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Lexikon der Biologie: Enteropneusten

Enteropneusten [von *entero- , griech. pneustēs = atmend], Eichelwürmer, Binnenatmer, Enteropneusta, einheitliche Gruppe überwiegend etwa regenwurmgroßer, bilateralsymmetrischer Meereswürmer ( vgl. Abb. ) mit dreigegliedertem Körper, einem zum Atemorgan umgewandelten Vorderdarm (Kiemenspalten) und Andeutungen eines dorsalen Nervenrohrs – eine Merkmalskombination, die im Bereich der Wirbellosen einzigartig ist. Der äußeren Körpergliederung in einen meist birnenförmigen, je nach Art auch kegelförmigen Kopflappen („Eichel“, Prosoma), ein kurzes, wulstig-kragenartiges Mesosoma undeinen langen, meist drehrunden Rumpf (Metasoma) entspricht eine Gliederung der Leibeshöhle in drei getrennte Abschnitte: Protocoel, Mesocoel und Metacoel (trimeres Coelom). Die bewegliche und zu kräftiger Peristaltik fähige muskulöse Eichel dient den ansonsten träge im Boden grabenden Tieren als Bohrorgan. Über einen engen Stiel geht sie in den wulstigen Kragen über ( vgl. Abb. ). An dessen Vorderende liegt ventral des Eichelstiels die runde Mundöffnung, während am Kragen-Hinterende der in der Regel drehrunde Rumpf ansetzt. An diesem lassen sich eine vordere Zone mit zahlreichen dorsalen Kiemenporen oder seitlichen Kiemenspalten, eine manchmal zu breiten seitlichen Flügeln ausgezogene Gonadenregion, ein durch dorsale Darmblindsäcke („Leber“) rückenseitig stark gefältelter Abschnitt und ein langes, dünnhäutiges Körperende mit endständigem After abgrenzen. Die Enteropneusten leben in U-förmigen, selbstgegrabenen und mit Schleim ausgekleideten Wohnröhren, auch unter Steinen oder zwischen Tang-Rhizoiden, vornehmlich in flachen Küstengewässern aller Kontinente bis zu etwa 200 m Tiefe. Einzelne Formen (Glandiceps abyssicola) wurden auch in Tiefseeproben aus 4500 m Tiefe gefunden. Als Nahrung dient ihnen organischer Detritus des Bodengrunds, aber auch kleinere Organismen der Bodenfauna, die durch Schleimsekrete des Eichelepithels verklebt von deren Cilienbesatz zusammen mit dem Atemwasserstrom dem Mund zugestrudelt werden. Das Atemwasser verläßt den Körper durch die paarigen Kiemenschlitze des Vorderdarms. Die Gruppe umfaßt weniger als 100 bis jetzt bekannte Arten, die je nach ihrer Evolutionshöhe in 3, seltener 4 Familien eingeteilt werden ( vgl. Tab. ). – Anatomie ( vgl. Abb. ): Die Epidermis erscheint geringelt, ist einschichtig, reich an Drüsen- und Sinneszellen und besteht aus einem hochprismatischen Wimpernepithel. Zwischen den Basen der Epithelzellen breitet sich ein Filz von Nervenzellen und -fasern aus, der sich dorsal und ventral in je einer epithelialen Längsfurche zu einem Längsnervenstrang verdichtet. Rückenseitig faltet sich aus der Kragenepidermis über dessen ganze Länge ein vorn und hinten offenes Epithelrohr ins Körperinnere ab und bildet ein kurzes dorsales Nervenrohr. Stränge von Nervengewebe verbinden dieses „Kragenmark“ mit dem besonders dichten peripheren Nervenplexus der Kragenepidermis. Das an das Neuralrohr der Chordatiere erinnernde Kragenmark enthält vereinzelte Riesenzellen und -fasern und scheint eine Art Nervenzentrum zu bilden, wenngleich ganglienartige Anhäufungen von Nervenzellen auch hier nicht auftreten. Der epidermale Nervenplexus innerviert ausschließlich die Sinnesorgane der Körperoberfläche; er entsendet keine Fasern zur motorischen Muskelinnervation ins Körperinnere. Der Sinnesapparat beschränkt sich auf zahlreiche Sinneszellen verschiedener Funktion (u.a. diffuser Lichtsinn) in der gesamten Epidermis und eine als Organ der Chemorezeption gedeutete U-förmige Wimperngrube an der dem Mund zugewandten Hinterseite der Eichel. Unter der Epidermis folgt eine derbfaserige zellfreie Basallamina, gemeinsames Produkt der Epidermis und des innen angrenzenden Bindegewebes, die stellenweise erhebliche Dicke erreichen und Skelettfunktionen erfüllen kann, so über der Mundöffnung am Eichelansatz (Eichelskelett) undals Stützstabsystem zwischen den Kiemenspalten (Kiemenbögen). Eine subepidermale Ring- und Längsmuskulatur ist nur in der Eichel ausgebildet und verleiht dieser in Zusammenwirkung mit inneren Muskelgeflechten ihre ausgeprägte Beweglichkeit, sie fehlt aber im übrigen Körper. Die ursprünglich von einem Peritoneum ausgekleideten Körperhöhlen, das unpaare Eichel- und die paarigen Kragen- und Rumpfcoelome, bleiben nur bei primitiven Arten erhalten; in den meisten Fällen werden sie von einwucherndem, reichlich mit Muskelfasern durchzogenem Bindegewebe, einem Derivat des Coelothels, bis auf geringe Reste verdrängt. Das rudimentäre Eichelcoelom ebenso wie die paarigen Kragencoelome stehen anders als das Rumpfcoelom über paarige Poren jeweils am Hinterende des betreffenden Körpersegments mit der Außenwelt in offener Verbindung. Der Darm durchzieht den ganzen Körper als gerades, wenig gegliedertes Rohr. In ganzer Länge besitzt er ein Cilienepithel und entbehrt jeglicher Eigenmuskulatur. Vom ektodermalen Dach der geräumigen Mundhöhle zweigt nach vorn ein Blindsack ab, der weit in die Eichelbasis hineinreicht (Eicheldarm). Sein Lumen ist in der Regel mehr oder weniger rückgebildet, so daß er stellenweise zu einem soliden Epithelstrang wird, weswegen er in Anlehnung an die ähnliche, aus dem Entoderm sich abfaltende Chorda dorsalis der Chordatiere als Stomochord bezeichnet wird, obwohl er nicht chordahomolog ist. Schwanzwärts schließt sich an den Mundraum der als Kiemendarm ausgebildete Pharynx an, bei manchen Arten in eine ventrale nutritorische Darmrinne und einen dorsalen, von zahlreichen Kiemenspalten durchbrochenen Kiemenraum gegliedert. Die Zahl der Kiemenspalten, je nach Art bis zu 200, nimmt im Laufe des Lebens zu. Bei primitiven Formen sind sie einfache Poren oder Schlitze in der Darmwand, bei abgeleiteten Arten werden sie (Lanzettfischchen) durch späteres Einwachsen einer Zunge von oben U-förmig und können zusätzlich durch querverlaufende Epithelstäbe „vergittert“ sein. Verdichtungen der Basallamina zwischen den einzelnen Spalten bilden ein Kiemenkorbskelett. Jede Kiemenspalte führt in eine weite Kiementasche, aus der dorsal ein Porus nach außen führt. Der an den Pharynx anschließende Oesophagus kann ebenfalls von zahlreichen am Rücken nach außen mündenden Poren durchbrochen sein, die jedoch keine Kiemenfunktion haben. Mittel- und Enddarm zeigen bis auf eine Reihe dorsaler Aussackungen des ersteren keine weiteren Differenzierungen. Das Epithel der oft durch die äußere Körperwand sich abzeichnenden Darmtaschen ist auffallend hochprismatisch und reich an Einschlüssen und wird als Ort der Nahrungsresorption („Leber“) gedeutet. Der endständige After ist gewöhnlich durch einen Ringmuskel verschlossen. In seiner ganzen Länge ist der Darm an je einem derb bindegewebigen dorsalen und ventralen Mesenterium aufgehängt, das zugleich die lateralen Coelomhälften voneinander scheidet. Wie die Epidermis ist auch das Darmepithel von einem Filz von Nervengewebe durchflochten. Dieser Darmplexus verdichtet sich in der Mundregion zu einem Ring von Querkommissuren. Von ihm geht die gesamte Innervation der Muskulatur aus. Die Enteropneusten besitzen ein wohlausgebildetes, aber großenteils offenes Blutgefäßsystem, dessen Gefäße in den dorsalen und ventralen Mesenterien, teils auch zwischen den Blättern der Basallamina verlaufen. Nur die Hauptgefäßstämme sind von Endothel ausgekleidet, während die kapillaräquivalenten kleineren Gefäße Netzwerke von Gewebslücken (Lakunen) darstellen. Ein dorsaler, kontraktiler Gefäßstamm (Vene) verläuft subepidermal vom Hinterende bis zum Kragen. Im Eichelansatz weitet er sich zu einem Venensinus auf, in den vom Prosoma her 2 laterale Eichelvenen einmünden. Aus dem Venensinus ergießt sich das farblose Blut in das „Herz“, einen muskelfreien dünnwandigen Endothelsack, der dem Eicheldarm („Stomochord“) unmittelbar aufliegt und oberseits und seitlich von einer dickwandigen muskulösen Blase, dem „Perikard“ oder „Herzbläschen“, umfaßt wird, das, entstanden aus einer ektodermalen Einstülpung, nach manchen Autoren auch als Divertikel des Eichelcoeloms, vermutlich der Kompression des Herzens gegen das Widerlager des Stomochords dient. Vom Herzen gelangt das Blut in einen erweiterten Gefäßsack, aus dessen Vorderwand sich ein dichtes Knäuel von Kapillarschleifen („Glomerulus“) in das Eichelcoelom vorstülpt. Die Kapillarendothelien sind von einem dichten Netz innig verzahnter Podocyten bedeckt, über deren Interzellularspalten vermutlich durch Ultrafiltration harnfähige Exkretstoffe in das zur Außenwelt hin offene Eichelcoelom abgeschieden werden (Niere). Von dem Gefäßsack gehen 4 Arterien ab, je eine dorsale und ventrale Eichelarterie, die sich über Lakunennetze in die Eichelvenen ergießen, und 2 laterale Körperarterien, die sich über zwei seitliche Gefäßschlingen im Kragen unter dem Vorderdarm zu einer ventralen Körperarterie vereinigen. Von ihr zweigen zahlreiche seitliche Lakunensysteme zur Versorgung von Darm, Kiemen und Haut ab. Diese sammeln sich im vorderen und hinteren Ast eines dorsalen Darmgefäßes, das hinter der Kiemenregion in die Rückenvene mündet. – Alle Enteropneusten sind getrenntgeschlechtlich. Die einfach sackförmigen Gonaden sind in serialer Anordnung beidseits des Darms in das lockere Coelombindegewebe eingebettet und münden durch jeweils eigene Geschlechtsporen (Gonoporen) in der Körperwand nach außen. Die Geschlechtsprodukte werden ins freie Wasser abgegeben und dort besamt; dabei scheinen die zuvor abgegebenen Eier über Lockstoffe die Männchen zur Spermaabgabe zu stimulieren. Bei den ursprünglicheren Arten (Protoglossidae, Harrimaniidae) erfolgt die Entwicklung der großen dotterreichen Eier nach einer total-äqualen Radiärfurchung (Furchung) und über eine Coeloblastula und Invaginationsgastrula direkt ohne Larvenstadium, während die Entwicklung der höher evolvierten Spengelidae und Ptychoderidae von zahlreicher produzierten (2000–3000 Eier pro Eiabgabe) dotterarmen Eiern ausgeht und über ein Larvenstadium verläuft. Die Tornaria-Larve ( vgl. Abb. ) der Enteropneusten ist eine Schwimmlarve und trägt anfangs eine volle Bewimperung, die sich später aber in einzelne verschlungene Wimpernbänder auflöst, wie man sie typischerweise bei Stachelhäuter-Larven beobachtet, etwa der Bipinnaria-Larve der Seesterne oder der Auricularia-Larve der Seegurken. Von diesen unterscheidet sich die Tornaria der Enteropneusten aber durch den Besitz einer apikalen Sinnesplatte mit zwei Pigmentbecher-Augen und eines Cilienbandes („Telotroch“) rund um den After. Die Einstülpung des Urdarms geht vom Hinterpol des Embryos aus; der Urmund wird also zum After, während die definitive Mundöffnung später durchbricht (Deuterostomier). Wie auch bei anderen Deuterostomiern (Stachelhäuter, Chaetognatha und Chordatiere) schnüren sich die Coelome vom Urdarm ab (Enterocoeltheorie), entweder als unpaare Blase, die sich später in Pro-, Meso- und Metacoel gliedert, oder gleich durch Abgliederung einer unpaaren und zweier paariger Coelomblasen. Nach zum Teil mehrwöchigem planktonischem Leben geht die Larve zum Bodenleben über und durchläuft die Metamorphose, wobei der Apikalpol zur Eichel wird und der übrige Larvenkörper sich zum Wurmkörper streckt. Die Enteropneusten zeichnen sich durch ein außerordentlich großes Regenerationsvermögen (Regeneration) aus; sie können aus fast jedem Körperabschnitt ein vollkommenes Individuum regenerieren. Einige Arten der Gattung Ptychodera vermögen lebenslang sich asexuell zu vermehren, und zwar durch Abschnüren kleiner vorderer Körperabschnitte und deren Regeneration zu vollständigen Tieren. Bei einer Balanoglossus-Art ( vgl. Abb. ) wurde ein Wechsel zwischen einer nur im Winter auftretenden, ausschließlich sexuell sich vermehrenden Form (Balanoglossus capensis) und einer auf den Sommer beschränkten, nur vegetativ sich vermehrenden Form (Balanoglossus proliferans) festgestellt. – Verwandtschaft: Die Larvenform und der Besitz eines intraepithelialen Nervenplexus, der stellenweise genau wie die intraepithelialen Armnerven von Seesternen und Schlangensternen gebaut ist, weisen auf Beziehungen zu den Stachelhäutern hin, während die Deuterostomie und die Art der Coelombildung eine Gemeinsamkeit zwischen Enteropneusten, Chaetognathen, Stachelhäutern und Chordatieren darstellt. Die Ausbildung eines inneren Kiemenapparats im Vorderdarm und die Anlage eines Neuralrohrs trifft man in vergleichbarer Weise nur bei Chordaten an. Aus diesem Grunde werden die Enteropneusten zusammen mit den ihnen sehr nahestehenden Pterobranchiern (Flügelkiemer) und den nur als Fossilien bekannten Graptolithen als Vorfahren der Chordatenreihe angesehen und mit Pterobranchiern und Graptolithen als 3 Klassen zum Stamm Hemichordata (= Branchiotremata) zusammengefaßt, wobei der Begriff Hemichordata auf die frühere Annahme zurückgeht, der Eicheldarm (Stomochord) sei der Chorda dorsalis homolog, was sich als irrig erwies. Ungeachtet dessen ist die nahe Verwandtschaft zwischen den genannten Deuterostomiergruppen nicht zu bezweifeln. In diesem Verwandtschaftskreis stellen die Hemichordata aber einen selbständigen Organisationstyp dar, der sie zu Recht als einen eigenen Tierstamm betrachten läßt. Er zeigt jedoch eine Entwicklungslinie auf, von der die Stachelhäuter frühzeitig als Blindast abgezweigt sind, die aber selbst zu den Chordata (Chordatiere) hinführt.

P.E.



Enteropneusten

Habitus von Saccoglossus



Enteropneusten

1
Balanoglossus (Kopfregion),2 Ptychodera flava



Enteropneusten

Längsschnitt durch das Vorderende eines Enteropneusten (Blockdiagramm).
DG Dorsalgefäß, DN Dorsalnerv, EH Eichelhöhle, ELM Eichellängsmuskulatur, EP Eichelporus, ERM Eichelringmuskulatur, ES Eichelskelett, G Glomerulus, H Herz, HB Herzblase, KH Kragenhöhle, KM Kragenmesenterium, KP äußere Kiemenporen, KT Kiementasche, M Mund, ND nutritorischer Darm, NP Neuroporus, RM Rumpfmesenterium, ST „Stomochord“, VG Ventralgefäß



Enteropneusten

Tornaria-Larve eines Enteropneusten

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