Die fabelhafte Welt der Mathematik: Pi ist überall – Teil 3.141: Das buffonsche Nadelproblem
Manche Menschen scheinen als Tollpatsch geboren – ich zähle mich definitiv dazu. Häufig lasse ich versehentlich etwas fallen oder werfe etwas um. Fällt allerdings mal eine Schachtel voller Streichhölzer auf den Boden, kann das aus mathematischer Sicht interessant sein. Vor allem, wenn das Missgeschick über Laminat oder Holzdielen geschieht. Denn durch die Position der kleinen Holzstäbchen kann man – wer hätte es gedacht? – wieder einmal die Zahl Pi berechnen.
Das erkannte erstmals der französische Naturforscher Georges-Louis Leclerc (1707–1788), mit adligem Namen Comte de Buffon. Wie er herausfand, lässt sich die Größe von Pi berechnen, indem man alle Hölzchen zählt und durch die Anzahl jener teilt, die auf einer Fuge zwischen zwei Dielen gelandet sind. Wie üblich bei solchen Berechnungen gilt: Je mehr Streichhölzer, desto genauer ist in der Regel das Ergebnis.
Inspiriert durch einen Zeitvertreib von Adligen
Leclerc stieß wohl aber nicht auf diesen unerwarteten Zusammenhang, weil er tollpatschig war und Streichhölzer herunterwarf. Inspiriert hatte ihn vermutlich eher ein damals unter Adligen beliebtes Spiel: Man warf eine Münze auf ein Kachelmuster und wettete darum, ob diese auf einer Fuge landen würde oder nicht. Allerdings gab Leclerc für quadratische Muster die falsche Formel an – anders als für den Fall der Streichhölzer, das inzwischen als buffonsches Nadelproblem bekannt ist.
Wieder erscheint es unglaublich, dass durch eine so einfache Methode, die auf den ersten Blick nichts mit der Geometrie des Kreises zu tun hat, die irrationale Zahl Pi entsteht. Um zu verstehen, warum das so ist, nehmen wir der Einfachheit halber an, dass die Dielen genau doppelt so breit sind wie die Streichhölzer. Für andere Längenverhältnisse funktioniert die Berechnung natürlich auch, allerdings muss man das Ergebnis am Ende noch mit einem entsprechenden Faktor, der vom Längenverhältnis abhängt, multiplizieren, um Pi zu erhalten.
Wenn man N Streichhölzer auf einem Dielenboden fallen lässt, werden sie sich zufällig in der Ebene verteilen. Möchte man bestimmen, wie groß der durchschnittliche Anteil jener Streichhölzer ist, die auf der Fuge zwischen zwei Dielen landen, braucht man die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Zunächst muss man dazu die Position der Hölzchen mathematisch beschreiben. Da sie in einer zweidimensionalen Ebene landen, genügen dafür zwei Größen. Wie sich herausstellt, sind folgende am geeignetsten: x beschreibt den Abstand zwischen dem Mittelpunkt des Stöckchens und der nächstgelegenen Lücke, θ entspricht dem Neigungswinkel, den das Streichholz mit der Fuge einschließt.
Nun muss man herausfinden, für welche Werte von x und θ das Streichholz der Länge l auf einer Fuge liegt. Wie im oberen Bild dargestellt, befindet sich für x = 0 der Mittelpunkt des Hölzchens genau auf einer Lücke. Je größer x, desto weiter entfernt es sich davon. Sobald der Wert x > l⁄2·sin(θ) übersteigt, berührt das Streichholz die Fuge nicht mehr.
Wahrscheinlichkeitsrechnung führt zu Pi
Nun geht es an die Wahrscheinlichkeiten: Da wir annehmen, dass die Streichhölzer zufällig auf dem Boden landen, ist die Position des Mittelpunkts der Hölzchen gleichverteilt. Allerdings gibt es selbst auf einem schmalen Balken unendlich viele Orte, an dem das Hölzchen auftreffen kann. Um Wahrscheinlichkeiten für unendlich viele mögliche Ereignisse zu beschreiben, nutzt man so genannte Wahrscheinlichkeitsdichten. Dabei geht man fast genauso vor wie im endlichen Fall. Wenn man etwa wissen möchte, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Würfel auf einer bestimmten Zahl landet, bildet man den Kehrwert der gesamten Möglichkeiten. Denn wenn man die Wahrscheinlichkeiten für alle möglichen Ergebnisse aufaddiert, erhält man den Wert eins: \(\sum_{k=1}^6 \frac{1}{6} =1.\)
Bei unendlich vielen Ereignissen wird die Summe hingegen zu einem Integral. Möchte man herausfinden, wie hoch die Wahrscheinlichkeitsdichte für ein bestimmtes Ereignis ist – etwa auf einer Diele der Breite l zu landen –, dann bildet man ebenfalls den Kehrwert der Größe: 1/l. Integriert man dann alle möglichen Positionen zwischen null und l auf und gewichtet sie jeweils mit der Dichte 1/l , erhält man analog zum endlichen Fall das Ergebnis eins: \[\int_0^l \frac{1}{l} dx = 1.\]
Auch der Winkel θ, in dem das Streichholz auftrifft, ist vollkommen willkürlich: Er kann zwischen 0 und 180 Grad betragen (Winkel jenseits von 180 Grad ignorieren wir, da diese Lage des Hölzchens aus Symmetriegründen bereits abgedeckt ist). Demnach entspricht die Wahrscheinlichkeitsdichte 1⁄180, beziehungsweise in Radiant ausgedrückt: 1⁄π.
Somit kann man nun die Wahrscheinlichkeit dafür bestimmen, dass ein Streichholz eine Fuge berührt: Der Mittelpunkt x muss kleiner als l⁄2·sin(θ) sein, was die Integrationsgrenze für die Position festlegt. Der Winkel kann hingegen immer noch beliebig zwischen 0 und π variieren. Somit ergibt sich die Wahrscheinlichkeit durch folgende Integrale: \[\int_0^\pi \int_0^{\frac{l}{2}\sin(\theta)} \frac{1}{l}\frac{1}{\pi} dx d\theta .\] Zunächst muss man die x-Integration durchführen und erhält: \[\int_0^\pi \frac{l}{2}\sin(\theta) \frac{1}{l}\frac{1}{\pi} d\theta .\] Die Länge l lässt sich herauskürzen: \[\int_0^\pi \frac{1}{2\pi}\sin(\theta) d\theta .\] Nun führt man die θ-Integration durch: \[ -\frac{1}{2\pi}\cos(\theta) \bigg|_0^\pi = \frac{1}{\pi}\]
Glückstreffer oder Scherz?
Das heißt, ein Streichholz landet mit einer Wahrscheinlichkeit von 1⁄π auf einer Fuge. Das lässt sich überprüfen, indem man den Test macht. Werfen Sie doch einmal N Streichhölzer auf Dielen, Laminat oder ein liniertes Blatt. Und dann zählen Sie. Die Gesamtzahl N geteilt durch die Anzahl der Stöckchen, welche die Fugen berühren, sollte annähernd π ergeben. Somit stellt das eine einfache Methode dar, um die Kreiszahl Pi zu berechnen. Allerdings ist sie nicht wirklich effizient: Um ein genaues Ergebnis zu erhalten, sollte man möglichst viele Streichhölzer fallen lassen und den Versuch häufig wiederholen.
Es haben bereits viele Menschen versucht, die passendsten Ausgangsbedingungen zu schaffen, um Pi so präzise wie möglich mit Buffons Methode zu bestimmen. Man kann etwa die Anzahl der Streichhölzer und das Verhältnis ihrer Länge zur Breite der Dielen variieren. 1901 hat der italienische Mathematiker Mario Lazzarini behauptet, mit 3408 Nadeln und einem Längenverhältnis von 5 zu 6 einen Wert von 3,1415929… erreicht zu haben – also Pi bis zur sechsten Nachkommastelle zu reproduzieren.
Allerdings bezweifelt die Fachwelt inzwischen, dass Lazzarini dieses Meisterstück wirklich gelungen ist. Denn vorangegangene und nachfolgende Versuche mit teilweise noch mehr Nadeln lieferten stets deutlich schlechtere Ergebnisse. Entweder hat Lazzarini einen echten Glückstreffer gelandet – oder er hat sich einen Scherz erlaubt. Es gibt Vermutungen, dass er seine Parameter extra so gewählt hat, damit eine bekannte Näherung von Pi (355⁄113) entstehen konnte. Damit wollte er wohl seine Kollegen aufziehen, welche die zahlentheoretischen Hintergründe von Pi beim buffonschen Nadelproblem ignorierten.
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