Metzler Lexikon Philosophie: Bayesianismus
wissenschaftstheoretische Position, die sich unter Zuhilfenahme wahrscheinlichkeitstheoretischer Methoden insbesondere um eine Klärung des Begriffs der wissenschaftlichen Bestätigung bemüht. Von zentraler Bedeutung ist dabei ein auf T. Bayes (1702–1761) zurückgehendes, wenngleich von diesem nie in seiner modernen Form aufgestelltes Theorem über die (bedingte) Wahrscheinlichkeit p(H|E) einer Hypothese H in Abhängigkeit von einer Beobachtung E, demzufolge p(H|E) = p(H) × p(E|H)/p(E). Formal betrachtet handelt es sich dabei um eine einfache Folgerung aus der Definition bedingter Wahrscheinlichkeiten, wonach p(A|B) := p(A & B)/p(B) (für p(B) ≠ 0). Anschaulich gedeutet gibt das Bayes’sche Theorem darüber Auskunft, zu welchem Grad (gemessen in subjektiven Glaubenswahrscheinlichkeiten) die Hypothese H durch die Beobachtung E bestätigt wird, wenn dabei die sog. apriori Wahrscheinlichkeiten für H, E und für E unter der Voraussetzung, dass die Hypothese H zutrifft, angenommen werden. Wird dabei die Beobachtung E als empirische Erkenntnis aufgefasst, dann fordert der B. eine entsprechende Anpassung der Wahrscheinlichkeitseinschätzung beliebiger Ereignisse in Übereinstimmung mit dem Bayes’schen Theorem gemäß der sog. Konditionalisierungsregel anhand der Formel pneu(A) = palt(A|E). Die Konditionalisierung kann daher gesehen werden als eine Theorie induktiven Lernens für rationale Individuen. – Obwohl der B. eine leistungsfähige Konzeption der wissenschaftlichen Bestätigung durch probabilistisch aufbereitete Daten darstellt, gelten Kritikern die mit ihm verbundenen wahrscheinlichkeitstheoretischen Annahmen als anschaulich wenig überzeugende Rationalitätsforderungen. Insbesondere die These, dass rationale Akteure jeweils über eine eindeutige (und abzählbar additive) Wahrscheinlichkeitsfunktion zur probabilistischen Bewertung beliebiger Ereignisse verfügen, wird trotz der zu ihrer Verteidigung vorgebrachten formalen Argumente häufig abgelehnt oder entscheidend abgeschwächt. – Im Rahmen der Entscheidungstheorie versteht man unter B. das für Entscheidungen unter Risiko formulierte Prinzip, aus einer Menge von Handlungsalternativen diejenige Handlung auszuwählen, für die der zu erwartenden Nutzen, d.h. der Nutzen der, relativ zu den möglicherweise vorliegenden Situationen, durch die jeweilige Handlung bewirkten Konsequenzen (gewichtet um die jeweilige Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens), der größtmögliche ist. Mit dem B. als wissenschaftstheoretische Position teilt die bayesianische Entscheidungstheorie die Überzeugung, dass rationale Individuen mögliche Ereignisse mit einer eindeutigen Wahrscheinlichkeitsfunktion bewerten.
Literatur:
- J. Earman: Bayes or Bust. Cambridge (Mass.) 1992
- C. Howson/P. Urbach: Scientific Reasoning. A Bayesian Approach. Chicago 21993
- E. T. Jaynes: Probability Theory. The Logic of Science. Cambridge 2003
- I. Levi: The Enterprise of Knowledge. Cambridge (Mass.) 1980
- P. Maher: Betting on Theories. Cambridge 1993.
UM
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