Metzler Lexikon Philosophie: Ausdruck
In Husserls 1. Logischer Untersuchung (1900) findet sich eine für die Diskussion im 20. Jh. wirkungsmächtige Bestimmung des Ausdrucksbegriffs, nach der A. »jede Rede und jeder Redeteil, sowie jedes wesentlich gleichartige Zeichen« ist. A. wird hierbei allerdings reduziert auf sprachlich-diskursive Formen, die intentional auf eine situationsunabhängige Bedeutung verweisen und eine kommunikative Funktion besitzen. Dieser Ausdrucksbegriff eignet sich zur Widerlegung des Psychologismusvorwurf. Wesentlich weiter wird das Ausdrucksphänomen von Dilthey im Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften (1910) eingeführt, der neben sprachlich-diskursiven Formen auch Handlungen und Erlebnisausdrücke berücksichtigt. Letztere reichen von körpergebundenen (mimischen und gestischen) Ausdrucksformen emotionaler Zustände bis hin zu künstlerisch gestaltetem A. Letztlich ist alles, dem der Mensch »wirkend sein Gepräge aufgedrückt hat«, d.h. alle historischen und kulturellen Objektivationen des menschlichen Geistes als A. aufzufassen. Im A. formt und artikuliert sich ein fließendes und unscharfes »inneres« Erlebnis und gewinnt eine »äußere«, materielle Gestalt, die von anderen erfasst und verstanden werden kann. Hermeneutik fußt so auf dem Zusammenhang von Erleben, A. und Verstehen. Bei Plessner, der an Dilthey anschließt, wird A. bzw. »Expressivität« in den Stufen des Organischen und der Mensch (1928) zu einem Grundbegriff der Philosophischen Anthropologie. Der Mensch ist von seiner natürlichen Konstitution her ein Wesen, dass sich notwendig ausdrücken muss. Darin liegt letztlich der Grund für seine historische Existenzweise. Auch in Cassirers Philosophie der symbolischen Formen (1923–29) besitzt der Ausdrucksbegriff eine grundlegende Bedeutung. Insbesondere die Welt des Mythos wird von Cassirer als eine Ausdruckswelt skizziert, in der weniger Gegenstandskomplexe, sondern Ausdruckscharaktere (z.B. das Düstere oder Heitere, das Furchteinflößende oder Beruhigende) den Sinn der Erfahrung bestimmen. Dies gilt auch für die frühkindliche Erfahrung. Insgesamt schreibt Cassirer dem A. eine konstitutive Funktion in allen symbolischen Formen (u.a. Sprache, Wissenschaft) zu. Das Verstehen von A. und darauf aufbauend die Erfahrung des »Du« bzw. generell lebendiger Dinge ist früher als das Wissen von Gegenständen. Daraus ergibt sich die Bedeutung der Ausdruckswahrnehmung für die Problematik der Intersubjektiviät und des Fremdverstehens. Dieser Gedanke findet sich bereits in Schelers Analysen über Wesen und Formen der Sympathie (1913/23). Über die Ausdruckswahrnehmung haben wir demnach einen direkten Zugang zur Sphäre eines anderen Ichs. – Parallel zur Philosophie findet sich auch in der Psychologie, ausgehend von der älteren Physiognomik und von Darwins funktional-evolutionstheoretischer Ausdrucksbestimmung (The expression of emotions in man and animals, 1872) eine kontinuierliche Beschäftigung mit dem A. Grundannahme ist hier, dass alle sozialen Bindungen des Menschen ihre Grundlage in Emotionen haben, die in erster Linie mit Hilfe von körpergebundenen Ausdrucksformen kommuniziert werden. Eine Reihe von Ausdruckspychologen gehen davon aus, dass es für bestimmte Grundemotionen (u.a. Furcht, Freude, Überraschung, Ekel, Scham, Zorn) transkulturelle, universal verständliche mimische Ausdrucksformen gibt.
Literatur:
- E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Bd. 3. Darmstadt 1990. S. 53–121
- Ders.: Dingwahrnehmung und Ausdruckswahrnehmung. In: Ders.: Zur Logik der Kulturwissenschaften. Darmstadt 1994. S. 34–55
- W. Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften (GS VII). Stuttgart/Göttingen 1992
- E. Husserl: Logische Untersuchungen. 2. Bd. Hamburg 1992. S. 30–110
- C. E. Izard: Die Emotionen des Menschen. Einheim/Basel 1994
- H. Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch (GS IV). Frankfurt 1981
- K. R. Scherer (Hg.): Psychologie der Emotion. Enzyklopädie der Psychologie Bd. C-IV-3. Göttingen/Toronto/Zürich 1990
- M. Scheler: Wesen und Formen der Sympathie (GW 7). Bern/München 1973.
NM
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.