Star-Bugs - die kleine-Tiere-Kolumne: Auf Wiedersehen, Mosel-Apollo?
Schroff ragen die Felsen aus den steilen Hängen an der Mosel, umrahmt von den adretten Reihen der Weinreben, einzelnen Büschen und Bäumchen. Rosa leuchten die Blüten des Weißen Mauerpfeffers (Sedum album) zwischen den Rieslingtrauben, daneben blühen violett die Disteln und Flockenblumen. Auf beides – Felsen und Mauerpfeffer – ist der Mosel-Apollofalter (Parnassius apollo vinningensis) angewiesen. Beides ist hier bei Kobern-Godorf zur Genüge vorhanden. Und doch geht es mit dem Schmetterling seit gut zehn Jahren steil bergab.
»Wir gucken dem Mosel-Apollofalter gerade beim Aussterben zu«, sagt Jörg Hilgers. An diesem Nachmittag Anfang Juli 2024 haben das Weinbau- und das Umweltministerium Rheinland-Pfalz Vertreter von Naturschutzbehörden sowie Umweltschutz- und Landwirtschaftsverbänden zu einem Lokaltermin nach Kobern-Godorf geladen, 20 Autominuten westlich von Koblenz. Es geht um die Rettung dieser lokalen Unterart des Roten Apollos (Parnassius apollo).
Jörg Hilgers kennt sich aus an der Untermosel, hat mit seinem Naturschutz- und Planungsbüro den Bestand des Falters überwacht und Projekte durchgeführt, um ihn zu schützen und zu unterstützen. »Ich habe in diesem Jahr 60 Stunden Apollo-Monitoring durchgeführt«, erzählt der Biologe, »und ganze vier Apollos gesehen.« Mit einem klingenden »Tonk« stellt Hilgers einen Blecheimer mit violetten Blumen auf die Trockenmauer, die hier den Weinberg stützt. Noch vor gut zehn Jahren habe ein solcher Strauß Skabiosen-Flockenblumen (Centaurea scabiosa) genügt, um zwei Dutzend Falter auf die Blüten zu locken. An diesem Tag fehlt vom Mosel-Apollo jede Spur.
Zwar flattern immer wieder weiße Falter vorbei, aber Kenner wie Daniel Müller drehen gar nicht erst den Kopf. Der Biologe kann einen Apollo am Flug von einem der vielen Weißlinge unterscheiden. Der Apollo bewegt sich viel ruhiger als die agil-hektischen Weißlinge. Müller arbeitet im Büro von Jörg Hilgers und engagiert sich ehrenamtlich für den Schutz von Faltern. Er ist praktisch mit dem Apollo aufgewachsen, begeisterte sich schon als Kind für Schmetterlinge, fotografierte keine 300 Meter entfernt seinen ersten Mosel-Apollo.
Der Lebensraum muss stimmen
Der Apollofalter weiß genau, was er will: Felsen mit spärlichem Bewuchs. Er mag es trocken und heiß, lässt sich nur bei mindestens 28 Grad Celsius und Sonnenschein blicken. Deshalb ist er nach dem antiken Gott des Lichts benannt. Aus der Ferne mag man ihn für einen Weißling halten, aber aus der Nähe ist die Ritterfalterart unverwechselbar: Die Vorderflügel sind weiß und mit einem halben Dutzend tiefschwarzer Flecken geschmückt. Auf der Oberseite der ebenfalls weißen Hinterflügel prangen zwei rote Punkte mit weißem Kern und schwarzem Rand. Die Unterseite trägt ebenfalls eine Reihe roter Punkte.
Um auf die Situation des Mosel-Apollofalters aufmerksam zu machen, haben die Arbeitsgemeinschaft Rheinisch-Westfälischer Lepidopterologen (ARWL) und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ihn zum »Schmetterling des Jahres 2024« gekürt.
Kaum ein Schmetterling hier zu Lande ist so streng geschützt wie er. So wollen es das Bundesnaturschutzgesetz und die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie. Die CITES, die über das Washingtoner Artenschutzabkommen wacht, hat den Handel mit Apollofaltern weltweit verboten – als einzigem außertropischem Schmetterling. Auf der Roten Liste Deutschland ist er als »stark gefährdet« eingestuft. Allerdings stammt diese Einschätzung aus dem Jahr 2011 – das war das letzte Jahr, in dem es dem Mosel-Apollo noch verhältnismäßig gut ging.
Ein erstes Comeback gelang
Damals war der Mosel-Apollo schon einmal zurückgekommen. In den 1970er Jahren spritzten Winzer ihre Parzellen intensiv mit Giften gegen Insekten und Milben. Auf Initiative der ARWL und anderer Verbände schränkten die Weinbauern den Einsatz ein. Das blieb auch so, als die Winzer Chemie gegen Pilzkrankheiten ihrer Reben vom Hubschrauber aus verteilten. Sie tun das meistens übrigens vorsorglich, noch ehe klar ist, dass Pilze sich breitmachen.
Auch das Jahr 2012 begann aus Sicht der Schmetterlingsforscher viel versprechend. Im Frühjahr waren viele Raupen des Mosel-Apollos unterwegs. Im Sommer aber fanden die Lepidopterologen an Stellen in Kobern-Godorf, wo sie 2008 noch mehr als 100 Tiere gesehen hatten, nur einzelne ausgewachsene Falter. Und so ist die Situation bis heute.
Viele Faktoren beeinflussen Schmetterlingspopulationen: Witterung, Landwirtschaft, die Qualität ihrer Lebensräume – vor allem bei einem Falter, der so stark spezialisiert ist wie der Apollo. Der plötzliche Einbruch spricht nach Einschätzung von Naturschützern aber dafür, dass es einen einzelnen schwer wiegenden Faktor im Jahr 2012 gegeben hat.
Was geschah 2012?
Tim Laußmann vom ARWL ist promovierter Chemiker. Er schaute sich Anfang 2023 an, welche Gifte die Hubschrauber verspritzen. Eine Liste der Mittel veröffentlicht die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion des Landes Rheinland-Pfalz (ADD) auf ihrer Website. »Ich war total geschockt«, sagt er.
»Ich war total geschockt«
Tim Laußmann
Einige der Mittel gegen Pilze – darunter Succinatdehydrogenase-Inhibitoren (SDHI) – wurden just im Jahr 2012 zugelassen. SDHI nutzen einen anderen Mechanismus als frühere Substanzen: Sie stören die Zellatmung der Pilze, aber auch anderer Lebewesen. Und sie gehören zu den per- und polyfluorierten Alkylverbindungen, kurz PFAS, also zu besonders langlebigen Umweltchemikalien. Die Pilzgifte reichern sich im Boden an, nach einem Jahr ist gerade einmal die Hälfte dieser Substanzen abgebaut.
Befürworter der Spritzungen und Vertreter der Landesbehörden sagen, die Verbuschung der Hänge könnten hinter dem Rückgang des Mosel-Apollofalters stecken. Von der Landwirtschaft auf der Ebene oberhalb der Moselhänge gelangt Stickstoffdünger auf die Hänge. Brombeeren, Schlehen und Gräser machen sich breit. Ihnen hilft die Klimaerwärmung zusätzlich. Auch setzten extreme Hitze und Trockenheit vielen Faltern zu – aber Insekten wie der Mosel-Apollo können durchaus von mehr Wärme profitieren. Andreas Segerer, Experte für Schmetterlinge und Insektensterben von der Zoologischen Staatssammlung München, sagt: »Die Wärme liebenden Insektenarten würden ohne den Klimawandel wahrscheinlich noch schneller aus unserer Landschaft verschwinden.« Und so recht verfangen die beiden Argumente nicht. Schließlich ist der Mosel-Apollo heute auch von Stellen, wo seine Lebensräume intakt sind und er früher häufig war, verschwunden.
Fungizide im Verdacht
Das rückt wieder die Gifte in den Fokus. Wirklich klar ist allerdings nur der zeitliche Zusammenhang. Denn eine Studie zu den konkreten Auswirkungen der Pilzgifte auf den Apollofalter fehlt bislang.
Anfang 2023 bat der Chemiker Tim Laußmann das Umweltbundesamt (UBA) um eine Einschätzung der verspritzen Mittel. Das UBA kam zu dem Schluss, »dass 16 der mit dem Hubschrauber anwendbaren Fungizide ein so großes Schädigungspotenzial für Arthropoden haben«, dass die Behörde empfiehlt, einen Mindestabstand von 5 bis 30 Metern zum Lebensraum der Apollofalter zu halten – eine Vorgabe, die mit dem Hubschrauber kaum einzuhalten sei, schreibt das UBA.
Zuständig für die Genehmigung ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL); das UBA berät lediglich. In diesem Fall vergeblich: Das BVL hat den Einsatz an der Mosel auch 2024 genehmigt. Zwar kommen wohl nicht mehr alle Mittel zum Einsatz, allerdings noch immer langlebige SDHI.
Denn Weinbau an den steilen Hängen der Mosel ist harte Arbeit. Darauf weisen die Vertreter der Winzerverbände immer wieder hin. Aus den Reden an diesem Tag in Kobern-Gondorf wird schnell klar, dass die Landwirtschaft immer an erster Stelle steht. Und grundsätzlich braucht der Apollofalter den Weinbau im Moseltal ja sogar. Wie überall erhält die Landwirtschaft die Kulturlandschaft, verhindert, dass sich Büsche auf offenen Flächen ausbreiten. Aber die Mittel, die dafür zum Einsatz kommen, machen die positiven Effekte inzwischen völlig zunichte – auch da ist der Weinbau nicht allein.
Künftig sollen Drohnen die Gifte so ausbringen, dass sie mehr auf den Rebhängen und weniger auf den Felsen landen. Ein solches Gerät verspritzt an diesem Nachmittag zur Demonstration Wasser über einer Weinparzelle. Die Methode soll genauso viel kosten, aber viel präziser sein. Doch es fehlten Piloten, die die Drohnen vom Boden aus steuern.
Für den Schmetterlingsexperten Andreas Segerer greift das zu kurz: »Wirklich effektiven Schutz für den Apollo und viele andere ist nur zu erreichen, wenn es einen fundamentalen Wandel in der Landwirtschaft gibt.«
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