Lexikon der Biologie: Antenne
Antenne [von *antenn -], umgangssprachliche Bezeichnung Fühler, ein Paar fühlerförmiger Anhänge am zweiten Kopfsegment (Kopf) des Grundbauplans der Euarthropoda (Gliederfüßer). Aufgrund serialer Homologie mit den Extremitäten der nachfolgenden Segmente (Ontogenie, Innervierung, Muskulatur) können die Antennen von echten Beinen abgeleitet werden. Die Umwandlung des vordersten Extremitätenpaares zu Antennen ist phylogenetisch nur im Zusammenhang mit der Kopfbildung (Cephalisation) in der Stammgruppe der Euarthropoda zu verstehen. Aufgrund der Ausbildung eines vorderen Körperpols (Kopf), der bei der gerichteten Fortbewegung des Tieres als erstes Kontakt zu der Umwelt aufnimmt, werden die Sinnesorgane an dieses Körperende verlagert, die zur Aufnahme von Umweltinformation geeignet sind. Dazu gehört auch die Ausbildung des ersten Beinpaares zu tastenden Sinnesorganen, die taktile Information über die Umweltbeschaffenheit erfassen. In analoger Weise findet man bei einigen Polychaeta (vielborstige Ringelwürmer) fühlerförmige Anhänge; diese sind aber als Auswüchse des Kopflappens (Akron) nicht mit den Antennen der Arthropoden zu homologisieren und sollten besser als Fühler (Palpen) bezeichnet werden. Die Antennen werden embryonal als hinter dem Mund gelegene Extremitätenknospen angelegt, im Verlauf der Individualentwicklung aber an eine auf der Frontseite des Kopfes gelegene Stellung verlagert. Dem Grundbauplan der Euarthropoda am nächsten stehen die ausgestorbenen Trilobitomorpha (Arachnata,Amandibulata), deren Antennen ( vgl. Abb. ), aus gleichförmigen Gliedern aufgebaut, bei halbvergrabener Lebensweise dem Substrat auflagen. Die Chelicerata (unter anderem Skorpione, Spinnentiere, Milben) als heute lebende Vertreter der Arachnata besitzen keine Antennen mehr. In der zweiten großen Entwicklungslinie der Euarthropoda, bei den Mandibulata (Krebstiere, Tausendfüßer, Insekten), sind dagegen die Antennen Träger wichtiger Sinnesorgane (Tast- und Chemorezeption), haben aber zum Teil auch extreme andersartige Spezialisationen erfahren. Kennzeichnend für die Gruppe der Krebstiere ist die Ausbildung des zweiten Kopfextremitätenpaares als zweite Antennen (im Gegensatz zur ersten Antenne oft als Spaltfuß zu erkennen). Schon bei ursprünglichen Krebsgruppen sind beide Antennenpaare mannigfachen Umbildungen unterworfen. Tracheata (Monantennata; Tausendfüßer und Insekten) besitzen nach der Rückbildung des zweiten Antennenpaares nur noch die ersten Antennen. Dabei sind Tausendfüßer und zwei Gruppen der Urinsekten (Collembola, Diplura;Springschwänze, Doppelschwänze) durch einen ursprünglicheren Bau der Antenne, die Gliederantenne oder myocerate Antenne, gekennzeichnet. Bei dieser enthalten alle Antennenglieder eigene Muskulatur, die sie gegeneinander beweglich macht. Borstenschwänze (Felsenspringer und Silberfischchen) und geflügelte Insekten (Fluginsekten) besitzen als gemeinsames abgeleitetes Merkmal die Geißelantenne (amyocerate Antenne). Nur das erste Antennenglied, der Scapus oder Fühlerschaft, besitzt hier Muskulatur, die am zweiten Antennenglied, dem Pedicellus, angreift und diesen gegenüber dem Scapus bewegen kann. Alle anderen Antennenglieder, die Flagellomeren, sind frei von Muskulatur und als Geißel nur passiv gegen die ersten beiden Antennenglieder beweglich. Die ursprüngliche Form der Insekten-Antenne muß man sich als gleichförmig, aus zylindrischen Geißelgliedern aufgebaut denken. Zumindest bei Insekten werden die Antennen über kleine ampullenartige, pulsierende Verdickungen (Antennenherzen, akzessorische Herzen; Nebenherzen) als Abkömmlinge des Kreislaufsystems (Blutkreislauf) mit Hämolymphe versorgt. Entsprechend den vielfältigen Lebensweisen der Insekten wurden auch die Antennen in zahlreiche verschiedene Formen abgewandelt. Die Geißelantenne trägt im zweiten Fühlerglied (Pedicellus) das Johnstonsche Sinnesorgan (Johnstonsches Organ), das Auslenkungen der Geißel gegenüber der Antennenbasis messen kann und in abgewandelter Form als Geschwindigkeitsmesser während des Fluges, als Schallrezeptor oder bei Insekten, die an der Wasseroberfläche leben, als Oberflächenwellenrezeptor dient. – Viele Insekten-Antennen sind sexualdimorph ausgeprägt (Sexualdimorphismus), da sie im Rahmen der sexuellen Selektion vor allem bei den Männchen wichtige Funktionen in der Partnerfindung haben. Hier konkurrieren die Männchen mit anderen Männchen derselben Art in der Schnelligkeit und Genauigkeit der Weibchenfindung. Dies führte in der Evolution zu sehr unterschiedlichen Methoden der Oberflächenvergrößerung der Antennenglieder, um dort mehr Sensillen pro Fläche unterbringen zu können, oder auch nur zur Verlängerung der Glieder (Bockkäfer). Besonders ausgeprägt ist dies bei vielen Männchen der Spinner unter den Nachtfaltern zu sehen. Antennen können auch zu Greiforganen umgebildet sein. So haben die Männchen vieler Kiemenfußkrebse (Anostraca) zum Teil hochkompliziert umgewandelte erste Antennen, mit denen sie während der Kopula ihre Weibchen umklammern. Bei den Wasserkäfern spielen die Antennen eine wichtige Funktion während der Einbringung von Atemluft auf die Bauchseite der Käfer. – Die Form der Antennen (Fühler) spielt in der Systematik vor allem der Insekten eine große Rolle. Nach der Form der Antennenglieder bzw. der ganzen Antenne unterscheidet man setiforme (borstenförmige), filiforme (fadenförmige), moniliforme (perlschnurartige), serrate (gezähnte), pektinate (einseitig gekämmte), bipektinate (doppelseitig gekämmte), clavate (gekeulte), gekniete und lamellate (blätterförmige) Antennen. Antennennerv, Gehörorgane, Gliederfüßer (Abb.), Gliedertiere, Greifantenne, Insekten (Abb.); chemische Sinne I , Gliederfüßer I.
M.St./H.P.
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