Metzler Lexikon Philosophie: Menschenrechte
(1) Begriffliche und historische Bestimmung: M. sind universelle und egalitäre Rechte, die jedem Menschen als Individuum unabhängig von bestimmten Erwerbshandlungen zustehen und die alle Menschen in der gleichen Weise beanspruchen können. Mit den M.n korrespondieren (negative und positive) Verpflichtungen, die sich an alle einzelnen oder an alle gemeinsam oder an bestimmte Gruppen adressieren. Gegenstand der M. sind der Schutz und die Sicherung von Leben, basalen Freiheiten und Interessen des Einzelnen. Als Rechte sind sie mit Klagebefugnis und Durchsetzungschancen verbunden. Der überwiegenden Auffassung nach sind M. vorstaatliche, moralisch begründete Rechte, die dann als externer Maßstab der Legitimität eines Staates fungieren, für andere sind sie juridische Rechte, die als legitimes staatliches Recht moralischen Ansprüchen genügen müssen. Historisch sind die M. als subjektive Rechte im Rahmen der revolutionären politischen Verfassungen zuerst in Amerika (1776) und in Frankreich (1789) deklariert worden. Ihre gegenwärtige politische Geltung beruht auf der »Allgemeinen Erklärung der M.« der UNO (1949), für die BRD ferner auf den Grundrechten des Grundgesetzes von 1949. Ideengeschichtlich gehen die M. auf die in der europäischen Kultur entstandenen Vorstellungen der Gleichheit aller Menschen (z.B. Stoa; christliche Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen), ihrer individuellen Freiheit und der Idee subjektiver Rechte zurück. Für die neuere Zeit bestimmend waren die naturrechtliche Auffassung Lockes und die vernunftrechtliche Kants. (2) Drei inhaltliche Gruppen: Unterschieden werden (a) die negativen Freiheitsrechte, die vornehmlich Abwehrrechte gegen Gewalteinwirkungen durch den Staat und durch einzelne umfassen, (b) die positiven Teilnahmerechte, die die politische und gesellschaftliche Meinungs- und Willensbildung betreffen, (c) die sozialen Teilhaberechte, die die Gewährung von gleichen und angemessenen Lebensbedingungen sichern. Die klassisch liberalen Positionen sahen darin nur den Schutz einer negativen Freiheit. Dies muss durch einen positiven Freiheitsbegriff ergänzt werden, der auch die Gelegenheiten und Fähigkeiten, so zu handeln, wie man will, unter den Schutz der M. stellt. Schutzwürdig sind auch die Situationen Hilfsbedürftiger, so dass einem umfassenden Verständnis der M. die (negativen) Pflichten der Nichtbeeinträchtigung und die (positiven) Pflichten des Schutzes und der Hilfe in Not korrespondieren (H. Shue, E. Tugendhat).
(3) Begründbarkeit: Das Auffassungsspektrum reicht von der Leugnung ihrer Begründbarkeit und damit ihrer Existenz (Bentham) bis zur Überzeugung ihrer absoluten Begründetheit. Absolute Begründungen operieren naturrechtlich oder theologisch mit dem Begriff der Menschenwürde (Würde) als eines absoluten Wertes (Vlastos, Spaemann); transzendentale Argumentationen versuchen den M.n eine nichtrelative, objektive Begründung zu geben (Höffe). Objektivität beanspruchen auch Versuche, die die M. relativ zu moralischen Verpflichtungen, z.B. der universellen und gleichen Achtung aller (Tugendhat), als legitime grundrechtliche Freiheitsrechte (Alexy) oder mit Bezug auf schutzwürdige, anthropologisch allgemeine Grundbedürfnisse begründen. Habermas begründet die M. als legitime Grundrechte durch den Nachweis einer wechselseitigen Bedingtheit von M.n und Volkssouveränität. Schließlich gibt es kulturrelative Auffassungen, die die M. als Produkte der liberalen Tradition des Westens sehen, was positiv gewertet werden kann (z.B. Rorty), aber auch negativ zum Vorwurf des Eurozentrismus geführt hat. Völkerrechtliche Auffassungen begründen die M. nur relativ zum rationalen Eigeninteresse wohlgeordneter Staaten (Rawls).
(4) Verhältnis zur Demokratie: Hier ist die Spannung zwischen universellen M.n und partikularen Bürgerrechten bestimmend. Das Asylrecht ist beispielhaft ein M., das innerhalb eines Staates ein juridisches Recht allen anderen zubilligt. Strittig ist, ob nicht schon ein formaler Rechtsstaat oder ob erst ein demokratischer Verfassungsstaat hinreichende Bedingungen für die Positivierung der M. ist (Böckenförde, Alexy). Der universelle Anspruch der M. treibt zur Entwicklung eines Weltbürgerrechts, das nur durch die Verbesserung des Völkerrechts, internationaler (UNO) und globaler, nichtstaatlicher Organisationen (z.B. amnesty international), nicht aber im Rahmen eines Weltstaates (so schon Kant), sinnvoll eingerichtet und geschützt werden kann.
(5) Geschlechtsspezifische und kulturrelative Einwände: Sie beziehen sich wesentlich auf Anwendungsprobleme. In vielen Kulturen, z.B. chinesisch, japanisch oder islamisch geprägten, ist das überlieferte individuelle Selbstverständnis vom Vorrang des Verpflichtetseins durch eine Gemeinschaft gegenüber dem Anspruch subjektiver Rechte geprägt. Hier stoßen westlich und nicht-westlich geprägte kulturelle Selbstverständnisse aufeinander, und es ist offen, ob in »cross-cultural perspectives« eine Kulturen übergreifende Verständigung erreicht werden kann. Ebenso wie feministische Einwände, die die bisherige männlich orientierte Auslegung der M. kritisieren, schärfen diese Probleme die Fragen nach den formalen Voraussetzungen der M. und führen zu einem differenzierteren Verständnis ihrer Universalität.
Literatur:
- R. Alexy: Theorie der Grundrechte. Frankfurt 1986
- E.-W. Böckenförde/R. Spaemann (Hg.): Menschenrecht und Menschenwürde. Stuttgart 1987
- St. Gosepath/G. Lohmann (Hg.): Philosophie der Menschenrechte. Frankfurt 1998
- J. Habermas: Faktizität und Geltung. Frankfurt 1992
- W. Heidelmeyer (Hg.): Die Menschenrechte. Paderborn 31982
- L. Kühnhardt: Die Universalität der Menschenrechte. München 1987
- J. Schwartländer (Hg.): Menschenrechte. Tübingen 1978
- H. Shue: Basic Rights. Princeton 1980
- St. Shute/S. Hurley (Hg.): On Human Rights. New York 1993
- E. Tugendhat: Vorlesungen über Ethik. Frankfurt 1993.
GL
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