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Die fabelhafte Welt der Mathematik: Stringtheoretiker finden eine neue Formel für Pi

Anfang 2024 wurde eine neue Gleichung zur Berechnung von Pi vorgestellt. Zwei indische Physiker stießen darauf, als sie versuchten, dem Konzept einer Weltformel näherzukommen.
Pi
Seit Jahrtausenden fasziniert die Kreiszahl Pi die Menschheit – und sorgt immer wieder für Überraschungen.
Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen hin zu Steuertricks. Die Artikel können Sie hier lesen oder als Buch kaufen.

Die Kreiszahl Pi ist bereits an den unmöglichsten Orten aufgetaucht. Man kann sie beim Billardspiel entdecken, in der Mandelbrotmenge oder in Streichholzschachteln. Und tatsächlich sorgt die Zahl Pi auch immer wieder für neue Überraschungen – zuletzt im Januar 2024, als Arnab Priya Saha und Aninda Sinha eine völlig neue Formel zur Berechnung der Kreiszahl vorgestellt haben. Saha und Sinha sind allerdings keine Mathematiker und hatten auch gar nicht nach einer solchen Gleichung gesucht. Eigentlich widmen sich die beiden Forscher einem völlig anderen Thema: Sie arbeiten an einer Weltformel.

Die beiden indischen Physiker Saha und Sinha sind Stringtheoretiker. Diese Theorie versucht, die vier bekannten Grundkräfte unserer Welt – Elektromagnetismus, Gravitation sowie die starke und die schwache Kernkraft – miteinander in Einklang zu bringen. Im Bild der Stringtheorie sind die Grundbausteine des Universums keine Teilchen wie Elektronen oder Photonen, sondern winzige Fäden, die wie die Saiten einer Gitarre schwingen und so alle sichtbaren Phänomene hervorrufen. Saha und Sinha haben in ihrer Arbeit untersucht, wie diese Fäden miteinander wechselwirken – und sind dabei zufällig auf neue Formeln gestoßen, die mit wichtigen mathematischen Größen zusammenhängen.

Schon vor mehreren Jahrtausenden versuchte die Menschheit, den genauen Wert von Pi zu bestimmen. Das ist nicht allzu erstaunlich, denn man braucht die Zahl, um den Umfang oder die Fläche eines Kreises zu berechnen. Deshalb entwickelten bereits antike Gelehrte geometrische Ansätze, um dessen Wert zu berechnen. Ein berühmtes Beispiel ist Archimedes, der π mit Hilfe von Vielecken abschätzte. Indem er ein n-Eck innerhalb und eines außerhalb eines Kreises einzeichnete und jeweils dessen Umfang berechnete, konnte er den Wert von Pi eingrenzen.

Annäherungen an Pi | Die übliche Methode, um Pi geometrisch zu bestimmen, besteht darin, ein begrenzendes Vieleck innerhalb und außerhalb eines Kreises zu zeichnen und die beiden Umfänge miteinander zu vergleichen.

Diese Methode wird oft in der Schule vorgestellt. Doch selbst wenn Sie sich nicht mehr daran erinnern, können Sie sich wahrscheinlich vorstellen, dass das Verfahren ziemlich aufwändig ist. Archimedes ging so weit, die Umfänge von 96-Ecken zu vergleichen, um zu beweisen, dass Pi zwischen 3,1408 und 3,1429 liegt. Wirklich praktikabel ist dieser Ansatz also nicht, um Pi exakt zu berechnen.

Unendliche Reihen, um Pi zu bestimmen

Das änderte sich um das 15. Jahrhundert herum, als Fachleute erstmals unendliche Reihen fanden, um Pi auszudrücken. Indem man deren Zahlen nach und nach summiert, erhält man demnach den Wert der Kreiszahl – je mehr Summanden man betrachtet, umso genauer wird das Ergebnis. Ein berühmtes Beispiel für eine solche Reihe fand der indische Gelehrte Madhava (1350–1425): »Multipliziere den Durchmesser (des Kreises) mit 4 und dividiere durch 1. Dann wende auf das Ergebnis abwechselnd mit negativem und positivem Vorzeichen das Produkt aus dem Durchmesser und 4 geteilt durch die ungeraden Zahlen 3, 5 und so weiter an. Das Ergebnis ist der genaue Umfang; er fällt sehr genau aus, wenn man die Division mehrfach ausführt.« So lautet eine Übersetzung von Madhavas Arbeit. In Formeln übersetzt bedeutet das:

\[ \frac{\pi}{4} = 1 -\frac{1}{3} + \frac{1}{5} – \frac{1}{7} + \frac{1}{9} – \frac{1}{11} \pm …\]

Diese Formel ermöglicht es, Pi auf sehr einfache Weise beliebig genau zu bestimmen. Man muss kein großer Rechenkünstler sein, um die Gleichung konkret auszuwerten – aber man braucht durchaus Geduld. Denn es dauert lange, bis man genaue Ergebnisse erzielt. Selbst wenn man 100 Summanden auswertet, liegt man am Ende noch ziemlich weit daneben.

Wie Saha und Sinha Anfang des Jahres 2024 – also mehr als 600 Jahre später – herausfanden, ist Madhavas Formel nur ein Spezialfall einer viel allgemeineren Gleichung, um Pi zu berechnen. Die beiden indischen Stringtheoretiker stießen in ihrer Arbeit nämlich nicht nur auf eine einzige Berechnungsmethode für Pi, sondern auf unendlich viele. Die von ihnen entdeckte Formel für die Kreiszahl lautet folgendermaßen:

\[\pi = 4 + \sum_{n=1}^\infty \frac{1}{n!}\left(\frac{1}{n+\lambda} – \frac{4}{2n+1} \right)\left(\frac{(2n+1)^2}{4(n+\lambda)}-n \right)_{n-1} \]

Es handelt sich also ebenfalls um eine unendlich lange Summe. Auffällig ist, dass diese von einem ominösen Faktor λ abhängt – einem frei wählbaren Parameter. Das heißt: Völlig egal, welchen Wert λ hat, die Formel wird immer Pi ergeben. Und da es unendlich viele unterschiedliche Zahlen gibt, die λ entsprechen können, haben Saha und Sinha unendlich viele Formeln für Pi gefunden.

Geburtstagskuchen | Ein weiterer unerwarteter Ort, an dem Pi aufgetaucht ist: auf dem Kuchen, den mir meine liebsten Kollegen zum Geburtstag gebacken haben.

Falls λ unendlich groß ist, entspricht die Gleichung der Formel von Madhava. Das lässt sich folgendermaßen erklären: Da λ immer nur im Nenner von Brüchen auftaucht, werden die entsprechenden Brüche für λ = ∞ gleich null (denn Brüche mit großen Nennern sind sehr klein). Für λ = ∞ nimmt die Gleichung von Saha und Sinha also folgende Form an:

\[\pi = 4 – 4\sum_{n=1}^\infty \frac{1}{n!} \frac{1}{2n+1} \left(-n \right)_{n-1} \]

Der erste Teil der Gleichung ähnelt bereits Madhavas Formel: Man summiert Brüche mit ungeraden Nennern. Der letzte Teil der Summe (−n)n−1 ist hingegen weniger geläufig. Das tiefergestellte n−1 ist das so genannte Pochhammer-Symbol. Allgemein entspricht der Ausdruck (a)n dem Produkt a(a+1)(a+2)·...·(a+n−1). Zum Beispiel ist (5)3 = 5·6·7 = 210. Und das Pochhammer-Symbol in der obigen Formel ergibt demzufolge: (−n)n−1 = (−n)·(−n+1)·(−n+2)·...·(−n+n−3)·(−n+n−2).

Mit wenigen Schritten zu Madhavas Formel

Das sieht zunächst kompliziert aus, lässt sich aber schnell vereinfachen. Erst einmal kann man aus jedem Faktor −1 herausziehen: Das Vorzeichen vor dem riesigen Produkt ist demnach −1, falls n ungerade ist und +1, falls n gerade ist. Also erhält man: (−n)n−1 = (−1)n(n)·(n−1)·(n−2)·...·(nn+3)·(nn+2). Die letzten Faktoren lassen sich weiter vereinfachen: (−n)n−1 = (−1)n·n·(n−1)·(n−2)·...·3·2·1. Und nun kann man bereits erkennen, was dieser längliche Ausdruck eigentlich ist, nämlich: (−n)n−1 = (−1)n·n! Damit ergibt sich insgesamt:

\[ \begin{split} \pi &= 4 – 4\sum_{n=1}^\infty \frac{1}{n!} \frac{1}{2n+1} \left(-n \right)_{n-1} \\ &= 4 – 4\sum_{n=1}^\infty \frac{1}{n!} \frac{1}{2n+1}\cdot (-1)^n \cdot n! \\ &= 4 – 4\sum_{n=1}^\infty (-1)^n\frac{1}{2n+1} \end{split} \]

Und das entspricht Madhavas Formel. In der Gleichung, die Saha und Sinha gefunden haben, ist also auch die von Madhava entdeckte Reihe enthalten. Doch wie die beiden Stringtheoretiker berichten, lässt sich Pi für kleinere Werte von λ viel schneller berechnen. Während man mit dem Ergebnis von Madhava 100 Terme berücksichtigen muss, um bis auf eine Abweichung von 0,01 an Pi heranzukommen, benötigt man mit der Formel von Saha und Sinha für λ = 3 nur die ersten vier Summanden. »Während die Reihe (von Madhava) fünf Milliarden Terme braucht, um auf zehn Dezimalstellen zu konvergieren, genügen mit der neuen Darstellung mit einem λ zwischen 10 und 100 bloß 30 Terme«, schreiben die beiden Autoren in ihrer Arbeit.

Näherungen für Pi im Vergleich | Es gibt viele verschiedene Formeln zu Berechnung von Pi. Die Grafik zeigt den berechneten Wert Sn, den man nach der Addition von n Summanden erhält.

Damit haben Saha und Sinha jedoch nicht die effizienteste Methode gefunden, um Pi zu berechnen. Seit einigen Jahrzehnten sind andere Reihen bekannt, die viel schneller einen erstaunlich genauen Wert der Kreiszahl liefern. Wirklich überraschend ist, wie die beiden Stringtheoretiker auf die neue Formel für Pi gestoßen sind. Ihr Paper dreht sich nämlich eigentlich um die Wechselwirkung von Strings. Sie entwickelten eine Methode, um anzugeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit zwei geschlossene Strings miteinander interagieren werden – nach so etwas hatten viele Stringtheoretiker jahrzehntelang erfolglos gesucht. Die beiden Forscher haben damit auch aus physikalischer Sicht beeindruckende Ergebnisse erzielt. Als Saha und Sinha die dabei auftretenden Gleichungen genauer unter die Lupe nahmen, fiel ihnen auf, dass sie auf diese Weise die Kreiszahl Pi ausdrücken könnten – und auch die Zetafunktion, das Herzstück der riemannschen Vermutung, eines der größten ungelösten Rätsel der Mathematik. Die neuen Formeln für Pi und die Zetafunktion zieren aber nur den allerletzten Absatz von Sahas und Sinhas Arbeit. »Unsere Motivation bestand nicht darin, eine Formel für Pi zu finden«, sagt Sinha in einem Youtube-Video von Numberphile. »Aber wir waren sehr aufgeregt, als wir das Ergebnis gesehen haben.«

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