in das Sozialverhalten als bandstiftende und -erhaltende bzw. als aggressionshemmende (Aggression, Aggressionshemmung) Verhaltensweisen übernommen (attraktives Verhalten, z. B. Kuß und grooming). Brutpflege war wahrscheinlich auch eine stammesgeschichtliche Vorbedingung des reziproken Altruismus (Kooperation). Das Ausleben und Erleben von Brutpflegehandlungen und die Verwendung von Elementen der Brutpflege im sozial freundlichen Kontext wirkt sich im allgemeinen "psychohygienisch" günstig aus (z. B. durch Verlust eines Bindungspartners wird Trauer ausgelöst). Bruthelfer, Brutparasitismus, Brutpflegespiele, Embryonalentwicklung, Fortpflanzungsverhalten, Gelege, Geschlechtsmerkmale, Harlow-Versuche, Haustierwerdung, Hormone, Tierbauten, Vogelflügel; Brutpflege , ö Auslöser .
G.M.
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