Lexikon der Biologie: molecular modeling
molecular modelings, molecular modelling, molekulares Design, Bezeichnung für die „Entwicklung“ neuer Wirkstoffe (Wirkstoffdesign) bzw. Arzneimittel(drug design) am Computerbildschirm unter Verwendung und/oder Abwandlung bekannter Molekülstrukturen. Grundlage des molecular modeling ist die Tatsache, daß die dreidimensionalen Strukturen (Tertiärstruktur, Quartärstruktur) von Biomolekülen unmittelbar mit chemischen Funktionen verknüpft sind und umgekehrt (Struktur-Funktion-Beziehung). Die meisten chemischen Reaktionen im Stoffwechsel von Organismen verlaufen hoch stereospezifisch (Stereospezifität; asymmetrische Synthese, Chiralität), d.h., 2 miteinander reagierende Moleküle müssen räumlich aufeinander optimal angepaßt sein (Schlüssel-Schloß-Prinzip; E.H. Fischer). Für das molecular modeling ist außerdem wichtig, daß die Wechselwirkung verschiedener Moleküle meist mit einer gewissen Affinität der Reaktionspartner einhergeht. Zur Erkennung von funktionell wichtigen Strukturen bedient man sich verschiedener physikalisch-chemischer Methoden, z.B. Röntgenstrukturanalyse (Proteinkristallisation), Kernresonanzspektroskopie, Epitop-Tagging, Sequenzierung, Biospecific Interaction Analysis usw. Mittels dieser Methoden gewonnene Strukturdaten eines biologisch aktiven (pharmakologisch wirksamen; Pharmakodynamik, Pharmakokinetik) Moleküls gibt man in einen Rechner ein (Computer), der es ermöglicht, die Darstellung der dreidimensionalen Struktur (Proteine II) in alle Richtungen zu drehen, auszudehnen oder zu komprimieren. Man kann nun mathematisch um das Molekül eine Minimalfläche legen, deren Koordinaten auf van-der-Waals-Kontakte (chemische Bindung) für später stattfindende Reaktionen des Moleküls eingestellt sind. Im Fall von Enzymen zeigt die Oberflächenfigur nicht nur die genaue Lage und Größe konvexer und konkaver Bereiche, sondern sie enthält auch die optimalen Positionen der vom Computer berechneten aktiven Zentren. Wenn die Substanz gute pharmakologische Eigenschaften besitzt, dient das Molekül als Leitsubstanz zur Synthese weiterer abgewandelter aktiver Verbindungen (drug design): Unter weitestgehender Einhaltung der ursprünglichen Form, Größe und Eigenschaften der Oberfläche werden damit am Computer neue Moleküle entwickelt; man ersetzt Seitenketten, substituiert funktionelle Gruppen, variiert Polaritäten oder fügt zusätzliche Reaktionszentren ein. Danach werden die vom Computer vorgeschlagenen neuen Moleküle im Laboratorium synthetisiert und auf physiologische Wirksamkeit hin getestet. Bekannteste Beispiele sind die auf diese Weise hergestellten HIV-Proteinase-Inhibitoren (AIDS). Der umgekehrte Weg, nämlich die beste Anpassung eines „Schlosses“ (Enzym) an den „Schlüssel“ (Substrat), ist weitaus komplizierter. Anhand des soeben beschriebenen Molekülbildes wählt man jene Aminosäuresequenz eines Proteins aus, welche sowohl sterisch als auch reaktiv am besten geeignet scheint, und verändert sie durch gezielte Mutagenese (protein engineering). Zunächst isoliert man die für die biologische Synthese des ursprünglichen Proteins verantwortliche DNA, zerschneidet das Molekül mit entsprechenden Restriktionsenzymen in kleinere Bruchstücke (Restriktionsfragmente) und isoliert diese einzeln. Nun wird jenes Fragment, das die Information für die gewünschte abgeänderte Aminosäuresequenz enthalten soll, mittels eines DNA-Synthesizers mit der entsprechenden (nach Vorgaben des Computers optimierten) Nucleotidsequenz neu hergestellt (Gensynthese). Es ersetzt das ursprüngliche Fragment und wird mit den restlichen DNA-Bruchstücken wieder zusammengefügt. Das so konstruierte Gen mit der neuen Information wird in Bakterien, z.B. Escherichia coli, eingebracht, und diese produzieren das maßgeschneiderte, d.h. dem Substrat durch molecular modeling optimal angepaßte, Protein (protein design) mit hohen Ausbeuten (Gentechnologie). – Trotz Verfügbarkeit vieler Strukturdaten, ausgefeilter Technik und inzwischen leistungsstarker Computer konnte das molecular modeling von Wirkstoffen die einstmals hohen Erwartungen bislang nicht erfüllen. Daher gewinnt vor allem in der pharmakologischen Forschung wieder die kombinatorische Synthese von Verbindungen und deren anschließendes Screening (kombinatorische Chemie) an Bedeutung. Als sehr effektiv erweist sich oft die Kombination aus beiden Vorgehensweisen. Bioinformatik, Biomathematik, Protein-Werkstoffe.
W.L./M.B.
Lit.:Böhm, H.-J., Klebe, G., Kubinyi, H.: Wirkstoffdesign. Heidelberg 1996.
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