Lexikon der Neurowissenschaft: Paralyse
Paralyse w [von griech. paralysis = Lähmung der Glieder an einer Körperseite], Paralysis,Eparalysis, Bezeichnung für eine vollständige Lähmung, d.h. vollkommener Bewegungs- und Empfindungsverlust eines Körperteils (meist beschränkt sich der Wortgebrauch auf den Bewegungsverlust) bzw. komplette periphere oder zentrale Unterbrechung der nervalen Versorgung; ursprünglich Bezeichnung für jede Beeinträchtigung der Muskelkraft. Paralyse kann ein Dauerzustand nach der Schädigung von Motoneuronen und ein vorübergehender Zustand nach einer Läsion des Motorcortex (Brodmann-Areal 4) sein. Es gibt zahlreiche Formen der Paralyse mit ganz unterschiedlichen Ursachen ( siehe Tab. ). Nützlich ist eine Unterscheidung von fünf Typen: 1) Beeinträchtigung der unteren Motoneurone; 2) Beeinträchtigung der höheren Motoneurone (Cortex → Rückenmark, Cortex → Hirnstamm); 3) Abnormalitäten der Koordination aufgrund von Läsionen im Kleinhirn (Ataxie); 4) Abnormalitäten von Bewegung und Haltung aufgrund einer Erkrankung des extrapyramidalen Systems; 5) Beeinträchtigung zweckgerichteter Bewegungen durch eine Schädigung des Cortex (Apraxie). Die Willkürmotorik kann durch eine Unterbrechung der Motoneurone vom Gehirn zum Muskel verhindert sein, z.B. durch ein Trauma, eine Vergiftung oder eine Syphilis-Infektion (progressive Paralyse). Parese.
Paralyse
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Paralysis acuta ascendens spinalis (Landry-Paralyse) | akute, oft tödliche Verlaufsform des Guillain-Barré-Syndroms, einer Polyradikulitis mit raschem Übergreifen der Lähmungen von den unteren Gliedmaßen und Rumpf auf die Atem- und Schlundmuskulatur (d.h. auf die unteren Kerne der Hirnnerven), z.B. bei Myelitis und Poliomyelitis | |
Paralysis agitans | die Parkinson-Krankheit | |
Paralysis agitans juvenilis (Hunt-Syndrom) | erbliche Degeneration des Pallidums mit hypokinetisch-hypertonischen Symptomen der Parkinson-Krankheit | |
Paralysis atypica (Lissauer-Paralyse) | progressive Paralyse (inkl. Aphasie, optischer Agnosie, Apraxie, manchmal Agraphie) ohne Beeinträchtigung des Intellekts; häufig umschriebene Atrophie im hinteren Schläfenlappen und im motorischen Scheitellappen, seltener Herde im Hinterhauptslappen oder Thalamus | |
Paralysis bulbaris (Bulbärparalyse) | Ausfall motorischer Hirnnervenkerne im Bereich des Myelencephalons (Bulbus medullae), i.e.S. bei der bulbären Form der amyotrophen Lateralsklerose und bei der Duchenne-Lähmung; zu den Symptomen gehört eine verlangsamte, verwaschene, kloßig-nasale Sprache (Bulbärsprache), evtl. auch Anarthrie, Schluck-, Kau- und mitunter Atemstörungen, Kehlkopflähmung; Bulbärparalyse i.w.S. kommt auch bei Tumoren des Hirnstamms vor, bei Poliomyelitis und entzündlichen Prozessen sowie als Pseudobulbärparalyse | |
Paralysis diaphragmatica | Zwerchfellähmung, die angeboren oder erworben, teilweise oder vollständig, dauerhaft oder vorübergehend, zentral (bei Poliomyelitis) oder peripher (bei Phrenicuslähmung) vorkommen kann | |
Paralysis epidemica infantum | Virusinfektion der grauen Substanz des Rückenmarks und der motorischen Kerne des Hirnstamms (Poliomyelitis anterior acuta); die Paralyse breitet sich rasch von den Beinen nach oben aus, kann zum Erstickungstod führen | |
Paralysis galopans | rasche progressive Paralyse (im Verlauf weniger Monate) | |
Paralysis saturnina | Lähmung bei Bleivergiftung | |
Paralysis spinalis spastica (spastische Spinalparalyse, Diplegia spinalis, Charcot-Erb-Krankheit) | Rückenmarkserkrankung infolge der Degeneration des ersten Motoneurons; bereits im Kindesalter beginnt eine Spastik der Beine | |
infantile Paralyse (juvenile Paralyse) | progressive Paralyse bei angeborener Syphilis, beginnt meist im sechsten Lebensjahr, manchmal erst im zweiten Lebensjahrzehnt; gehäufte Anfälle, Sehnervenatrophie, schnell fortscheitende Demenz | |
progressive Paralyse | Spätstadium der Syphilis, 5-30 Jahre nach Erstinfektion, ausgelöst durch massive Spirochäteninvasion ins Gehirn (chronische Polioencephalitis des Cortex, insbesondere des Frontallappens), bei Männern häufiger; schleichende Entwicklung, beginnt mit Störungen des Gedächtnisses und der Persönlichkeit (Persönlichkeit und Personalität), dann Störungen der Artikulation (Silbenstottern und -schmieren, Dysarthrie), Vibrieren der Mundwinkel, flüchtige Paresen, Dementia paralytica | |
Pseudobulbärparalyse | siehe Paralysis bulbaris |
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