Lexikon der Mathematik: Topologie
Die Topologie, wie sie heute verstanden wird, ist ein Kind des 20. Jahrhunderts und umfaßt eine ganze Reihe von Gebieten. Wie die Algebra ist die Topologie als universelle Sprache für weite Teile der Mathematik grundlegend geworden.
Die mengentheoretische Topologie verdankt wie die Cantorsche Mengenlehre ihre Entstehung der Untersuchung reellwertiger Funktionen auf Teilmengen der reellen Zahlen ℝ, und noch 1914 hat F. Hausdorff die erste axiomatische Einführung topologischer Räume in einem Buch mit dem Titel “Grundzüge der Mengenlehre” gegeben. Das heute gebräuchliche Axiomensystem wurde 1925 von Alexandrow formuliert, aber schon 1906 hatte Fréchet metrische Räume betrachtet. Die mengentheoretische Topologie umfaßt das Studium topologischer Räume und der stetigen Abbildungen zwischen ihnen; zentrale Begriffe sind hier Stetigkeit, Kompaktheit, Zusammenhang und Trennungseigenschaften.
Ein Ziel der Topologie ist die Entwicklung von topologischen Invarianten, die es erlauben, nicht homöomorphe Räume als solche zu erkennen. Beispielsweise ist das Geschlecht einer zusammenhängenden kompakten orientierbaren 2-dimensionalen Mannigfaltigkeit eine solche Invariante; daß die Sphäre Geschlecht 0, der Torus dagegen Geschlecht 1 hat, impliziert insbesondere, daß es zwischen diesen beiden Objekten keinen Homöomorphismus geben kann. Die algebraische Topologie entstand aus dem Bemühen Poincarés heraus, eine andere solche Invariante, nämlich die Fundamentalgruppe eines topologischen Raums, zu verstehen. Im Laufe der Zeit wurden topologische Invarianten wie die Bettizahlen durch algebraische Objekte wie Homologie- und Kohomologiegruppen ersetzt; diese haben heute in weite Teile der Mathematik Einzug gehalten und sind zu einem guten Teil mitverantwortlich für die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgetretene Vereinheitlichung der Mathematik.
Tatsächlich ist die Topologie ein Band, das auf den ersten Blick weit voneinander entfernte Gebiete zu verbinden vermag: topologische Methoden erlauben den Nachweis, daß reelle Divisionsalgebren Dimension 1, 2, 4 oder 8 haben, die Theorie topologischer Gruppen erstreckt sich von Krulls Topologisierung unendlicher Galoisgruppen über Integration auf lokal-kompakten Gruppen bis hinein in die Theorie der Liegruppen, die Euler-Poincaré-Charakteristik geht sogar zurück auf Eulers klassische Formel e − k + f = 2 für die Beziehung zwischen der Anzahl der Ecken, Kanten und Flächen eines Polyeders, und die verschränkten Homomorphismen und Faktorensysteme bei Noether und Brauer werden heute in derselben kohomologischen Sprache beschrieben wie die de Rham-Kohomologie in der Integralrechnung auf Mannigfaltigkeiten.
Neben der algebraischen Revolution, die uns Homologie- und Kohomologiegruppen sowie Spektralsequenzen beschert hat, hat noch eine „landwirtschaftliche“ Revolution stattgefunden, deren Objekte (wie Garben, Halme und Bündel) heute in der Differentialgeometrie ebenso Anwendung finden wie in der algebraischen Geometrie. Ein weiteres Indiz für die ungeheure Fruchtbarkeit topologischer Methoden ist die Tatsache, daß Teilgebiete der Topologie wie die Theorie der Knoten oder die K-Theorie im Laufe der Zeit zu eigenen Disziplinen herangewachsen sind.
Gute Einführungen in die mengentheoretische Topologie geben Jänich [2] und Ossa [4]; für die algebraische Topologie eignen sich Sato [5], Fulton [1], sowie Stöcker & Zieschang [6]. Das Buch [3] von Madsden & Tornehave sei als elementare Einführung in die de-Rham Kohomologie wärmstens empfohlen.
Für den Begriff der Topologie als mathematisches Objekt vgl. topologischer Raum.
Literatur
[1] Fulton, W.: Algebraic Topology. A First Course. Springer-Verlag, 1995.
[2] Jänich, K.: Topologie. Springer-Verlag, 2001.
[3] Madsden, I.; Tornehave, J.: From Calculus to Cohomology. Cambridge Univ. Press, 1997.
[4] Ossa: Topologie. Vieweg, 1992.
[5] Sato, H.: Algebraic Topology: An Intuitive Approach. Amer. Math. Soc., 1999.
[6] Stöcker, R., Zieschang, H.: Algebraische Topologie: Eine Einführung. Teubner, 1994.
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