Lexikon der Biologie: Hautflügler
Hautflügler, Hymenoptera, Ordnungder Insekten mit über 100.000, nach neueren Zählungen sogar 200.000 bekannten Arten, davon in Mitteleuropa ca. 12.000 in etwa 50 Familien. Dabei entfallen allein auf die sog. „Parasitica“ (alle als Parasitoide lebenden Apocrita) über 125.000 Arten. Nach den Hochrechnungen zu erwartender Tierartenzahlen (10–30 Millionen Arten weltweit) dürfte ein beträchtlicher Teil auf die Hautflügler entfallen. Einige Arten können bis 6 cm lang werden, andere gehören mit 0,1 mm (Erzwespen [Chalcidoidea], Zwergwespen) zu den kleinsten Insekten überhaupt. Der Körper der Imagines ( ü vgl. Abb. 1 ) ist meist stark gepanzert; Behaarung und Farbe sind je nach Familie und Art sehr unterschiedlich. Einen großen Teil des Kopfes nehmen die länglich-ovalen, rundlichen oder nierenförmigen Komplexaugen ein, die bei vielen Familien hochentwickelt sind und aus bis zu 7500 Einzelaugen bestehen können. Daneben sind 3 Stirn-Ocellen die Regel; sie können bei ungeflügelten Formen reduziert sein. Ursprüngliche Hautflügler, wie die Pflanzenwespen, besitzen kauend-beißende Mundwerkzeuge; davon kann man den leckend-saugenden Typ der Bienen ableiten. Die vielgestaltigen Fühler (Antennen) sind Tast- und Riechorgane (mechanische Sinne, chemische Sinne). Sie unterscheiden sich je nach Familie in Länge, Form und Anzahl der Glieder beträchtlich. Im Halsbereich finden sich große Sklerite (Cervicalia; Nackenhaut), die mit den stark reduzierten Pleuren der Vorderbrust (Prothorax) verwachsen sind. Sie sind mit zahlreichen kleinen Haarsensillen bedeckt, mit denen die Kopfstellung genau registriert werden kann. Wie bei allen Insekten gliedert sich der Thorax in 3 Segmente mit je 1 Beinpaar; die beiden hinteren Segmente tragen je 1 Paar häutige, durchsichtige Flügel (Insektenflügel). Die Vorderflügel sind in der Regel größer und umgreifen mit den nach unten umgeschlagenen Hinterrändern eine Häkchenreihe am Vorderrand der Hinterflügel (Frenulum), so daß die Flügel im Flug verbunden sind (funktionelle Zweiflügeligkeit; ü vgl. Abb. 2 ). Das 1. Hinterleibssegment (Abdominalsegment; Abdomen) ist entweder mit seinem Tergit (dieses wird dann als Mittelsegment bezeichnet; Sternit reduziert; so bei den ursprünglichen Pflanzenwespen) oder gänzlich mit der Brust verschmolzen. In diesem Fall befindet sich eine starke Einschnürung zwischen dem 1. und 2. Hinterleibssegment. Dadurch ist dieses durch ein Stielchen von der Brust abgesetzt („Wespentaille“; Unterordnung Apocrita). Bei Ameisen wird entweder das gesamte 2. Hinterleibssegment tief eingeschnürt und als Petiolus bezeichnet, oder es wird zusätzlich auch noch das 3. Hinterleibssegment eingeschnürt. Dieses wird dann Postpetiolus genannt (so bei den Knotenameisen). Die hinteren Segmente sind bei vielen Familien auch verschmolzen, so daß die ursprünglich 9 Hinterleibssegmente nicht immer zu erkennen sind. Aus von ursprünglichen Extremitäten ableitbaren Anhängen der 8. und 9. Hinterleibssegmente ist der von den Geradflüglern ableitbare Eilegeapparat der Pflanzenwespen und der sog. Legimmen (Terebrantes; Terebra) entstanden, der bei den sog. Stechimmen (Apocrita) in einen kurzen Giftstachel umgewandelt ist. Dieser dient zur Lähmung von Beutetieren (z.B. Familie Grabwespen) oder nur sekundär als Wehrstachel (z.B. Ameisen, Honigbienen, Faltenwespen). Männliche Hautflügler können daher nicht stechen. Bei einigen sozialen Hautflüglern (unter den Ameisen die Schuppenameisen, unter den Bienen die Stachellosen Bienen [Meliponinae]) kann dieser Giftstachel reduziert sein. Einige Hautflügler (z.B. alle Ameisen, soziale Faltenwespen, unter den Bienen die Honigbienen, Hummeln, Stachellosen Bienen und viele Arten der Furchenbienen [Schmalbienen]) gehören zu den staatenbildenden Insekten und haben mit der Bildung von Kasten ein hohes Maß an Arbeitsteilung erreicht. Die Hautflügler pflanzen sich in der Regel zweigeschlechtlich fort, aber auch verschiedene Formen von Parthenogenese, z.B. bei Gallwespen, kommen vor. Bei Gallwespen findet sich ein jahreszeitlich gesteuerter Generationswechsel in Form von Heterogonie. Bei einigen Schlupfwespenartigen (z.B. Platygasteridae und Erzwespen) schlüpfen aus einem einzigen Ei Hunderte Larven, die durch Polyembryonie entstanden sind. Männchen entstehen durchwegs aus unbefruchteten Eiern (haplodiploide Geschlechtsbestimmung). Diese Form der Geschlechtsbestimmung ist wegen der daraus resultierenden ungleichen Verwandtschaftsgrade zwischen Müttern, Töchtern und Söhnen eine der wesentlichen Voraussetzungen für die so häufige Entstehung von sozialen Staaten (soziale Insekten). Alle Hautflügler durchlaufen eine holometabole Entwicklung (Holometabola, Metamorphose). Die Larven ( ü vgl. Abb. 3 ) der Pflanzenwespen entsprechen meist dem Typ der Afterraupe, die der Apocrita sind fußlose Maden. Die Larve spinnt sich zur Verpuppung meist in einen Kokon ein. Die Ernährung ist sehr vielgestaltig und besteht je nach Familie aus erbeuteten Insekten, Pflanzen, Nektar und Pollen. Auch Parasitismus im Sinne von parasitoider Entwicklung (die Larve bringt ihren Wirt am Ende ihrer Entwicklung um) kommt verbreitet vor. Das System der Hautflügler wird unterschiedlich gehandhabt. Stammesgeschichtlich betrachtet, sind die Pflanzenwespen nicht einheitlich (monophyletisch). Zu ihnen gehört außer den gesondert behandelten Familien ( ü vgl. Tab. ) auch die Familie Orussidae mit nur 2 Arten in Mitteleuropa, deren Larven ektoparasitisch an Prachtkäferlarven leben. Die alte Einteilung der Unterordnung Apocrita in Terebrantes (Legimmen, parasitische Hautflügler) und Aculeata (Stechimmen, Hautflügler mit Giftstachel) ist heute teilweise aufgegeben worden. Die Aculeata allein sind eine monophyletische Gruppe. Zu den Apocrita gehören auch ( ü vgl. Tab. ) einige kleinere Familien, so die den Goldwespen (Chrysididae) ähnelnden Diebswespen (Cleptidae), die in Mitteleuropa nur mit 2–4 Arten vertretenen Dolchwespen(Scoliidae), die Hungerwespen (Evaniidae), deren Larven (der einheimischen Arten) in Eikokons von Schaben parasitieren, sowie die mit den Vespidae verwandten Keulenwespen (Sapygidae) und Masaridae; beide Familien sind nur mit wenigen Arten bei uns vertreten. Die Larven der Rollwespen (Tiphiidae; weltweit ca. 1500 Arten) ernähren sich von gelähmten Käferlarven. Ektoparasitisch an solitären Bienen leben die Larven der Gichtwespen (Gasteruptionidae), vondenen es ca. 10 Arten in Mitteleuropa gibt. ü Hautflügler I ü Hautflügler II , Insekten II .
G.L./H.P.
Lit.:Gauld, I., Bolton, B.: The Hymenoptera. British Museum (Nat.Hist.), London 1988. Goulet, H., Huber, J.T.: Hymenoptera of the world: An identification guide to families. Centre for Land and Biolog. Resources Research. Ottawa 1993. Königsmann, E.: Das phylogenetische System der Hymenoptera. Teile 1–4. Deutsche Ent.Z. Bde. 23–25 (1976–1978). LaSalle, J., Gauld, I.: Hymenoptera and Biodiversity. C.A.B. Int. Wallingford 1993.
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