Lexikon der Mathematik: reelle Zahlen
Ergebnis der Erweiterung des archimedischen Körpers ℚ der rationalen Zahlen zu einem vollständigen archimedischen Körper ℝ. Dieser Erweiterung kann etwa mit Hilfe von Cauchy- Folgen, von Dedekind-Schnitten oder von Intervallschachtelungen durchgeführt werden. Jeweils muß man die Körperoperationen und die Ordnung geeignet definieren.
Weiter können die reellen Zahlen als Dezimalbruchentwicklungen definiert oder geometrisch als Punkte der Zahlengeraden gedeutet werden. Schließlich kann man ℝ axiomatisch als vollständigen archimedischen Körper einführen. Dann sind die Körperoperationen und die Ordnung schon als Teil der Definition gegeben.
Cauchy-Folgen
Nach Georg Gantor (1883) und Charles Méray (1869) definiert man den Körper ℝ der reellen Zahlen als Restklassenkörper C/N des (kommutativen) Rings C der Cauchy-Folgen rationaler Zahlen bzgl. des (maximalen) Ideals N der Nullfolgen, d. h. als Menge von Äquivalenzklassen bzgl. der durch
Vorteile dieses Zugang zu den reellen Zahlen (z. B. verglichen mit dem über Dedekind-Schnitte) sind etwa, daß man Addition und Multiplikation aus der Addition und Multiplikation von Folgen bekommt, und daß er sich auch nutzen läßt zur Vervollständigung metrischer Räume (wobei wiederum die Vollständigkeit von ℝ benutzt wird).
Dedekind-Schnitte
Gemäß Julius Wilhelm Richard Dedekind (1872) definiert man die reellen Zahlen als Dedekind-Schnitte in den rationalen Zahlen, also \({\mathbb{R}}:={\mathbb{D}}({\mathbb{Q}})\). Man identifiziert Dedekind-Schnitte mit ihren rechten Mengen und setzt
Intervallschachtelungen
Von Paul Gustav Heinrich Bachmann (1892) stammt die Definition der reellen Zahlen als Restklassen bzgl. der durch
Durch Definition von Addition, Multiplikation und Ordnung für Intervallschachtelungen I und damit (nach Nachweis der Repräsentantenunabhängigkeit) für deren Restklassen 〈I〉 entsteht ein vollständiger archimedischer Körper ℝ. Die Abbildung
Vorteile dieses Verfahrens sind etwa seine Anschaulichkeit und die Tatsache, daß die Elemente einer Intervallschachtelung Näherungen bekannter Genauigkeit für die zugehörige reelle Zahl darstellen.
Dezimalbruchentwicklungen
Karl Theodor Wilhelm Weierstraß (1872) definierte die reellen Zahlen als Dezimalbruchentwicklungen, d. h. als unendlich lange Zeichenketten
Vorteile dieses Verfahrens sind etwa seine Anschaulichkeit und sein Bezug zum praktischen Rechnen. Auch andere Basen als 10 können als Grundlage der Entwicklung benutzt werden.
Zahlengerade
Die reellen Zahlen lassen sich geometrisch darstellen als Punkte einer beliebig gewählten Geraden g der euklidischen Ebene. Man legt auf g zwei verschiedene Punkte 0 und 1 fest. Dadurch wird eine Durchlaufungsrichtung von g und damit eine Ordnung bestimmt. Man nennt gZahlengerade und die in 0 beginnende, durch 1 laufende Halbgerade, die gerade die nicht-negativen reellen Zahlen enthält, Zahlenstrahl. Die Addition entspricht dem Aneinandersetzen der zugehörigen Strecken (unter Beachtung der Richtung) und die Multiplikation einer Streckung.
Eigenschaften von ℝ
ℝ ist der kleinste den Körper ℚ umfassende vollständige Körper, d. h., jeder ℚ umfassende vollständige Körper enthält einen zu ℝ isomorphen Unterkörper.
Beispielsweise mit dem zweiten Cantorschen Diagonalverfahren sieht man, daß das Intervall [0,1) und damit erst recht ℝ überabzählbar ist: Hat man abzählbar viele beliebige Zahlen a1, a2, a3, … ∈ [0, 1), nimmt dazu Darstellungen
ℝ ist nicht algebraisch abgeschlossen, denn z. B. gibt es kein x ∈ ℝ mit x2 + 1 = 0. Die minimale Erweiterung von ℝ zu einem algebraisch abgeschlossenen Körper führt zu den komplexen Zahlen. Dort gibt es ein solches x, nämlich x = i.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.