Star-Bugs - die Kleine-Tiere-Kolumne: Im Tarnumhang mit rotem Unterrock
Taschenlampen leuchten, Kameras blitzen – doch das Große Eichenkarmin (Catocala sponsa) lässt sich von der Aufmerksamkeit nicht beeindrucken. Völlig ungerührt saugt der Nachtfalter an den Köderschnüren, die hier im Baum hängen. »Der macht doch schon was her für einen Nachtfalter«, sagt Karl-Heinz Jelinek. Er leitet für das Umweltbildungszentrum Gut Leidenhausen diesen Leuchtabend. Denn wer Nachtfalter beobachten möchte – 90 Prozent der Schmetterlingsarten sind nachts unterwegs –, muss ein bisschen Aufwand treiben.
Eine Stunde zuvor, der Himmel über der Streuobstwiese am Rand der Wahner Heide bei Köln färbt sich abendlich blau. Karl-Heinz Jelinek zieht den Deckel von einem orangefarbenen Plastikeimer. »Das riecht gar nicht übel!«, sagt ein Teilnehmer der Nachtfalter-Exkursion. Tatsächlich erinnert der Geruch aus dem Eimer an Glühwein.
Kein Wunder, denn Jelinek hat Stoffstreifen und Seilenden in ein Gemisch eingelegt, das auch für viele Nachtfalter des Spätsommers verlockend riecht. Es besteht aus billigem lieblichem Rotwein, reichlich Zucker, etwas Apfelmus, um die Mischung anzudicken, und einem ordentlichen Schuss Pflaumenschnaps. Den habe ein Bekannter selbst gebrannt, erzählt Jelinek. Seine Frau habe ihn als nur für äußerliche Anwendungen geeignet klassifiziert. Oder eben für die Falter. »Mag sein, dass es gut riecht«, sagt der Schmetterlingsexperte, »aber es zu trinken, würde ich nicht empfehlen.«
Jetzt im August neigt sich die Saison für Insekten schon dem Ende entgegen. Die Zeit der üppigen Blütenpracht ist vorbei. Doch erwachsene Insekten benötigen Zucker, vor allem die Insekten, die fliegen. Wenn es keinen Nektar gibt, besorgen sie sich die Kohlenhydrate an reifen oder schon leicht angegammelten Früchten, die am Strauch hängen oder vom Baum gefallen sind. Das reife Obst gärt und riecht entsprechend nach Alkohol.
Jelinek hat sich dicke Arbeitshandschuhe übergestreift. Mit weit ausgestreckten Armen hängt er die tropfenden Stoffstreifen in die niedrigen Zweige der Kirsch- und Apfelbäume.
Die Leuchttürme imitieren Sterne
Während sie auf die Dunkelheit warten, bauen Karl-Heinz Jelinek und seine Mitstreiter vier »Leuchttürme« auf. Das sind weiße Gazeröhren – wie ein Ganzkörper-Imkerhut. Im Innern hält sie eine Stange mit einer Leuchte aufrecht. Aus der Ferne wirken sie in der Dunkelheit wie Portale in eine andere Dimension.
Auch wenn das etwas absurd erscheint: Diese großen blau-weiß leuchtenden Zylinder imitieren die Sterne. Ziemlich plump, aber für die Falter (und einen Haufen anderer Insekten auch, wie sich im Lauf des Abends zeigt) funktioniert es.
Normalerweise orientieren sich Nachtfalter an den Sternen. Wenn eine künstliche Lichtquelle die Sterne überstrahlt, halten sie sich an dieses irdische Licht. Die Lichtverschmutzung macht vielen nachtaktiven Tieren das Leben schwer. Denn Leuchten haben einen entscheidenden Unterschied zu den Sternen, den Jelinek sich an diesem Abend zu Nutze macht: Weil die Leuchttürme so viel näher liegen als die Sterne, fliegen die Falter im Kreis um sie herum und kommen dabei immer näher. Bis sie auf der Gaze landen.
Hausmütter, verschiedene Wickler und Eulenfalter (zu denen auch das Große Eichenkarmin gehört), Motten und Zünsler finden sich ein. Auch Wanzen, Käfer, Heuschrecken, Ameisen und natürlich reichlich Stechmücken schauen vorbei.
Lichtverschmutzung – zu viele künstliche Sterne
Aber längst nicht alle Falter fallen auf die Lichtfalle herein. »Es gibt Arten, die muss man über die Raupen nachweisen«, sagt Karl-Heinz Jelinek. Wieder andere lockt er mit den weingetränkten Duftködern an. Das Große Eichenkarmin ist tatsächlich der erste Falter, der sich darauf niederlässt. Mit seinen sechs bis sieben Zentimetern Spannweite ist es ein stattlicher Falter. Wie bei vielen Nachtfaltern sind seine vorderen Flügel braungrau marmoriert mit weißen Sprenkeln. Sie machen das Insekt auf Eichenrinde tagsüber fast unsichtbar.
Auch die Raupen und Puppen des Großen Eichenkarmins sind mit diesem Muster getarnt. Wenn sie im Frühjahr aus ihren Eiern schlüpfen, fressen sie an Eichen; die nächsten stehen im Innenhof des früheren Ritterguts. Aber im angrenzenden Naturschutzgebiet finden sich ebenfalls genügend Bäume dieser Gattung. Wenn sich die Larven satt gefressen haben, krabbeln sie zum Boden, spinnen sich ein und verpuppen sich. Ab Juli schlüpfen die ausgewachsenen Tiere und fliegen bis in den September hinein.
Die Falterweibchen verteilen ihre Eier über große Distanzen
Dann steht die Paarung an. Obwohl sie gut fliegen können, bewegen sich die Weibchen des Großen Eichenkarmins die erste Zeit danach viel zu Fuß fort. Sie tragen so viele Eier in sich, dass sie zum Fliegen eigentlich zu schwer sind. Sie brauchen nicht besonders weit zu fliegen, denn ihr Nachwuchs findet an dem Eichenbaum, an dem sie selbst geschlüpft sind, auch im nächsten Jahr wieder gute Bedingungen vor.
Wenn das Weibchen einen großen Teil seiner Eier abgelegt und sich auf diese Weise erleichtert hat, fliegt es los und sucht in größerer Entfernung nach einer geeigneten Stelle für weitere Gelege. Wenn ihr alter Baum im Winter unter Schneelast zusammenbricht, kann sie ihr Erbgut immer noch an den anderen Stellen weitergeben.
2024 ist ein miserables Schmetterlingsjahr
Früher sei das Große Eichenkarmin selten gewesen, sagt der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Rheinisch-Westfälischer Lepidopterologen. Im Dürresommer des Jahres 2018 dann hat Karl-Heinz Jelinek ungeheure Massen beobachtet. Als er damals durch einen ausgetrockneten Wald lief, habe er die Eichenkarmine beim Vorbeigehen von den Bäumen aufgeschreckt. »Die Art ist Wärme liebend und hat von der Hitze profitiert, wahrscheinlich auch von der Trockenheit.«
2024 hingegen ist ein miserables Schmetterlingsjahr, wie schon 2023. Das beklagen auch andere Experten und Expertinnen. Der Frühling bot schlechte Bedingungen. Das hat die Entwicklung der Schmetterlinge und ebenso der Nahrungspflanzen gebremst.
An diesem Abend ist es eigentlich zu feucht. Das Gras ist nass vom Tau. In den ersten Stunden sind mehr Hornissen an den Ködern als Falter. Aber immerhin ein Großes Eichenkarmin.
Das Eichenkarmin auf dem Köderstreifen bleibt minutenlang sitzen. »Der Falter muss wirklich ausgehungert sein«, sagt Jelinek, »oder ganz frisch geschlüpft.« Dann müsse er jetzt erst mal Energie tanken. »Können wir den ein bisschen anstupsen, damit er seinen Flügel öffnet?«, fragt eine Teilnehmerin. Eichenkarmine sind nicht besonders scheu, auch dieses lässt sich gut beobachten; und wenn man sich ihnen zärtlich genug nähert, entblößen sie manchmal ihre Hinterflügel. Die leuchten rot mit zwei schwarzen Streifen. »Damit kann er Fressfeinde erschrecken«, sagt Jelinek. Diesem Tier wird es dann doch zu bunt. Vielleicht ist es auch satt. Es fliegt davon. Und sucht sich ein Weibchen.
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