Eine Prise Chemie: Warum schmeckt Konferenzkaffee so schrecklich?
Unser Essen steckt voller chemischer Details: Hier tummeln sich leckere, wohltuende und auch schädliche Inhaltsstoffe, die faszinierende Reaktionen vollführen, wenn wir ein Gericht zubereiten oder verspeisen. In der Kolumne »Eine Prise Chemie« stellen wir die spannendsten davon vor und räumen mit Mythen über Chemie in unserer Nahrung auf.
Manchmal sieht man einem Kaffee schon von Weitem an, wie er schmecken wird – allein daran, in welchem Gefäß er sich befindet. In einer mit Kondenstropfen benetzten Kanne auf einer Warmhalteplatte etwa oder in einem dieser riesigen Heißgetränkespender, wie sie in den Pausen auf Konferenzen herumstehen. Auch an der Bezeichnung hört man manchmal den Geschmack geradezu heraus: »Konferenzkaffee« weckt zumindest bei mir die Assoziation einer trüben, muffigen Brühe, abgestanden und schal. Das einzig Tröstliche ist seine Wärme.
Darüber, was einen guten Kaffee ausmacht, lassen sich ausschweifende Diskussionen führen. Auch die Fachwelt hat noch nicht abschließend geklärt, welche Geschmacksstoffe in welcher Kombination zum besten Ergebnis führen – es gibt einfach zu viele Variablen. Dagegen sind sich die Experten überraschend einig darüber, wie ein guter Kaffee zu riechen hat. Denn die Aromen – also die Gerüche, die ein Lebensmittel verströmt – bestimmen mit, wie es uns »schmeckt«. Für den Kaffeegenuss sind die Röstaromen entscheidend, eingeteilt in vier Kategorien: karamellig-süß, röstig, erdig und rauchig. Doch der aromatische Duft nach gerösteten Bohnen verblasst, sobald man das Gebräu länger stehen lässt. Im Englischen gibt es dafür den schönen Begriff »aroma staling«. Auch hier schmeckt man schon beim Lesen geradezu, was passiert. Bis heute wird über die Hintergründe eines solchen Aromaverlusts geforscht sowie die Frage, wie man ihn verhindern könnte.
Kleine Moleküle mit speziellen Gruppierungen von Atomen (Chemiker sprechen von Strukturmotiven) rufen oft charakteristische Noten hervor. Für das süßliche Karamell-Aroma sorgen etwa Furanone, das sind Stoffe, die aus einem Fünfring von vier Kohlenstoff- und einem Sauerstoffatom bestehen und ein doppelt gebundenes Sauerstoffatom am Ring tragen. Thiole wiederum tragen die Atomgruppierung –SH und riechen oft röstig. Von ihnen spielt besonders Furfurylmercaptan eine entscheidende Rolle für das Röstaroma (es ist ebenso wichtig für den Duft von gebratenem Steak). Außerdem sind für den Kaffee Verbindungen mit zwei im Ring gebundenen Stickstoffatomen (Pyrazine) wichtig, etwa 2,3-Diethyl-5-Methylpyrazin, das einen erdigen Geruch hervorruft. Phenole wiederum riechen rauchig, etwa 2-Methoxyphenol. Ebenso finden sich in vielen gerösteten, gebratenen oder gebackenen Produkten flüchtige Aldehyde (sie werden außerdem beim Verzehr von Schokolade freigesetzt). All diese Stoffe entstehen bei der berühmten Maillard-Reaktion, die abläuft, wenn man Lebensmittel brät, backt oder röstet.
Das Zusammenspiel dieser Aromen ist entscheidend für die Kaffeequalität, aber nicht allein. Denn wie ein Lebensmittel riecht und schmeckt, hängt auch davon ab, wie die Aromakomponenten mit anderen – auf den ersten Blick für Geruch und Geschmack unerheblichen – Stoffen zusammenspielen. Bei Wein ist das bekannt: Phenole im Getränk entscheiden über das Geschmackserleben, obwohl sie keine Aromastoffe sind (Flavonoide, eine Unterart der Polyphenole, wirken aber beispielsweise adstringierend, beeinflussen also das Mundgefühl). Doch sie binden an Wein-Aromastoffe wie Vanillin, Ethylbenzoat oder 2-Ethylpyrazin, wodurch diese langsamer oder in geringerem Maße freigesetzt werden.
Was beim Wein erwünscht ist, läutet beim Kaffee hingegen den geschmacklichen Verfall ein. Grund dafür sind Melanoidine genannte »Bräunungssubstanzen«, die ebenfalls beim Rösten entstehen. Wie ihr Beiname nahelegt, lassen sie Kaffee schwarz, Brotrinde braun und knusprig oder glasierte Zwiebeln goldgelb werden. Die Melanoidine im Kaffee enthalten neben Proteinen und Polysacchariden zwei entscheidende Stoffe: Kaffeesäure (chemisch 3,4-Hydroxyzimtsäure) und Chlorogensäure, einen Ester von Kaffeesäure und Chinasäure.
Diese beiden Säuren sorgen dafür, dass sich die begehrten Aromastoffe nach einer Weile nicht mehr über Nase und Mund wahrnehmen lassen: Sie binden sie an sich. Weil davon jedoch nicht alle Stoffe im selben Maß betroffen sind, verschiebt sich das Aromaprofil. Vor allem die Konzentrationen von Furfurylmercaptan und 2,3-Diethyl-5-methylpyrazin nehmen schon nach kurzer Zeit in der Tasse (oder im Tank) stark ab, wie Versuche einer Forschungsgruppe um den Lebensmittelchemiker Michael Gigl an der TU München im Jahr 2021 gezeigt haben. Die beiden Verbindungen sind aromatisch (sie enthalten einen flachen Ring), genau wie Kaffeesäure und Chlorogensäure. Daher vermutet man, dass sie über so genannte π-π-Wechselwirkungen aneinanderbinden: Dabei ordnen sich die Moleküle so an, dass ihre flachen aromatischen Bereiche parallel übereinander liegen (im Englischen spricht man von »π stacking«, also Stapeln). Solchermaßen gebunden, lassen sich Röst- und Erdaromen nicht mehr wahrnehmen.
Etwas anderes passiert mit Aldehyden, wenn auch mit ähnlichem Effekt: Sie reagieren mit bestimmten phenolischen Verbindungen im Kaffee und sind dann nicht mehr in ihrem ursprünglichen Geschmack wahrnehmbar. Die neu gebildeten Stoffe bewirken gleichzeitig bittere Noten im Getränk. Im Prinzip entstehen also zum einen Moleküle, die den Geschmack des Kaffees verändern; zum anderen werden bestimmte Aromen an andere Inhaltsstoffe gebunden und sind dann nicht mehr durch Nase oder Mund wahrzunehmen.
Furanone wie das für die Karamellnote verantwortliche 4-Hydroxy-2,5-dimethylfuran-3(2H)-on hingegen bleiben unangetastet in der Kaffeemischung – egal, wie lange man das Gebräu warmhält. Das passt zu den Beobachtungen von Probanden: Studien zufolge schmeckt lange abgestandener Kaffee oft süßlich oder nach Karamell.
Kann man also dem schlechten Kaffee entkommen, indem man in der Konferenzpause als Erster vor dem Kaffeespender steht? Nur bedingt. Die Konzentration der Schlüsselaromen sinkt schon nach zehn Minuten merklich. Wer also nicht direkt in der Küche den ersten Becher abzwackt, muss sich auf geschmackliche Einbußen einstellen.
Es gibt aber einen Lichtblick: Man kann beeinflussen, wie stark die Qualität des aufgebrühten Kaffees abnimmt, indem man auf den Röstgrad achtet. Je heller die Röstung, desto weniger verlor Kaffee in den Testreihen an Aroma. Das erklärt auch, warum der warmgehaltene Filterkaffee mancherorts noch nach längerer Zeit gleichbleibend gut schmeckt – beispielsweise in Finnland, wo man in vielen Restaurants die Kaffeekanne auf der Warmhalteplatte antrifft und das schwarze Gebräu dennoch ungemein beliebt ist. Dort wird seit jeher auf helle Röstungen gesetzt.
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