Lexikon der Biologie: Morphogen
Morphogens [von *morpho- , griech. gennan = erzeugen], Signalstoff, der in sehr geringer Konzentration vorkommt und die Musterbildung beeinflußt (morphogenetisches Signal). Ein Morphogen wird von einer Quelle (z.B. dem Organisator) produziert, breitet sich von dort in benachbartes Gewebe aus und bildet so einen Konzentrations-Gradienten (morphogenetischer Gradient; vgl. Abb. ), in dem die Zellen bei unterschiedlichen Schwellenwertkonzentrationen, und damit in verschiedener Entfernung von der Signalquelle, in unterschiedlicher Weise reagieren, z.B. verschiedene Gene aktivieren (Genaktivierung). Da die Morphogenkonzentration den Zellen ein Maß für die Entfernung von der Signalquelle, und damit Positionsinformation, gibt, entsteht so ein geordnetes räumliches Muster von unterschiedlich differenzierten Zellen. Als Morphogen wirken z.B. das Bicoid-Protein (bicoid) und das Dorsal-Protein, beides maternale Determinanten in der Frühentwicklung von Drosophila melanogaster. Im Falle von bicoid konnte erstmals gezeigt werden, wie sich durch experimentelle Veränderung des vom Vorderpol des Eies ausgehenden Konzentrationsgradienten das Expressionsmuster nachgeschalteter gap-Gene (Musterbildungsgene) verschiebt (Embryonalentwicklung, Abb. Frühentwicklung bei Drosophila). Beim Schleimpilz Dictyostelium wurde ein „Differenzierung induzierender Faktor“ (Acrasin) mit Morphogen-Eigenschaften nachgewiesen und beim Süßwasserpolypen Hydra (Süßwasserpolypen) ein „Kopfaktivator“. Bei Wirbeltieren wurde Vitamin-A-Säure (Retinsäure) lange als potentielles Morphogen bei der Bildung der Finger in der Extremitätenanlage (Anlageplan) diskutiert. Retinsäure wirkt aber nur indirekt, indem sie die Expression des ebenfalls diffusiblen Sonic-hedgehog-Proteins (sonic hedgehog) induziert, entlang dessen Konzentrationsgradient die Abfolge der unterschiedlichen Finger entsteht. Auch die dorsoventrale Musterbildung im Neuralrohr der Wirbeltiere mit Ausbildung von unterschiedlichen Neuronentypen (Motoneurone ventral, Interneurone weiter dorsal) scheint von Sonic hedgehog gesteuert zu werden, das von den Zellen der ventralen Mittellinie synthetisiert wird und sich von dort nach dorsal ausbreitet. Wie das Beispiel von Sonic hedgehog zeigt, kann ein und dasselbe Morphogen in der Entwicklung unter Umständen mehrfach für unterschiedliche Musterbildungsprozesse verwendet werden, da die gleiche Information von unterschiedlich differenzierten Zellen in unterschiedlicher Weise „interpretiert“ wird, d.h. die Aktivität von unterschiedlichen nachgeschalteten Genen modifizieren kann. Ursprünglich wurde von Morphogenen angenommen, daß sie niedermolekular sind, da in tierischen Geweben ihre Diffusion durch Zell-Membranen und gap-junctions limitiert ist. Eine Möglichkeit der Ausbreitung von auch höhermolekularen Morphogenen ist die Transcytose (Cytopempsis), bei der große Proteine, z.B. Dpp (dpp) im Epithel der Imaginalscheiben von Drosophila, durch gerichtete Endocytose und Exocytose durch die Zellen hindurch im Gewebe gerichtet transportiert werden. Ein Ausnahmefall stellt das syncytiale Blastodermstadium von Insektenembryonen dar, in dem die Diffusion nicht durch Zellmembranen begrenzt ist, so daß sich hier auch Moleküle von der Größe des Bicoid-Proteins über reine Diffusion ausbreiten können. Entwicklungsbiologie (Geschichte der), hunchback.
J.B./K.N.
Morphogen
Schematische Darstellung des Prinzips eines morphogenetischen Gradienten. Eine Veränderung des Gradienten bewirkt, daß die Schwellenwerte (1–3) nicht mehr an den ursprünglichen Positionen im Raum (A–C), sondern an anderen Positionen (A'–C') erreicht werden – mit entsprechenden Folgen für das Expressionsmuster nachgeschalteter Gene und damit auch für das Körpermuster.
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