Freistetters Formelwelt: Die Mathematik des wilden Parkens
Stellen wir uns eine Straße vor, auf der nur auf einer Seite geparkt werden darf. Ein Auto kommt und stellt sich zufällig irgendwo entlang dieser Straße hin. Das nächste Auto stellt sich ebenfalls völlig zufällig an eine andere Stelle und so weiter, bis irgendwann beim besten Willen kein Auto mehr in eine der vorhandenen Lücken hineinpasst. Wenn man nun, etwas mathematischer, die Straße durch ein geschlossenes Intervall der Länge [0, x] ersetzt und die Autos durch Liniensegmente mit Einheitslänge, dann lässt sich die mittlere Anzahl an »Autos«, die man Abhängigkeit der Länge der »Straße« x durch diese Formel berechnen:
Sollte die Straße kürzer als das Auto sein, ist die Lage klar: Dann parkt dort niemand. Im allgemeinen Fall ist die Formel aber ein wenig komplizierter – und wenn man die mittlere Autodichte für den Grenzfall einer unendlich langen Straße berechnen will, kann man die entsprechenden Integrale nur noch näherungsweise lösen. Als ungefähren Wert für M(x)⁄x erhält man den Wert 0,7475979… – die Straße ist also zu fast 75 Prozent zugeparkt. Eigentlich kein schlechter Wert dafür, dass alle ihre Autos einfach per Zufall abgestellt haben.
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Das Problem geht auf den ungarischen Mathematiker Alfréd Rényi zurück, der es 1958 in seinem Aufsatz »On a one-dimensional problem concerning random space-filling« formuliert hat. Rényi war ein Zeitgenosse und Kollege des berühmten Paul Erdős und auf Rényi – und nicht, wie oft zitiert auf Erdős – geht auch die Aussage zurück: »Ein Mathematiker ist eine Maschine, die Kaffee in Sätze verwandelt.«
Hardcore-Mathematik
Natürlich war es damals nicht das Ziel von Rényi herauszufinden, wie man Straßen optimal zuparken kann. Es ging dabei um Untersuchung von Zufallsprozessen und etwas, was heute als »Random sequential adsorption« oder »Hardcore-Prozess« bezeichnet wird. Vereinfacht gesagt ist das ein Vorgang, bei dem eine Reihe von Objekten nacheinander zufällig an einer Position auftauchen, dabei aber einen vorher definierten Abstand zueinander einhalten müssen (so wie die Autos auf der Straße, die nicht dort parken dürfen beziehungsweise können, wo schon ein anderes Auto parkt).
Man kann sich zum Beispiel fragen, was passiert, wenn man der Reihe nach Kugeln einer gewissen Größe in einen Behälter fallen lässt. Ohne auf die Details so einer Simulation einzugehen, wird man am Ende einen Behälter haben, der zufällig mit Kugeln gefüllt ist, und kann berechnen, wie dicht diese Kugeln den ihnen zur Verfügung stehenden Raum füllen. Computermodelle, die in der Lage sind, solche Prozesse ablaufen zu lassen, werden zum Beispiel in der Festkörperphysik verwendet oder in der Materialforschung, um zum Beispiel die Herstellungsprozesse von Beton oder anderen Verbundstoffen nachzuvollziehen.
Die Beschäftigung mit Hardcore-Prozessen kann aber auch nützlich sein, wenn man zum Beispiel in der Forstwissenschaft aus Stichproben die Struktur eines Waldes simulieren will. Man kann ja nicht immer sämtliche Bäume eines Waldes ausmessen und ihre Position bestimmen. Aber ein entsprechender Algorithmus kann ein Gebiet zufällig mit Bäumen füllen, und das nach Parametern, die aus realen Beobachtungen und Zählungen gewonnen werden. Damit wird man vielleicht nicht herausfinden können, wo man die besten Bäume zum Fällen findet, kann aber einige sinnvolle Aussagen über das Ökosystem als Ganzes treffen.
Am Ende braucht die Mathematik aber weder Autos noch Verbundstoffe oder Bäume. Ihr reichen Punkte, Linien und die abstrakten Beziehungen zwischen ihnen. Und auch Rényi war mit der reinen Mathematik zufrieden. Ein weiteres Zitat von ihm lautet: »Wenn ich unglücklich bin, treibe ich Mathematik, um glücklich zu werden. Wenn ich glücklich bin, treibe ich Mathematik, um glücklich zu bleiben.«
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