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Die fabelhafte Welt der Mathematik: Die mysteriöse Konstante, die Mathematiker verzweifeln lässt

Der Beweis, dass die Apéry-Konstante irrational ist, gehört zu den skurrilsten Begebenheiten der Mathematikgeschichte. Nach 200 Jahren birgt die seltsame Zahl noch immer viele Geheimnisse.
Viele verschiedene Ziffern auf einem rosa Hintergrund
Zahlen sind seit jeher faszinierend. Doch einige entziehen sich scheinbar einer genaueren Untersuchung – so auch die Apéry-Konstante.
Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen hin zu Steuertricks. Die Artikel können Sie hier lesen oder als Buch kaufen.

Mit viel Skepsis betraten im Juni 1978 die Mathematiker den Vortrag von Roger Apéry. Der angekündigte Titel seiner Präsentation trug den Namen »Über die Irrationalität von ζ(3)«, was große Wellen in der Fachwelt schlug. Denn die Frage, welchen Wert die Zetafunktion ζ(3) hat, war seit mehr als 200 Jahren offen. Bereits der geniale Schweizer Mathematiker Leonhard Euler hatte sich daran die Zähne ausgebissen und war gescheitert. Und nun behauptete der eher unbekannte französische Mathematiker Apéry, der schon über 60 Jahre alt war, dieses jahrhundertealte Rätsel gelöst zu haben. Das zweifelten viele der Zuhörer an.

Der Vortrag, den Apéry hielt, trug zunächst nicht zu seiner Glaubwürdigkeit bei. Er sprach auf Französisch, machte ab und zu Witze und ließ entscheidende Erklärungen weg, die für den Beweis relevant waren. So schrieb er direkt am Anfang eine Gleichung auf, die niemand im Saal kannte, aber das Herzstück seines Beweises bildete. Als er gefragt wurde, woher diese Gleichung käme, antwortete Apéry: »Sie wächst in meinem Garten.« Erbost standen viele der Zuhörer auf und verließen den Raum.

Doch ganz hinten im Saal saß eine Person mit einem elektronischen Taschenrechner – ein damals noch nicht allzu verbreitetes Gerät. Sie verfasste ein kurzes Programm, das die Gleichung von Apéry überprüfte. Die Person unterbrach daraufhin den Vortrag, um der Menge mitzuteilen, dass Apérys Gleichung, die er angeblich in seinem Garten gefunden hatte, offenbar wirklich stimmte. Damit hatte Apéry die Aufmerksamkeit aller im Saal Anwesenden sicher und konnte seine Beweisführung fortsetzen. »Aperys unglaublicher Beweis scheint eine Mischung aus Wundern und Geheimnissen zu sein«, schrieb der Mathematiker Alfred van der Poorten, der an Apérys Vortrag teilgenommen hatte.

Es dauerte mehrere Wochen, bis die Fachleute alle Details aus dem Beweis nachvollziehen und prüfen konnten. Apéry machte ihnen die Aufgabe nicht wirklich einfacher: Bei einem Treffen begann er beispielsweise, sich über den Zustand der französischen Sprache auszulassen, anstatt sich der Mathematik zu widmen. Doch nach etwa zwei Monaten wurde klar, dass Apéry das gelungen war, was Euler 200 Jahre zuvor entging. Er konnte zeigen, dass ζ(3) eine irrationale Zahl ist.

Eine Verbindung zu Primzahlen

Die Geschichte der Zetafunktionen reicht weit zurück. 1644 fragte sich der italienische Mathematiker Pietro Mengoli, was herauskommt, wenn man den Kehrwert aller Quadratzahlen summiert, also 1 + 14 + 19 + … Es gelang ihm allerdings nicht, das Ergebnis zu berechnen. Auch andere Fachleute scheiterten an der Aufgabe, darunter die berühmte Wissenschaftlerfamilie Bernoulli. Tatsächlich sollte es noch 90 Jahre dauern, bis der damals 27-jährige Leonhard Euler die Lösung fand. Weil sowohl Euler als auch die Bernoulli-Familie in Basel lebten, ist die Aufgabe heute als »Basler Problem« bekannt. Dass es so lange dauerte, um einen Erfolg zu erzielen, wird klar, wenn man das unerwartete Ergebnis betrachtet: Euler berechnete die unendliche Summe zu π2/6.

Doch Euler wäre nicht Euler gewesen, wenn er das Ergebnis einfach so hätte stehen lassen. Er beschloss, sich dem allgemeineren Problem zu widmen. Er wollte herausfinden, was die Summe über die Kehrwerte von kubischen Zahlen ergibt oder von allen natürlichen Zahlen der vierten Potenz und so weiter. Dafür führte Euler eine so genannte Zetafunktion ζ(s) ein, die eine unendliche Summation enthält:

\[ \zeta (s) = \sum_{n=1}^\infty \frac{1}{n^s} = 1 + \frac{1}{2^s} + \frac{1}{3^s} + \frac{1}{4^s}+ … \]

Das Basler Problem entspricht also dem Wert ζ(2). Euler wollte aber für alle Werte der Zetafunktion eine Lösung finden. Und tatsächlich gelang es ihm, das Ergebnis für gerade s = 2k zu berechnen. In diesem Fall ist \(\zeta(2k) = \frac{p}{q} \pi^{2k}\), wobei p und q ganze Zahlen sind – und damit stets eine irrationale Zahl. Wie sich das Ergebnis allerdings verändert, wenn s eine ungerade Zahl ist, vermochte Euler nicht zu klären. Zwar war er in der Lage, die ersten Nachkommastellen der Ergebnisse zu berechnen, aber er konnte nicht den exakten Zahlenwert ermitteln – und damit auch nicht herausfinden, ob die Zetafunktion für ungerade Zahlen ebenfalls irrationale Werte annimmt oder ob sich das Ergebnis als Bruchzahl darstellen lässt.

In den folgenden Jahren und Jahrzehnten erhielt die Zetafunktion extrem viel Aufmerksamkeit. Denn der deutsche Mathematiker Bernhard Riemann erkannte, dass sie mit der Verteilung von Primzahlen auf dem Zahlenstrahl zusammenhängt. Er machte diese Entdeckung, indem er die Zetafunktion nicht nur für natürliche Zahlen s auswertete, sondern auch komplexe Zahlen in sie einsetzte: reelle Werte, die Wurzeln aus negativen Zahlen enthalten können. Das erlaubte ihm, 1859 die berühmte, nach ihm benannte riemannsche Vermutung zu äußern, die bis heute unbewiesen ist und deren Lösung mit einer Million US-Dollar belohnt wird.

Die riemannsche Vermutung

Seit mehr als 160 Jahren zählt die riemannsche Vermutung zu einem der härtesten Probleme der Mathematik. Weltweit versuchen sich immer wieder etliche Personen an einem Beweis, doch bisher sind alle gescheitert.

Bernhard Riemann war einer der wichtigsten Mathematiker der vergangenen Jahrhunderte, der die Gebiete der Analysis, der Differentialgeometrie und der Zahlentheorie vollkommen veränderte. In seiner 1859 erschienenen Arbeit »Über die Anzahl der Primzahlen unter einer gegebenen Größe« formulierte er seine berühmte Vermutung. Dies war seine einzige Veröffentlichung im Bereich der Zahlentheorie – und dennoch zählt sie bis heute zu einem der bedeutendsten Werke dieser Disziplin.

Da Riemann hauptsächlich auf dem Fachgebiet der Analysis tätig war, die sich häufig mit stetigen oder differenzierbaren Funktionen beschäftigt, wählte er auch einen solchen Ansatz, um die Verteilung der Primzahlen zu studieren. Durch Riemanns Arbeit fanden Mathematiker später heraus, dass Primzahlen in kleinen Bereichen des Zahlenstrahls zwar willkürlich verstreut sind, aber asymptotisch (also für Intervallgrößen, die gegen unendlich gehen) regelmäßig erscheinen.

Diese Ordnung spiegelt sich in der von Riemann gefundenen Primzahlfunktion π(x) wider, welche die Anzahl aller Primzahlen bestimmt, die kleiner als eine gegebene Anzahl x sind. Die Funktion hängt von der so genannten Zetafunktion ζ ab, die Leonhard Euler bereits 1737 eingeführt hatte. Die Primzahlfunktion ist nicht exakt – die Verteilung der Primzahlen schwankt um einen Wert, der durch die Nullstellen der Zetafunktion bestimmt ist. Anders ausgedrückt: Kennt man all die Werte z, für die ζ(z) gleich null ist, kann man daraus sehr genau auf die Verteilung der Primzahlen schließen.

Riemann fiel bereits in diesem Aufsatz auf, dass die Nullstellen der Zetafunktion einem bestimmten Muster zu folgen scheinen. Das Muster entdeckte er aber erst, nachdem er die von Leonhard Euler definierte Funktion erweitert hatte: Anstatt sie nur mit den gewöhnlichen reellen Zahlen zu speisen, setzte er auch komplexe Zahlen ein, die Wurzeln aus negativen Zahlen enthalten. Schnell stieß Riemann auf »triviale« Nullstellen: Er zeigte, dass die Zetafunktion für sämtliche negativen geraden Zahlen verschwindet. Allerdings besitzt sie weitere Nullstellen, die alle auf einer Geraden zu liegen scheinen, überall dort, wo der reelle Anteil einer Nullstelle der Zetafunktion den Wert 1⁄2 hat. Diese Beobachtung ging als »riemannsche Vermutung« in die Mathematikgeschichte ein.

Als der Mathematiker David Hilbert von der Universität Göttingen im Jahr 1900 am internationalen Mathematikerkongress in Paris seine berühmte Rede zu den zehn wichtigsten offenen Problemen der Mathematik hielt, gehörte dazu die riemannsche Vermutung. Von ursprünglich zehn Problemen seiner Liste sind inzwischen acht zumindest teilweise gelöst – doch bei der riemannschen Vermutung gab es bisher kaum Fortschritte.

Anlässlich des 100. Jahrestags von Hilberts prägender Rede formulierte das Clay Mathematics Institute zur Jahrtausendwende sieben »Millennium-Probleme«, deren Lösung mit jeweils einer Million US-Dollar belohnt wird. Darunter ist die riemannsche Vermutung. Das Preisgeld erhält man aber nur für einen Beweis. Liefert man ein Gegenbeispiel, das heißt eine Nullstelle, die nicht auf der erwarteten Geraden liegt, geht man leer aus. Neben den gescheiterten Versuchen eines Beweises haben Mathematiker mit enormer Rechenleistung bisher mehrere Milliarden dieser Nullstellen berechnet, und keine wich von der vorhergesagten Geraden ab.

Auch Euler hatte zuvor bereits erkannt, dass die Zetafunktion mit Primzahlen p zusammenhängt:

\[ \zeta(s) = \prod_{p} \frac{1}{1- p^{-s}} = \frac{1}{1-2^{-s}} \cdot \frac{1}{1-3^{-s}} \cdot \frac{1}{1-5^{-s}} \cdot \frac{1}{1-7^{-s}} \cdot... \]

Die Bedeutung von ζ(s)

Der Wert ζ(s) hängt mit der Wahrscheinlichkeit zusammen, dass s zufällig gewählte Zahlenwerte primteilerfremd sind, also keinen gemeinsamen Primteiler haben. Angenommen, man hat eine Liste mit s Zufallszahlen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Zahl davon durch eine Primzahl p teilbar ist, beträgt 1p. Damit beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass alle s verschiedenen Zahlen durch eine Primzahl p teilbar sind (1p)s. Entsprechend lautet die Wahrscheinlichkeit dafür, dass mindestens eine der s Zahlen nicht durch p teilbar ist: 1 − (1p)s.

Wenn man nun sicherstellen möchte, dass alle s Zahlen keinen gemeinsamen Primteiler haben – ihr größter gemeinsamer Teiler also 1 ist –, dann muss man das Produkt von 1 − (1p)s über alle Primzahlen p bilden, also: \(\prod_p (1- \frac{1}{p^s}) \). Und das entspricht gerade dem Kehrwert der Zetafunktion, wie Euler sie ausgedrückt hatte. Damit liefert 1ζ(s) die Wahrscheinlichkeit, dass s zufällig gewählte Zahlen teilerfremd sind.

Trotz all der Aufmerksamkeit, die der Zetafunktion zuteilwurde, gelang es niemandem, den exakten Wert von ζ(3) zu ermitteln – geschweige denn, eine allgemein gültige Formel für alle ungeraden Werte der Zetafunktion zu finden, wie es Euler für die geraden Zahlen gelungen war. Besonders interessant wurde es, als ζ(3) im 20. Jahrhundert in der Physik auftauchte.

Die riemannsche Zetafunktion in der Physik

Anfang des 20. Jahrhunderts gab es einen Umbruch in der Physik. Damals entdeckten Fachleute die Quantenmechanik: eine Theorie, die das bisherige Verständnis der Natur auf den Kopf stellte. Hier verschwimmt die Grenze zwischen Teilchen und Wellen; gewisse Werte wie die Energie treten nur noch häppchenweise (gequantelt) auf, und die Formeln für die Naturgesetze enthalten Unsicherheiten, die sich nicht auf Messfehlern begründen, sondern aus der Mathematik selbst folgen.

In den 1940er Jahren gelang es den Forschenden, eine Quantentheorie des Elektromagnetismus zu formulieren. Aus dieser folgt unter anderem, dass das Vakuum niemals leer ist. Selbst im luftleeren Raum findet ein regelrechtes Feuerwerk aus kurzlebigen Teilchen-Antiteilchen-Paaren statt, die gewissermaßen aus dem Nichts entstehen und sich sogleich wieder vernichten. Möchte man elektrodynamische Prozesse beschreiben, etwa die Streuung von zwei Elektronen, muss man dieses ständige Aufflackern berücksichtigen. Denn die vergänglichen Teilchen-Antiteilchen-Paare können die Elektronen von deren Flugbahn ablenken. Möchte man diesen Effekt beschreiben, taucht eine unendliche Summe mit dem Kehrwert von Kubikzahlen auf: ζ(3)!

Für physikalische Berechnungen genügt es zwar, den Zahlenwert von ζ(3) bis auf einige Nachkommastellen zu kennen. Doch Mathematiker wollen mehr über die Zahl herausfinden – etwa, ob sie wie die Zetafunktion von geraden Werten irrational ist oder sich durch eine Bruchzahl darstellen lässt.

Apérys Beweis

Diese Frage konnte Apéry erstmals klären. Sein Beweis basiert auf einer bis dahin unbekannten Reihendarstellung von ζ(3), die der Mathematiker nach eigener Aussage in seinem Garten gefunden hatte:

\[ \zeta(3) = \frac{5}{2}\sum_{n=1}^\infty \frac{(-1)^{n-1}}{n^3 \binom{2n}{n}}\]

Mit diesem Ausdruck konnte er eine Bedingung für die Irrationalität nutzen, die Gustav Lejeune Dirchlet im 19. Jahrhundert hergeleitet hatte. Sie besagt, dass eine Zahl χ irrational ist, falls es unendlich viele teilerfremde ganze Zahlen p und q gibt, so dass folgende Ungleichung erfüllt ist:

\[ | \chi -\frac{p}{q} | < \frac{c}{q^{1+\delta}} \]

Hierbei bezeichnen c und δ konstante Werte. Die Formel sieht zwar kompliziert aus, bedeutet aber nur, dass sich χ gut durch Brüche nähern lässt, aber es keine Bruchzahl gibt, die χ entspricht. Apéry gelang es, diese Ungleichung für ζ(3) herzuleiten. Somit ist seither klar: ζ(3) ist eine irrationale Zahl.

Um die Arbeit des französischen Mathematikers zu würdigen, trägt die Zahl inzwischen seinen Namen und ist als Apéry-Konstante bekannt. Doch damit sind lange nicht alle Fragen beantwortet. Noch immer wünschen sich Fachleute einen klaren Zahlenwert von ζ(3), der sich durch bekannte Konstanten ausdrücken lässt, wie es beispielsweise bei ζ(2) = π2/6 der Fall ist. Diesem Traum ist man noch heute fern.

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