Warkus' Welt: Was Kant so berühmt machte
Immanuel Kants Geburtstag jährt sich 2024 zum 300. Mal, darauf habe ich bereits zum Jahreswechsel in dieser Kolumne hingewiesen. Entsprechend war der bekannte Philosoph um den 22. April herum Thema in zahlreichen Medien. Etliche Journalisten beschäftigten sich mit der Frage, wie modern seine Ansichten sind und was man heute noch von ihm lernen kann. Doch warum ist Kant eigentlich so ein wahnsinnig großer philosophischer Name?
Im Prinzip gibt es drei Hauptgründe für Kants Ruhm: erstens die Breite seines Beitrags zur Philosophiegeschichte; zweitens die Tiefe der Wirkung, die er damit erzielte; und drittens ihre fortwährende Dauer.
Kants Werk hat eine bemerkenswerte Breite. Er hat bedeutende Schriften in einer ganzen Reihe philosophischer Disziplinen verfasst, um nicht zu sagen in praktisch allen, die zu seiner Zeit existierten. Die »Kritik der reinen Vernunft« aus dem Jahr 1781 behandelt Themen der Metaphysik und der Erkenntnistheorie. Verschiedene andere Werke, darunter die »Kritik der praktischen Vernunft« (1788), beschäftigen sich vor allem mit Fragen der Ethik, während es in der »Kritik der Urteilskraft« (1790) unter anderem um Ästhetik geht. In seinen Hauptwerken, aber auch verschiedenen kleineren Schriften, zum Beispiel dem berühmten Aufsatz »Zum ewigen Frieden« von 1795, finden sich zudem Überlegungen zur politischen Philosophie, zur Geschichts-, Rechts- und Religionsphilosophie.
Kant wirkte in die Tiefe. Schon zu seinen Lebzeiten wurde seine Philosophie intensiv und kontrovers diskutiert. In allen oder nahezu allen der oben genannten philosophischen Feldern ist er nicht einfach nur jemand, der signifikante Beiträge geleistet hat, sondern gilt als revolutionärer Denker. Diesen revolutionären Charakter vertrat er durchaus selbstbewusst, wenn er etwa seinen Neuentwurf der theoretischen Philosophie mit dem Übergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild und sich damit selbst mit Kopernikus verglich. Kant zufolge können wir daraus, wie uns die Welt erscheint, keine unmittelbaren Rückschlüsse darauf ziehen, wie die »Dinge an sich« sind, sondern lediglich auf bestimmte Rahmenbedingungen, in denen unser Wahrnehmen und Denken stattfindet. Ebenso bahnbrechend war seine bis heute kontrovers diskutierte Ethik, in deren Zentrum der Grundsatz steht, dass Handlungen nicht nach ihren Folgen, sondern nach ihrer Motivation beurteilt werden müssen. Der Maßstab für diese Beurteilung ist für Kant der kategorische Imperativ, ein Testverfahren, das beansprucht, Handlungen lediglich danach zu beurteilen, ob die dahinterstehende Begründung sich widerspruchsfrei verallgemeinern lässt.
Schlussendlich hat Kants Werk nicht nur einen großen, sondern auch einen äußerst anhaltenden Einfluss entfaltet. Der durch ihn angestoßene Umbruch in der Philosophie gilt als Kernkomponente des geistesgeschichtlichen Umschwungs im 18. Jahrhundert, den man Aufklärung nennt – und zu dem er mit seinem Aufsatz »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« 1784 geradezu das Programm geschrieben hat. Im 19. und auch noch im 20. Jahrhundert arbeiten sich weite Teile der Philosophie in der europäischen Tradition an Kant ab, im Zweifelsfall auch durch engagierte Ablehnung. Und obwohl in Deutschland traditionell kaum Philosophie an Schulen unterrichtet wird, gehören einige Passagen aus Kants Werken zu den wenigen philosophischen Klassikertexten, die heute als gängiger Schulstoff gelten können.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Aufklärung durchaus eine düstere Seite hatte, an der Kant beteiligt war. Aktuell wird darüber intensiver diskutiert als bei vorangegangenen Kantjubiläen, und das ist sehr gut so. Dennoch ist es sicher nicht falsch, das Kantjahr 2024 ein wenig zu feiern: als das Jubiläum eines Mannes, der selbst nicht vollkommen war, aber dennoch wie kaum ein anderer wirkmächtig darüber geschrieben hat, wie die Menschen sich aus eigener Kraft zum Besseren hin entwickeln können.
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