Lexikon der Optik: Farbensehen
Farbensehen, Empfindung bunter Farben.F. stellt die Fähigkeit des visuellen Systems dar, auf Licht unterschiedlicher Wellenlängen aber gleicher subjektiver Helligkeit in unterschiedlicher Weise zu reagieren. Hierzu sind mindestens zwei verschiedene Typen von Photorezeptoren erforderlich. Das Absorptionsspektrum eines Rezeptors ist die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Photon einer bestimmten Wellenlänge absorbiert wird (Univarianz-Prinzip). Der Output eines Rezeptors selbst hängt nur von der Anzahl der absorbierten Lichtquanten, nicht aber von deren Wellenlänge ab. Jeder Rezeptor der Netzhaut ist für sich allein betrachtet farbenblind, d.h., er kann nur registrieren, wieviele Photonen absorbiert worden sind, aber nicht welche Wellenlänge diese hatten. Zwei Reize von unterschiedlicher Wellenlänge aber gleicher Intensität rufen auf dem Niveau eines Rezeptors die gleiche Antwort hervor. Die Information über die Wellenlänge und damit über die Farbe wird im visuellen System durch den Vergleich des Outputs verschiedener Rezeptortypen gewonnen.
Je nach Anzahl der in der Netzhaut vorkommenden Rezeptortypen werden verschiedene Stufen des F. unterschieden. Achromaten, die keine Zapfen aufweisen, und Monochromaten, die nur über einen Zapfentyp verfügen, vermögen unter skotopischen bzw. unter photopischen Adaptationsleuchtdichten (Sehen) keine Farben zu erkennen. Lediglich unter mesopischen Bedingungen (Sehen), wenn Zapfen und Stäbchen gemeinsam aktiv sind, können Zapfenmonochromaten über eine eingeschränkte Farbempfindung verfügen. Als Dichromasie wird das F. bezeichnet, wenn zwei Rezeptortypen vorliegen. Man spricht von Trichromasie, wenn drei Rezeptortypen vorhanden sind. Dies entspricht beim Menschen dem Normalfall.
Zur Erklärung des F. wurden bereits im 19. Jahrhundert die Dreifarbentheorie und die Gegenfarbentheorie vorgeschlagen. Beide Theorien wurden später zur Zonentheorie vereinigt.
Die Dreifarbentheorie von T. Young und H. v. Helmholtz basiert auf der Existenz von 3 verschiedenen Zapfensystemen (S-, M-, L-Zapfen), die jeweils charakteristische Absorptionseigenschaften aufweisen (Abb. 1). Ein auf die Netzhaut auftreffender Farbreiz wird in den Zapfen absorbiert und erzeugt hier eine neuronale Erregung, deren Stärke durch die Intensität des in den betroffenen Zapfen absorbierten Lichtes bestimmt wird. Metamere Farbreize unterschiedlicher spektraler Verteilungen, die gleichen Farbvalenzen entsprechen, rufen in den Zapfen die gleichen elektrischen Erregungen hervor und sind damit nicht unterscheidbar.
Die Dreifarbentheorie wurde aufgrund subjektiver sinnesphysiologischer Erfahrungen, die im Farbdreieck zusammengefaßt sind, formuliert. Durch Mischen von drei monochromatischen Primärfarben F1 (Wellenlänge 700 nm), F2 (546 nm) und F3 (435 nm) läßt sich jeder Buntton erzeugen. Sie gestattet die Erklärung der verschiedenen Arten von Farbsinnstörungen. Das Auftreten von Nachbildern in den Komplementärfarben eines Farbreizes läßt sich durch Ermüdung einzelner Zapfen deuten. Die Farbumstimmung ist ebenfalls erklärbar. Verändert sich die Beleuchtung der Zapfen, so ändert sich in entsprechender Weise ihre Empfindlichkeit so, daß diese veränderte Lichtart als unbunt empfunden wird.
Der von E. Hering formulierten Gegenfarbentheorie liegt die Existenz miteinander unvereinbarer Farben (Grün-Rot, Gelb-Blau, Schwarz-Weiß) (Gegenfarben, Urfarben) zugrunde. Sie basiert auf der Polarität der Farbwahrnehmung, nach der es kein grünliches Rot oder bläuliches Gelb, aber ein bläuliches Grün (Cyan) oder ein rötliches Gelb (Orange) gibt. Es existieren zwei Gegenfarbenpaare Rot/Grün und Blau/Gelb, für die im visuellen System getrennte Verarbeitungskanäle vorhanden sind. Die Netzhaut ist in rezeptive Felder unterteilt. Bei farbspezifischen rezeptiven Feldern sind Zentren und Peripherie antagonistisch organisiert. Das rezeptive Feld der L-Zapfen besteht aus einem Zentrum, das von den L-Zapfen aktiviert wird, und einer Peripherie, die von M-Zapfen gehemmt wird. Bei Belichtung des Zentrums mit rotem Licht wird die Ganglionzelle dieses rezeptiven Feldes aktiviert, während bei Belichtung der Peripherie mit rotem Licht dieselbe Ganglionzelle gehemmt wird. Dieser Typ eines rezeptiven Feldes kann als r+g- bezeichnet werden. Weitere Typen sind r-g+, g+r- und g-r+. Dabei kennzeichnet der erste Buchstabe die Farbempfindlichkeit des Zentrums (Rot bzw. Grün) und der zweite die der Peripherie. Ein Pluszeichen bedeutet Aktivierung der Ganglionzelle, ein Minuszeichen Hemmung. Im Fall g-r+ beispielsweise versorgen M-Zapfen das Zentrum und L-Zapfen die Peripherie des rezeptiven Feldes. Belichtung des Zentrums mit grünem Licht hemmt die nachfolgende Ganglionzelle. Belichtung der Peripherie mit grünem Licht aktiviert die nachfolgende Ganglionzelle.
Eine andere Gruppe von Ganglionzellen bekommt ihren Input von den S-Zapfen, die das Zentrum des rezeptiven Feldes bestimmen, und einer Kombination von M- und L-Zapfen, die die Peripherie versorgen. Bei Belichtung des Zentrums des rezeptiven Feldes mit einem blauen Lichtreiz wird die Ganglionzelle aktiviert. Wird die Peripherie des rezeptiven Feldes mit einem blauen Lichtreiz belichtet, so wird die Ganglionzelle gehemmt. Dieser Typ eines rezeptiven Feldes kann als b+y- bezeichnet werden. Dabei steht b für Blau und y für Gelb (yellow). Weitere Typen sind b-y+, y+b- und y-b+.
Die Zonentheorie von J. v. Kries stellt eine Vereinigung der Theorien von Young und Helmholtz sowie Hering dar. Die Zapfen wandeln die Farbreize gemäß der Dreifarbentheorie in elektrische Erregungen um, die den Farbwerten eines virtuellen Primärvalenzsystems entsprechen, dessen Spektralwertkurven durch die spektrale Empfindlichkeit der einzelnen Zapfentypen gegeben sind. Auf der nachgeordneten Stufe des visuellen Systems erfolgt dann die Verarbeitung entsprechend der Gegenfarbentheorie.
Durch Summen- und Differenzbildung werden elektrische Erregungen, die denen des Gegenfarbensystems entsprechen, gebildet. Die Summe der Outputs der Rezeptoren liefert Informationen über die Helligkeit des Farbreizes. Durch unterschiedliche Differenzbildung der Zapfenoutputs entstehen die Signale der Rot-Grün- sowie der Blau-Gelb-Gegenfarben. Die Signale des Gegenfarbensystems können als Farbwerte eines speziellen Primärvalenzsystems interpretiert werden. Die Summen- und Differenzbildung der Farbwerte stellen lineare Transformationen dar. Bei geeigneter Wahl der Koeffizienten der Summenbildung resultiert als Spektralwertkurve für die Hellempfindung die V(λ)-Kurve. Durch Differenzbildung erhält man Kurven, die in bestimmten Wellenlängenbereichen positive und in anderen negative Werte besitzen (Abb. 2). Im Falle der Rot-Grün-Gegenfarbenkurve führen Farbreize im langwelligen und kurzwelligen Bereich zu positiven (rötlich oder bläulich) und im Bereich mittlerer Wellenlängen zu negativen (grünlichen) Signalen. Dort, wo diese Spektralwertkurve ihre Nullstellen hat, liegen die Urfarben.
Farbensehen 1: Absorptionsspektren der L-, M- und S-Zapfen. Das Absorptionsmaximum der S-Zapfen liegt bei einer Wellenlänge von 419,0 nm, das der M-Zapfen bei 530,8 nm und das der L-Zapfen bei 558,4 nm. Die Stäbchen (R) besitzen ein Absorptionsmaximum bei 496,3 nm (nach Dartnall et al.).
Farbensehen 2: Hypothetische Spektralwertkurven des Gegenfarbensystems. V(λ) spektraler Hellempfindlichkeitsgrad des helladaptierten Auges, rg Rot-Grün-Gegenfarben, by Blau-Gelb-Gegenfarben (nach Bergmann-Schäfer, Optik, Walter de Gruyter, Berlin 1993).
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