Lexikon der Neurowissenschaft: Amusie
Amusiew [von griech. amousos = von Musik nichts verstehend], E amusia, Unfähigkeit, Melodien (Rhythmen, Töne, Tempi, Harmonien) aufzufassen (sensorische Amusie, auditorische Agnosie für Musik, Tontaubheit), zu singen oder ein Musikinstrument zu spielen (motorische Amusie, musikalische Apraxie) oder Noten zu lesen bzw. zu verstehen (musikalische Alexie, Notenblindheit) (Fallbeispiele siehe Zusatzinfo ). Amusie ist oft, aber nicht notwendigerweise, Begleiterscheinung einer Aphasie. Da für das Verständnis und die Produktion von Musik viele Gehirnregionen (Areale) und beide Großhirnhemisphären notwendig sind, ist Amusie keine spezifische Ausfallerscheinung. Selbst die nützliche Unterscheidung zwischen rezeptiver und expressiver Amusie, die das Hören bzw. die Produktion von Musik betrifft, definiert keine eindeutig bestimmbare Schädigung. Ursache einer Amusie sind z.B. Läsionen im Schläfenlappen, Brodmann-Areale 22 und 42 (Rindenfelder). Amelodie.
Amusie
Fallbeispiele:
Der bekannteste Fall von Amusie in der Musikgeschichte ist der Komponist Maurice Ravel (1875-1937). Mit 58 Jahren zerstörte eine Läsion die linke Großhirnrinde an der Stelle, an der Schläfenlappen und Scheitellappen zusammentreffen. Ravel litt danach an einer Wernicke-Aphasie und Alexie und konnte außerdem keine Kompositionen mehr anfertigen, d.h. zu Papier bringen, obwohl er im Kopf weiterkomponierte: Die Musik war in seinem Kopf gleichsam eingesperrt. Er konnte nur wenige Takte davon singen oder spielen, was aber nicht an einer eingeschränkten Motorik lag, denn Ravel vermochte nach wie vor alle Tonleitern zu spielen. Auch war sein Gedächtnis intakt und er bemerkte weiterhin jeden Fehler, wenn ihm seine früheren Kompositionen vorgespielt wurden.
Ein weiteres Fallbeispiel: Ein 40jähriger rechtshändiger professioneller Geiger mit einer leichten Wernicke-Aphasie und einer rechtseitigen Hemiparese nach einem Schlaganfall konnte zwar den Bogen nicht mehr verwenden, mit der linken Hand aber korrekt alle Griffe auf den Saiten ausführen. Melodien vermochte er wiederzuerkennen, wenn sie gesungen wurden, nicht aber, wenn er sie auf dem Klavier hörte, obwohl er sie auf der Violine nachgreifen konnte. Sein absolutes Gehör hatte er auch verloren.
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