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Lexikon der Chemie: Kristallisation

Kristallisation, der Übergang eines Stoffes in den kristallisierten Zustand. Die K. kann aus gasförmiger, flüssiger oder fester Phase erfolgen. Beispiele für die vielfältigen Möglichkeiten einer K. sind das Erstarren einer Schmelze bei Abkühlung unter den Schmelzpunkt, das Auskristallisieren aus einer übersättigten Lösung, die Kondensation aus der Dampfphase, die Abscheidung au der Dampfphase als Folge einer chemischen Transportreaktion, die Phasenumwandlung fester Stoffe (Polymorphie), die Entstehung kristalliner Produkte bei Festkörperreaktionen sowie die K. amorpher Stoffe.

Unabhängig davon, aus welcher Phase die K. erfolgt, setzt sie sich stets aus den beiden Teilprozessen Keimbildung und Kristallwachstum zusammen. Unter der Keimbildung versteht man die Entstehung eines wachstumsfähigen Kristalls submikroskopischer Dimension, eines Kristallkeimes. Ein Kristallkeim kann z. B. in einer unterkühlten Schmelze, einer übersättigten Lösung oder einem übersättigten Dampf durch das zufällige Zusammentreffen von Kristallbausteinen entstehen. Ein derartiges Aggregat mit zehn bis hundert Bausteinen besitzt im Verhältnis zu seinem Volumen eine sehr große Oberfläche und ist deshalb sehr energiereich. Für die Keimbildung als energetisch ungünstiger Vorgang muß die Keimbildungsarbeit aufgewendet werden, die die Rolle einer Aktivierungsenergie spielt. Wird eine kritische Keimgröße (10-5 bis 10-7 cm) überschritten, so wächst der Keim spontan zu einem Kristall weiter. Eine homogene Keimbildung findet in einem System mit nur einer Phase, also unter Ausschluß von Grenzflächen statt; bei der Mitwirkung mehrerer Phasen, z. B. in Form von Fremdpartikeln, die als Keime wirken, oder von festen Oberflächen bei der K. an Gefäßwänden, spricht man von heterogener Keimbildung.

Der zweite Teilprozeß bei der K. besteht im Kristallwachstum, also in der Vergrößerung des submikroskopischen Kristallkeimes zu einem makroskopischen Kristall. Die Theorie des Kristallwachstums geht davon aus, daß der Energiegewinn bei der Anlagerung eines Kristallbausteines an verschiedene Stellen der Kristalloberfläche unterschiedlich ist. Es werden stets die energetisch günstigsten Positionen eingenommen, entweder unmittelbar beim Auftreffen oder im Ergebnis einer Oberflächenwanderung durch Platzwechselvorgänge. Die günstigste Anlagerungsmöglichkeit finden die Bausteine in den Halbkristallagen am Rande einer unvollständigen Netzebene. Dieser Rand stellt eine Oberflächenstufe dar, die sich durch die reihenweise Anlagerung von Bausteinen über die Oberfläche des Kristalls hin bewegt. Das Wachstum eines Kristalls erfolgt also netzebenenweise. Der Aufbau einer neuen Netzebene beginnt stets mit der Bildung eines zweidimensionalen Keimes. Die Berechnung der dafür erforderlichen Keimbildungsarbeit ergibt jedoch ein wesentlich geringeres Kristallwachstum, als experimentell gemessen wurde. Diese Diskrepanz liegt in der Realstruktur der Kristalle begründet, durch die die Keimbildungsarbeit erniedrigt wird oder sogar ganz entfällt. Besonders wirksam für die Anlagerung von Bausteinen ist eine Schraubenversetzung, die aus einer Kristallfläche als Stufe austritt (Kristallbaufehler). Durch sie ist eine große Zahl von Halbkristallagen vorhanden, ohne daß Keimbildungsarbeit geleistet werden muß. Da die Stufe beim spiralförmigen Wachstum um den Durchstoßpunkt der Schraubenversetzung erhalten bleibt, wirkt diese als kontinuierlicher Flächenkeim (Spiralwachstumstheorie).

Die K. gehört zu den wichtigsten Verfahren für die Gewinnung reiner fester Substanzen. Im Labor wird sie sowohl als Endstufe chem. Synthesen zur Isolierung und Reinigung der Reaktionsprodukte als auch zur quantitativen Abtrennung und Bestimmung von Lösungskomponenten (Gravimetrie) benutzt. Die fraktionierte K. dient zur Trennung von Stoffgemischen. In der chem. Industrie spielt die K. in Form der Massenkristallisation bei der Herstellung von Düngemitteln, Soda, Zucker u. a. eine bedeutende Rolle. Bei den genannten Einsatzmöglichkeiten handelt es sich in der Regel um eine K. aus Lösung. Die hierfür erforderliche Übersättigung wird durch Temperaturänderung bei Stoffen mit größerem Temperaturkoeffizienten der Löslichkeit (meist durch Abkühlung, Abkühlungskristallisation, z. B. die K. von Naphthalin oder p-Xylol und die Entparaffinierung von Schmierölen mit Lösungsmitteln), durch Verdunsten des Lösungsmittels (Verdampfungskristallisation, z. B. die Kristallisation von Kochsalz, Ammoniumsulfat und Saccharose) oder durch Zugabe eines Fällungsmittels erreicht. Unter bestimmten Bedingungen, wie erschütterungsfreie Aufbewahrung und Fernhaltung von Kristallkeimen, kann die Sättigungskonzentration merklich überschritten werden, ohne daß eine K. einsetzt (Kristallisationsverzug). Bei schnellem Überschreiten der Löslichkeit und Anwesenheit von vielen Kristallkeimen wird ein feinkristallines Produkt erhalten. Es weist oft eine größere Reinheit auf als größere Kristalle der gleichen Substanz, die bei langsamem Wachstum entstehen und leicht Mutterlauge einschließen (Okklusion). Steht ein feinkörniges Kristallisat längere Zeit mit der gesättigten Lösung in Berührung, so erfährt es allmählich eine Vergröberung, da die größeren Kristalle eine geringere Löslichkeit als die kleinen Kriställchen aufweisen und auf deren Kosten wachsen (Ostwald-Reifung).

Bei der Elektrokristallisation erfolgt das Kristallwachstum im Zusammenhang mit der Elektrolyse einer Lösung oder Schmelze. Wichtige Anwendungsgebiete sind die Herstellung galvanischer Überzüge und die Gewinnung bzw. Raffination von Metallen.

Bei der Durchführung der K. zur Gewinnung von Einkristallen besonders hoher Qualität und teilweise beträchtlicher Größe bedient man sich spezieller Methoden der Kristallzüchtung.

  • Die Autoren
Dr. Andrea Acker, Leipzig
Prof. Dr. Heinrich Bremer, Berlin
Prof. Dr. Walter Dannecker, Hamburg
Prof. Dr. Hans-Günther Däßler, Freital
Dr. Claus-Stefan Dreier, Hamburg
Dr. Ulrich H. Engelhardt, Braunschweig
Dr. Andreas Fath, Heidelberg
Dr. Lutz-Karsten Finze, Großenhain-Weßnitz
Dr. Rudolf Friedemann, Halle
Dr. Sandra Grande, Heidelberg
Prof. Dr. Carola Griehl, Halle
Prof. Dr. Gerhard Gritzner, Linz
Prof. Dr. Helmut Hartung, Halle
Prof. Dr. Peter Hellmold, Halle
Prof. Dr. Günter Hoffmann, Eberswalde
Prof. Dr. Hans-Dieter Jakubke, Leipzig
Prof. Dr. Thomas M. Klapötke, München
Prof. Dr. Hans-Peter Kleber, Leipzig
Prof. Dr. Reinhard Kramolowsky, Hamburg
Dr. Wolf Eberhard Kraus, Dresden
Dr. Günter Kraus, Halle
Prof. Dr. Ulrich Liebscher, Dresden
Dr. Wolfgang Liebscher, Berlin
Dr. Frank Meyberg, Hamburg
Prof. Dr. Peter Nuhn, Halle
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Dr. Helmut Schmiers, Freiberg
Prof. Dr. Klaus Schulze, Leipzig
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Prof. Dr. Rudolf Taube, Merseburg
Dr. Ralf Trapp, Wassenaar, NL
Dr. Martina Venschott, Hannover
Prof. Dr. Rainer Vulpius, Freiberg
Prof. Dr. Günther Wagner, Leipzig
Prof. Dr. Manfred Weißenfels, Dresden
Dr. Klaus-Peter Wendlandt, Merseburg
Prof. Dr. Otto Wienhaus, Tharandt

Fachkoordination:
Hans-Dieter Jakubke, Ruth Karcher

Redaktion:
Sabine Bartels, Ruth Karcher, Sonja Nagel


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