Star-Bugs - die kleine-Tiere-Kolumne: Täuschend gemütlich
Schmetterlinge faszinieren die Menschen und sind für viele Kinder und Jugendliche die Insekten, die ihr Interesse an dieser Tierklasse wecken. So war es auch beim jungen Joachim Ziegler. »Ich habe als Schulkind angefangen, Schmetterlinge zu züchten«, erzählt der Entomologe. Er versorgte Schmetterlingslarven in einem Terrarium und beobachtete, wie sich die Tiere verpuppten und als fertige Falter schlüpften. »Mitunter habe ich mich furchtbar geärgert«, erinnert er sich. Und zwar immer dann, wenn statt Schmetterlingen kleine, graue, struppige Fliegen aus seinen Raupen schlüpften.
Der Schüler unterdrückte den Impuls, die Fliegen zu zerquetschen, und versuchte stattdessen, die Tierchen zu bestimmen. Das stellte sich als schwierig heraus: »Damals gab es noch kein zusammenfassendes Werk über die Raupenfliegen«, sagt er, »nur Einzelarbeiten.« Je mehr er sich mit den Tieren beschäftigte, desto mehr faszinierte ihn ihre Lebensweise. Und das machte ihn schließlich zum Experten für Raupenfliegen am Deutschen Entomologischen Institut in Müncheberg.
Auch die Igelfliege gehört zu den Raupenfliegen. Mehrere Fliegenarten tragen diesen Trivialnamen. Mit am häufigsten wird die Raupenfliege Tachina fera so genannt. Die Raupenfliegen sind eine ausgesprochen artenreiche Fliegenfamilie mit ganz vielfältigem Körperbau und einer großen Bandbreite von Wirten.
Wenn man sich anschaut, wie und wo sich so eine Igelfliege entwickelt – und dabei moralisierende menschliche Ansichten beiseiteschiebt –, lässt sich die Faszination durchaus nachvollziehen. Denn Igelfliegenlarven fressen andere Insekten, womit sind sie natürlich nicht allein sind: Mord und Totschlag sind gang und gäbe unter Gliederfüßern. Viele Wespenarten sind genau wie die Raupenfliegen so genannte Parasitoide. Sie leben von ihren Wirten. Und die Wirte sterben dabei.
Anders als Hautflügler fehlt fast allen Fliegen allerdings ein Legestachel. Wo Wespen und Co ihre Eier direkt in die Wirte legen und obendrein mit Giften und anderen Substanzen betäuben können, muss der Fliegennachwuchs sich selbst Zugang verschaffen zu einem Tier, das während und nach der Attacke weiterlebt, wächst und frisst. Zumindest für eine lange Zeit.
Die Beute ist nachts unterwegs, die Fliegen tagsüber
Bei Raupenfliegen wie Tachina fera kommt noch ein kleines Problem hinzu: Ihre Larven verspeisen die Raupen diverser Eulenfalter (Erebidae und Noctuidae), die aber genau wie ihre Eltern nachts unterwegs sind. Das heißt: Zu der Zeit, zu der die Igelfliegen ihre Eier ablegen, halten sich die Falterraupen im Boden versteckt.
Die Igelfliegen haben im Lauf der Evolution jedoch Mechanismen entwickelt, um diese Schwierigkeiten zu überwinden. Erstens: Die Tachina-Weibchen riechen, wo sie ihre Eier am besten platzieren. Vermutlich folgen sie zuerst den Duftstoffen, die Pflanzen abgeben, wenn Raupen an ihnen fressen. Aus der Nähe können sie dann den Geruch der Raupen oder ihres Kots aufspüren. Stubenfliegen und andere Raupenfliegenarten schmecken mit ihren Vorderfüßen. »Igelfliegen erschnuppern die Larven«, erklärt Joachim Ziegler. Dazu sind ihre Fühler in Borsten verzweigt, die mit tausenden Sinneszellen verbunden sind.
Die zweite evolutionäre Anpassung: Wenn die Weibchen ihre Eier legen, sind die Embryonen darin bereits voll entwickelt, die Larven schlüpfen deshalb mehr oder weniger sofort – und warten dann. Die ungewöhnlich dicke Haut der Maden schützt sie davor, auszutrocknen. Klettern die Eulenfalterraupen am Abend die Stängel hinauf, fühlen die Maden die Erschütterungen, finden die Raupen und heften sich an sie.
Eulenfalterraupen sind nackt. Darum gelangen die Fliegenmaden direkt an die Haut, ritzen sie an und kriechen in den Körper, bis die Spitze ihres Hinterleibs das Loch verschließt: Diese Fliegen atmen mit dem Hintern. Auch ihren Kot scheiden sie über diesen Anus aus – darum haben parasitierte Raupen zuweilen schwarze Flecken.
So ganz wehrlos sind die Eulenfalterraupen natürlich nicht. Ihre Abwehr versucht, die Fliegenmade einzukapseln. Und das gelingt auch immer wieder, weiß Ziegler zu berichten: »Mitunter findet man an Schmetterlingsraupen geschwulstartige Stellen, in denen abgestorbene Raupenfliegenlarven stecken.« Gelingt diesen aber das Eindringen, dann leben sie wie die Made im Speck: Zu Anfang ernähren sie sich von der Körperflüssigkeit der Raupen, der Hämolymphe. Wenn sie größer sind, beginnen sie, die Muskeln und schließlich die Organe der Raupe aufzufressen. Am Ende verkriecht sich die Made im Streu auf dem Boden und verpuppt sich.
Verpuppung als Tönnchen
Wie die anderen Höheren Fliegen auch verwandelt die Igelfliege ihre Madenhaut in die Puppenhülle. Die Haut wird zu einem harten Tönnchen, das sich nach und nach dunkel färbt. Wenn sie bereit sind zu schlüpfen, blähen die Fliegen ihren Kopf auf. Dazu pumpen sie Hämoplymphe in eine Blase, die aus ihrer Stirn hervortritt. Das Tönnchen platzt an zwei Nähten auf. Die Blase verschwindet wieder im Kopf der Fliege. Das funktioniert, weil der Chitinpanzer der jungen Fliege noch ganz weich ist. Aufmerksame Beobachter erkennen aber sogar die Naht im Gesicht erwachsener Fliegen, sagt Ziegler. Zuweilen sind die Spuren allerdings noch viel deutlicher: »Bei manchen Tieren hängt ein Teil der Blase noch aus dem Kopf heraus«, so der Entomologe.
Erwachsene Igelfliegen sind einigermaßen hübsch. Sie sehen aus wie Stubenfliegen, die sich als Schwebfliegen verkleidet haben. Ihr Hinterleib ist orange mit einem breiten schwarzen Längsstreifen. Tachina fera hat zudem orangefarbene Beine.
Igelfliegen durchlaufen zwei Generationen pro Jahr. Die Frühsommergeneration legt im Mai und Juni ihre Larven ab. Die fertigen Fliegen schlüpfen im Hochsommer, und ihre Larven machen sich im August und September auf die Suche nach Eulenfalterraupen. Sie überwintern als Puppen und schlüpfen im nächsten Jahr. Anders als beim Säugetierigel dienen die schwarzen Borsten bei den Igelfliegen übrigens nicht zur Verteidigung. Auch zum Stechen sind die Fliegen nicht fähig. Die Borsten sind mit Sensillen, also Nervenzellen, verbunden und helfen den Fliegen unter anderem dabei, ihren Flug zu steuern.
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