Lexikon der Biologie: Elektrosmog
Elektrosmogm [von *elektro- , Smog], umgangssprachliche Bezeichnung für die mit zunehmender Technisierung der modernen Gesellschaft ständig anwachsende Einwirkung elektromagnetischer Felder (z.B. ausgehend von leistungsstarken Sendern, Hochspannungsleitungen, Umspannstationen, aber auch von Geräten der Unterhaltungselektronik, Mobiltelefon, Mikrowellengeräte usw.) auf Organismen, insbesondere den Menschen (elektromagnetisches Feld). Mit sich mehrendem Wissen über die sensitive Abhängigkeit vieler natürlicher Systeme von den Umweltbedingungen findet sich in vielen Bereichen eine geänderte Sichtweise des Dosis-Wirkung-Zusammenhangs. So wird seit einigen Jahren der Einfluß schwacher elektromagnetischer Felder auf Organismen kontrovers diskutiert. Lange Zeit galt das thermische Rauschlimit als untere Grenze für den Nachweis eines möglichen Einflusses elektrischer Felder auf Makromoleküle der Zell-Membran. (Die Grenze, oberhalb derer eine Ursachen-Wirkung-Beziehung nicht durch zufällige Prozesse [Rauschen] bestimmt ist, heißt Rauschlimit.) Auf der Basis der nichtlinearen Dynamik von Enzymaktivitäten konnten Abschätzungen für die Stärke elektrischer Felder gemacht werden, die noch in der Größenordnung von E< 10–6 V/cm (E = elektrische Feldstärke) einen erklärbaren Einfluß auf die Zellen haben können. Dabei werden elektrische Felder nicht, wie bisher angenommen, von Zellen abgeschirmt. Besonders bei langgestreckten Zellformen wie z.B. Nervenzellen erreichen elektrische Felder den Zellkern und die darin befindliche DNA. Bei sehr hohen Feldstärken, die allerdings oberhalb der haushaltsüblichen Größenordnungen liegen, wurde in Zellkulturexperimenten eine verstärkte Ausschüttung von Interleukinen beobachtet, so daß Einflüsse auf das Immunsystem nicht ausgeschlossen werden können. Feldstärken, wie sie z.B. bei Mobiltelefonen („Handys“) auftreten, haben in genetisch prädisponierten Ratten eine krebsfördernde, nicht jedoch eine krebsbildende Wirkung. Als Wirkungsmechanismus kommen z.B. Resonanzeffekte in Enzymmolekülen in Frage, in diesem Frequenzbereich besonders bei gebundenem Wasser. Analoge theoretische und experimentelle Untersuchungen wurden für rein magnetische Felder (Magnetfeld, Biomagnetismus) durchgeführt. So wurde festgestellt, daß für magnetische Flußdichten oberhalb von 40·10–6 T (T = Tesla, Einheit der magnetischen Flußdichte; 1 T = 1 Vs/m2) die Epiphyse ihre Hormonproduktion drosselt (die mittlere magnetische Flußdichte des Erdfeldes liegt bei 6·10–6 T). Die Epiphyse schüttet nachweislich während der Schlafphase (Schlaf) das krebshemmende Hormon Melatonin aus (Chronobiologie). Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen statistischer Untersuchungen aus Schweden und den USA, die eine signifikante Steigerung der Leukämierate (Leukämie) in unmittelbarer Nähe von Hochspannungstrassen feststellten. Problematisch ist allerdings die statistisch geringe Prävalenz der Fälle ( vgl. Infobox ). Statistisch noch nicht untermauerte Ergebnisse in der Hirnforschung berichten von einer Korrelation zwischen der Häufigkeit epilepsieähnlicher (Epilepsie) Hirnaktivitäten und dem Vorhandensein magnetischer Felder. Der Grund der cerebralen Wirkung magnetischer Felder könnte im Vorhandensein von Magnetitspuren (Fe3O4) in Gehirnzellen liegen, die im Jahr 1993 von einem amerikanischen Geobiologen gefunden wurden. Nachweislich beschleunigen schwache elektromagnetische Felder die Zelldifferenzierung von Fibroblasten und Osteoblasten (Knochen). Es werden durch eine Steigerung der Stoffwechselaktivität vermehrt Substanzen synthetisiert, die den Heilungsverlauf bei Knochenverletzungen begünstigen. Ebenso fördern schwache elektromagnetische Felder die Einlagerung von Calcium stärker als eine Hormontherapie zur Behandlung von Osteoporose. Die klassische Dosis-Wirkungs-Beziehung muß für elektromagnetische Felder nicht zwingend vorhanden sein. So wachsen die Zellen des Pilzes Mykotypha africana bei Magnetfeldern einer Flußdichte von ca. 1 · 10–8 T schneller als bei höheren Flußdichten. Ein ähnliches Verhalten zeigt die Frequenz der eingesetzten Felder. Möglicherweise liegt dieser Art der Dosis-Wirkungs-Beziehung ein ähnliches singuläres Verhalten zugrunde wie bei der Einwirkung äußerer Reize auf das Herz (Chaos).
R.Kü./D.M.
Lit.: Elektrosmog. Gesundheitsrisiken, Grenzwerte, Verbraucherschutz. Heidelberg 41997. Neitzke, H.P. (u.a.): Risiko Elektrosmog? Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf Gesundheit und Umwelt. Basel 1994. Pützenbacher, S.: Schädliche Umwelteinwirkung durch Elektrosmog. Frankfurt 41998.
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