Lexikon der Neurowissenschaft: Apraxie
Apraxiew [von griech. apraxia = Untätigkeit],E apraxia, Unfähigkeit, Körperteile zweckmäßig zu bewegen, obwohl die Wahrnehmung und Bewegungsfähigkeit selbst intakt sind, also keine physiologische Schwäche vorliegt (wie z.B. eine Lähmung). Es handelt sich um eine Fehlfunktion der Steuerung von Bewegungen innerhalb des unmittelbaren persönlichen Raumes, nicht um eine Bewegungsstörung allgemein (wie z.B. die Verwendung des irreführenden Begriffs "Gangapraxie" für Paralyse, Ataxie oder Akinese suggeriert). Betroffen können sowohl Einzelbewegungen als auch ganze Bewegungsfolgen sein. Kennzeichnend für eine Apraxie sind Parapraxien. Der Verlust, feingesteuerte Bewegungen auszuführen, resultiert entweder daraus, daß schon ihre Planung mißlingt (ideatorische Apraxie), oder daraus, daß die Planung zwar gelingt, aber nicht in die korrekten Bewegungsfolgen und -abläufe umgesetzt werden kann (ideomotorische Apraxie). Wenn die Bewegungsfolgen bekannt sind, aber einzelne Bewegungen nicht ausgeführt werden können, spricht man gelegentlich von einer motorischen Apraxie. – Kognitionspsychologisch hat es sich bewährt, zwei Hauptkomponenten der Handlungsplanung und -durchführung zu unterscheiden: 1) ein Handlungskonzeptsystem, das die Kenntnisse über den Gebrauch von Werkzeugen und ihren mechanischen Randbedingungen enthält (es ist bei einer ideatorischen Apraxie beeinträchtigt), und 2) ein Handlungsproduktionssystem, das Informationen über die motorischen Programme selbst und ihre Übersetzung in erlernte Bewegungsmuster umfaßt (Schäden führen zu einer ideomotorischen Apraxie). Motorische Lernerfolge sind bei Apraktikern sehr gering. – Apraxien treten meist nach Läsionen der sprachdominanten Hemisphäre (cerebrale Dominanz, Lateralisierung) auf, wobei die Schäden bei Frauen häufig weiter vorne in der linken Hemisphäre lokalisiert sind als bei Männern. Betroffen sind meist die Brodmann-Areale 7 und 40, die die andere Körperseite über das Brodmann-Areal 4 kontrollieren, sowie die Areale PF und PG. Auch eine Diskonnektion der posterioren Sprachzone (Brodmann-Areale 22, 39, 40) vom Motorcortex (Areale 4, 6) in der linken oder (infolge einer Läsion im Balken) rechten Hemisphäre können zu einer Apraxie führen. Da es auch direkte Verbindungen gibt zwischen Sprach- und Hörrinde im posterioren Cortex und den subcorticalen neuralen Strukturen (Basalganglien, Thalamus), die die Arm- und Körperbewegungen steuern, erholen sich Spalthirnpatienten von einer Apraxie im Lauf der Zeit. Eine "gekreuzte Apraxie", die die Körperseite der sprachdominanten Hemisphäre betrifft, ist sehr selten. Die Apraxie wird nur beim Menschen beobachtet. Tiere werden nicht apraktisch – gleichgültig, wo eine Hirnläsion erfolgt. Apraxie tritt häufig gemeinsam mit einer Aphasie auf und geht oft einher mit geistigem Verfall und anderen Bewegungsstörungen wie etwa einem Tremor. Ankleideapraxie, Ataxie, Gesichtsapraxie, Cogan-Syndrom, Gliedmaßenapraxie, konstruktive Apraxie, Sprechapraxie.
R.V.
Lit.:De Renzi, E. in Boller, F., Grafman, J. (Hrsg.): Handbook of Neuropsychology, Bd. 2. Amsterdam 1989, S. 245-263. Heilman, K.M., Rothi, L.J. in Heilman, K.M., Roy, E.A. (Hrsg.): Neuropsychological Studies of Apraxia and Related Disorders. Amsterdam 1985. Valenstein, E. (Hrsg.): Clinical Neuropsychology. New York 1985, S. 131-150.
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