Lexikon der Biologie: staatenbildende Insekten
staatenbildende Insekten, soziale Insekten, solche Insekten, die sich zum Zweck der Brutfürsorge zusammentun, deren Nachkommen Verbände (Staaten) bilden und weiterhin für eine Nachkommenaufzucht zusammenbleiben. Bei den eigentlichen staatenbildenden Insekten (eusoziale Insekten) finden sich stets 3 Tierformen: ein oder wenige geschlechtsreife Weibchen (Königin), Weibchen mit zurückgebildeten Gonaden (Arbeiterinnen) und geschlechtsreife Männchen (bei den Honigbienen Drohne genannt). Bei Ameisen können zusätzlich spezielle Arbeiterinnen als Soldaten ausgebildet sein ( vgl. Abb. ). Sie haben dann oft größere Köpfe mit kräftigeren Mandibeln. Bei Termiten treten noch ein König und männliche Arbeiter auf ( vgl. Abb. ). Ein spezieller Soldatentyp sind hier die Nasuti (Nasenträger). Der Staat kann für nur eine Brutperiode oder für viele Jahre ausgebildet sein. In der Regel legt zunächst nur ein Weibchen (Monogynie, Haplometrose) oder wenige Weibchen (Polygynie, Pleometrose) allein Eier, während die übrigen Individuen aufgrund der Wirkung eines von der Königin im Stock verbreiteten Pheromons ihre Gonaden zurückbilden (Königinsubstanz). – Bekannte Beispiele für staatenbildende Insekten sind die Termiten, Ameisen, Hummeln, sozialen Faltenwespen (Vespidae), Honigbienen und Stachellosen Bienen (Meliponinae). Während bei Hummeln und sozialen Faltenwespen die Staaten nur eine Brutperiode aufrechterhalten werden, sind die der Termiten, Ameisen, Stachellosen Bienen und Honigbienen in der Regel vieljährig. Bei Hummeln und sozialen Faltenwespen überwintern die im Herbst begatteten Weibchen und gründen im nächsten Frühjahr einen neuen Staat. Dieser baut sich im Laufe des Sommers auf, indem zunächst nur unfruchtbare Weibchen (Arbeiterinnen) entstehen. Erst später legt die Königin auch solche Eier, aus denen aus unbefruchteten Eiern Männchen, aus befruchteten durch entsprechende Fütterung (bei der Honigbiene das sog. Gelée royale) fruchtbare Weibchen, die zukünftigen neuen Königinnen, entstehen. Der Staat stirbt im Herbst ab. Bei Ameisen können die Nestgründungen zum Teil sehr komplex sein. Die häufigste Form ist die sog. unabhängige Nestgründung, bei der ein Weibchen oder mehrere Weibchen nach der Begattung (Hochzeitsflug) einen Schlupfwinkel aufsuchen und die ersten Eier legen. Die schlüpfenden Larven werden bis zu den ersten Arbeiterinnen gefüttert. Danach beschränken sich das Weibchen oder die Weibchen (Königinnen) allein auf das Eierlegen. Bei der abhängigen Nestgründung benötigt die begattete neue Ameisenkönigin bei der Aufzucht ihrer ersten Nachkommen Hilfe. Dies sind entweder Königinnen derselben Art, die bereits ein Nest besitzen (Adoption), oder das abhängige Weibchen schließt sich einer anderen Art an und läßt sich von deren Arbeiterinnen ihre Jungen füttern, oder die neue Königin dringt in ein Nest ein, das keine eigene Königin mehr hat (weisellos ist) bzw. bringt deren Königin um. Es gibt noch weitere Fälle eines solchen Sozialparasitismus (Ameisen). Ein anderer Modus ist die Bildung von Tochterkolonien, der besonders bei volkreichen polygynen Arten, z.B. der Roten Waldameise, verbreitet ist. Ein wesentlicher Vorteil der Staatenbildung ist die Arbeitsteilung (Polyethismus). Damit ist verknüpft, daß es neben den eigentlichen Geschlechtstieren (Königin, Drohne, bei Termiten König) auch geschlechtslose Arbeiterinnen (bei Termiten auch Arbeiter) gibt. Die eigentlichen Stocktätigkeiten und Nahrungsbeschaffung werden überwiegend oder ausschließlich von den Arbeiterinnen vorgenommen. Hierbei kann die Arbeitsteilung in Altersabhängigkeit eines Individuums ablaufen (Alterspolyethismus) oder auf diskrete Morphen (Kaste) verteilt sein. Honigbienen haben im allgemeinen einen festgelegten Lebensplan ( vgl. Infobox ), der sich durch vielerlei Umstände im Stock allerdings bei Bedarf auch stark ändern kann. Viele Arbeiterinnen unternehmen bereits vom 3. Lebenstag an gelegentlich Orientierungsflüge. Bei Hummelarbeiterinnen ist der Lebenslauf nicht so streng festgelegt. Hier hängen die Nest- und Sammeltätigkeiten sehr stark vom Bedarf ab. Streng festgelegt sind die arbeitsteiligen Tätigkeiten bei den Ameisen und Termitenhelfern, die stark ausgeprägte morphologische Kasten haben (Sozial-Polymorphismus). – Staatenbildung ist innerhalb der Insekten mindestens 5mal unabhängig entstanden: Termiten, Ameisen, soziale Faltenwespen, innerhalb der Apoidea (Bienen i.w.S., Blumenwespen, Immen) bei der Gattung Halictus (Furchenbienen; Schmalbienen) und nur einmal innerhalb der eigentlichen Apidae (Echte Bienen; Unterfamilien Bombinae, Meliponinae und Apinae). Besonders bei den Apoidea können viele Stufen der Sozialbildung von rein solitärer (Solitärbienen) bis zur eusozialen Lebensweise aufgezeigt werden ( vgl. Tab. ). Die Gattung Halictus weist Arten auf von kommunaler, quasisozialer, semisozialer bis hin zu eusozialer Gruppenbildung. Kommunal sind außer den Bienen auch einige tropische Grabwespen (z.B. Gattungen Trigonopsis, Microstigmus oder Crossocerus). Quasisozial sind solche Halictus-Arten, die am Nesteingang lediglich einen Wächter haben, der vor allem Parasiten von der Brut fernhalten soll. Semisozial sind wohl die meisten Arten der Gattung Lasioglossum und bei uns auch Halictus maculatus, Halictus rubicundus oder Halictus sexcinctus. Die meisten Wespen und die Hummeln sind, da ihre Nester nur eine Brutperiode existieren, primitiv eusozial; der Übergang zur Eusozialität ist jedoch fließend. Gelegentlich wird erst bei der Nestgründung zwischen gemeinschaftlich überwinternden fertilen Geschwisterweibchen entschieden, wer im künftigen Nest die Rolle der Königin übernimmt. Die anderen Individuen bilden dann ihre Gonaden zurück (so bei Polistes- oder einigen Halictus-Arten) und treten als Helferinnen auf. Die Entscheidung, wer Königin wird, wird über Streßfaktoren (Streß) und Dominanzverhalten bestimmt. Dies wird über Fühlerbetrillern (Fühlersprache) und Abgeben von „Königinduftstoffen“ (Königinsubstanz, Soziohormon) erreicht. Eine andere Erklärung zum Zustandekommen von Sozialstaaten liefert die Soziobiologie mit ihrem Ansatz der inclusive fitness. Danach sollten sich Individuen derselben Art um so eher fördern, je näher sie miteinander verwandt sind. Für Hautflügler ergeben sich wegen der Besonderheit, daß Männchen aus unbesamten Eiern entstehen, besondere Verwandtschaftsgrade (Verwandtschaft): Bei ihnen erhalten weibliche Nachkommen von ihrer Mutter im Schnitt 0,5, vom Vater dagegen nur 0,25 des Erbguts. Nach dieser Wahrscheinlichkeitsbetrachtung weisen die Schwestern untereinander zu 0,75 ein gemeinsames, identisches Erbgut auf. Männliche Nachkommen erhalten von der Mutter ihr ganzes Erbgut. Danach weist der Bruder zu seiner Schwester die Verwandtschaft 0,5 auf; die Schwester ist mit ihrem Bruder nur zu 0,25 verwandt. Dies bedeutet, daß der Bruder mit seiner Schwester näher verwandt ist als sie mit ihm! Wenn Individuen für soziale Hilfeleistungen jeweils die ihnen nächstverwandten Individuen bevorzugen (so der Ansatz der Soziobiologie), dann müßten Weibchen bevorzugt für Schwestern sorgen anstatt für eigene Junge, da die Schwestern untereinander näher verwandt sind (nämlich 0,75) als mit ihren eigenen Jungen (nämlich 0,5). Dies würde erklären, warum es gerade bei Hautflüglern mehrfach zur Sozialstaaten-Bildung gekommen ist und warum an der Brutpflege keine Männchen beteiligt sind. Nicht erklären kann diese Hypothese die Staatenbildung der Termiten, die sowohl im männlichen Geschlecht diploid (Diploidie) sind als auch Männchen (Arbeiter) besitzen, die an der Brutpflege beteiligt sind. Alarmstoffe, Bienensprache, Bienenzucht, Duftstraßen, Geschlechtsbestimmung, Kooperation, Schwänzeltanz, Tierstaaten.
H.P.
Lit.:Hermann, H.R. (Hrsg.): Social Insects. 4 Bde. New York 1979–1982. Schmidt, G.H. (Hrsg.): Sozialpolymorphismus bei Insekten. Stuttgart 1974.
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