Metzler Lexikon Philosophie: Ontologie
(1) Namenserklärung: Der Name »O.«, den Goclenius (1613) neu gebildet hatte, setzte sich als Bezeichnung für den aristotelischen Titel »erste Philosophie« in der deutschen Schulmetaphysik des 17. Jh. nur zögernd durch, bis ihn Ch. Wolff allgemein zum Disziplinbegriff ausgestaltete. Auch heute versteht man O. als Disziplin der Philosophie neben Logik, Erkenntnistheorie, Ethik oder Anthropologie. Aber ihr Rang, »erste Philosophie« zu sein, ist sehr umstritten. Man verdeutscht O. (on: Seiendes; logos: Lehre) durch: »Lehre vom Seienden als solchem« oder auch: »Seinslehre«.
(2) Begriffsgeschichte: In dem Schriftwerk, das uns in vierzehn Büchern unter dem Titel »Metaphysik« überliefert ist, versucht Aristoteles den Gegenstand und die Methode einer Wissenschaft zu bestimmen, die im Vergleich mit allen anderen möglichen Wissenschaften als »erste Philosophie« ausgezeichnet wird, weil sie unvergleichlich mit dem »Ersten« (proton) zu tun hat, nämlich mit den ersten »Prinzipien und Ursachen des Seienden« (Met. E1, 1025b), und zwar für alles Seiende allgemein und im ganzen (Met. K3, 1060b31), das die Einzelwissenschaften, die ja je nur mit einem besonderen Seienden befasst sind, unthematisch voraussetzen. Die aristotelische Umschreibung des Gegenstandes der »ersten Philosophie« ist das to on e on, das Seiende als Seiendes, das ens quatenus ens. Die wesentliche Frage danach, was das Seiende ist (ti to on – Met. Z1, 1028b4), kann darum nur beantwortet werden, wenn man die »ersten Gründe« ermittelt. Unter dieser Rücksicht ist die erste Wissenschaft die »Wissenschaft des Warum« (an. post. 78a22 – 79a32; Met. 980a21 – 982a3), also – der Sache nach – Prinzipienwissenschaft. Dass die Warumfrage angesichts der Mannigfaltigkeit von Gründen und Ursachen zunächst undifferenziert auf einen »ersten« Einheitsgrund hinzielt, kann bei dem anfänglichen Problemstand nicht verwundern. Indem aber Aristoteles hinsichtlich der anderen Wissenschaften das Seiende nach Gattungen unterscheidet, sieht er sich gezwungen, für den schlechthin zureichenden Seinsgrund ein »höchstes Seiendes« als den vorzüglichsten Gegenstand der »ersten Wissenschaft« herauszuheben, von dem er als dem »Göttlichen« und dem »Gott« spricht. Deswegen nennt er die »erste Philosophie« auch »Theologie«. Obwohl klar ist, dass das, was unter dem Rangtitel »erste Philosophie« verhandelt wird, nicht in der »Theologie« aufgeht, prägt Aristoteles weder einen inhaltsbezogenen Begriff für den Teil der Seinslehre, die das Seiende als solches und das ihm notwendig Zukommende im ganzen untersucht, noch für das alle übrigen Teile umfassende Ganze. Erst der nach Aristoteles aufkommende Name »Metaphysik« schaffte hier die erforderliche Klarheit und Eindeutigkeit, auch wenn der sachliche Zusammenhang historisch lange Zeit im Dunkeln blieb, da sich der Peripatos, die an Aristoteles anknüpfende Schulrichtung, nicht in der direkten Auseinandersetzung mit den Schriften des Schulgründers entwickelte und dessen Schriften daher nicht, weil überhaupt nicht, unter dem Titel »Metaphysik« tradiert wurden. Dass dieser Titel aber bereits unmittelbar in der Nachfolge Aristoteles für die Sache der »ersten Philosophie« verwendet wurde, kann heute mit »größter Wahrscheinlichkeit« behauptet werden. Ein bibliothekarischer Verlegenheitstitel, wie man in neueren Zeiten immer wieder annehmen zu müssen meinte, ist er keineswegs; denn er trägt sowohl dem didaktischen als auch dem systematischen Gesichtspunkt Rechnung, falls man die griechische Vorsilbe »meta« aus dem platonisch-aristotelischen Sachzusammenhang deutet. Danach ist Metaphysik als erste Philosophie die für uns, unter didaktischer Rücksicht, schwerste Wissenschaft und folgt im Gang des natürlichen Erkennens zeitlich »nach« der »Physik«, sofern diese mit den Gründen und Ursachen des sinnenfälligen Kosmos zu tun hat. Der Übergang von diesem systematisch Späteren zu dem systematisch Früheren und Ersten ist ein »Hinüber zu den ersten Gründen«, ein ta meta tas archas, wie Theophrast es formulierte, ein Schritt von der Problemebene der Tatsachen in die Dimension der Prinzipien, also nicht zu einem »Über« oder »Hinter« dem Sinnlichen oder einem »Jenseits« des Sinnenfälligen in ein und derselben Problemebene, sondern ein Schritt in die Dimension der Prinzipien, der sich in dem Ausdruck »ta meta ta physika«, kurz »Metaphysik« schürzt und der seit Andronikos von Rhodos (1. Jh. v. Chr.) als Sachtitel für die »erste Wissenschaft« in seiner ganzen Spannweite der von Aristoteles zuerst artikulierten Themen gilt. Bis ins hohe MA. war es selbstverständlich, dass die »erste Philosophie« nichts anderes ist als Metaphysik und »Metaphysik« nichts anderes als philosophia prima, unbeschadet des Umstandes, dass das Problembewusstsein der Scholastik zum Teil nicht mehr auf der Höhe der aristotelischen Problemsituation war. Erst in der Umbruchphase der Neuzeit von der Renaissance über die Reformation zum Humanismus beginnt dieses Selbstverständnis brüchig zu werden. Die Wende kündigt sich durch eine neue Art der Auseinandersetzung mit der aristotelischen Metaphysik an. Während man sich vorher damit begnügte, das Werk zu kommentieren, ohne seine Anordnung und Einheit der Bücher anzutasten, bemühte man sich nun um eine selbständige systematische Aneignung, nicht zuletzt in der Absicht, es als Lehrbuch im Schulbetrieb zu gebrauchen. Bahnbrechendes auf diesem Gebiet leistete F. Suarez mit seinen Disputationes Metaphysicae (1597). Obwohl ihr systematischer Aufbau das Neue ist, abgesehen von dem nie gekannten Umfang, hält Suarez unangefochten an dem überlieferten Metaphysikbegriff fest. So lautet die erste Disputation auch: De natura primae philosophiae seu metaphysicae. Sein älterer Landsmann B. Pererius dagegen sah es als notwendig an, zwei Wissenschaften zu unterscheiden, wo eine war. Da er die verschiedenen Aufgaben der Metaphysik nicht mehr unter eine Sacheinheit bringen konnte, trennte er sie in eine scientia univeralis und in eine scientia particularis; diese nannte er Metaphysik, jene Erste Philosophie. Damit ist zum ersten Mal auch terminologisch die »erste Philosophie« nicht mehr »Metaphysik« und umgekehrt. Zwar hat sein Beispiel keine unmittelbare Nachfolge gefunden, aber die Unterscheidung von zwei Wissenschaften sollte nun allgemein Schule machen. So nimmt Goclenius sie in seiner Isagoge (1589) mit Bezug auf Pererius auf. Ihm folgen Alsted mit der Einteilung der Metaphysik in pars generalis und pars specialis. Was einstmals Sachtitel war, ist nun Oberbegriff, der die Einheit nur noch äußerlich wahrt. Schon Alsted verwendet den von Goclenius neugebildeten Ausdruck O. für die philosophia prima; nach ihm Calov, Micraelius, Clauberg und andere. Inzwischen war es selbstverständlich geworden, dass die O. als allgemeine Metaphysik das Seiende, sofern es seiend ist, untersucht, während sich die besondere Metaphysik mit Gott, Engeln und der abgetrennten Seele befasst; sie ist Theologie, Pneumatologie oder Psychologie. Aus den Teilen entwickeln sich allmählich die Disziplinen, was zur Folge hat, dass der Begriff Metaphysik in seiner tieferen Bedeutung entleert und im Grunde genommen gar nicht mehr als »erste Philosophie« verstanden wird. Nicht nur, dass der Gottesbegriff zu einem Spezialfall wird, auch der Seinsbegriff verliert seine Problemdimension der Prinzipien. Diese Entwicklung kommt mit Chr. Wolff zu einem ersten Abschluss, der durch sein lateinisches Werk Philosophia prima sive ontologia (1730) zugleich der weiteren Entwicklung vorgearbeitet hat. Von Wolff bis Kant ist nun die Unterscheidung von metaphysica generalis und metaphysica specialis schulphilosophisches Gemeingut. In seiner Deutschen Metaphysik (1720) hat Wolff noch versucht, das Ganze darzustellen. Die O. ist Grundwissenschaft aller Wissenschaften und innerhalb der Metaphysik der erste Teil, wobei die Subjektivität im cartesianischen Sinne zum einheitsstiftenden Band wird. Weil ihm aber bereits in Wahrheit ein inhaltlich fundierter Metaphysikbegriff fehlt, der zwischen den Problemebenen zu unterscheiden lehrt, Wolff also nur einen logischen Allgemeinbegriff verwendet, handelt er die Subjektivität des Subjektes, deren ontologische Allgemeinbegriffe übereinkommen sollen mit den allgemeinsten Bestimmungen des Seienden, aller Dinge überhaupt, in derselben Problemebene ab wie die Gegenstände der besonderen Teile (Welt, Seele, Gott), so dass die Einheit der Sache nur in der durchgängig demonstrativen Lehrart erhalten bleibt. Indem Wolff dann im Übergang zu seiner lateinischen O. den cartesianischen Ausgangspunkt vom Subjekt unterschlägt, verselbständigen sich ihm unterderhand die Teile der Metaphysik und werden eigenständige Werke und Disziplinen, für welche die O. allenfalls noch das terminologische Lehrfundament bildet. Diese Gestalt von Metaphysik und O. lernt Kant über die Vermittlung des Wolff Schülers A. Baumgarten kennen. Da Kant so wenig wie seine Vorgänger ein kritisches Quellenstudium trieb, musste ihm nach dem Erwachen aus dem »dogmatischen Schlummer« (Proleg. A13) diese Metaphysik mit allen vorausgehenden Versuchen völlig grundlos erscheinen. Sie hatte für ihn den Status, überhaupt Wissenschaft zu sein, noch gar nicht erreicht. Deshalb sollte Metaphysik allererst grundgelegt werden. Zwar ist sein Anliegen legitim, da sich kein philosophisches Denken der Aufgabe entschlagen darf, das aristotelische Projekt einer »ersten Wissenschaft« vom Ansatz her je neu überprüfend zu durchdenken, sonst knüpfte man unkritisch an tradierte Wissensbestände an. Aber indem Kant sein kritisches Unternehmen der Kritik der reinen Vernunft (1781) ohne Vorbild in Angriff nahm und sich lediglich auf das begriffliche Instrumentarium der Logik und des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch stützte, musste ihm fast notwendig die wesentliche Sachunterscheidung der Problemebenen von Vernunft als Prinzip und Faktum entgehen. Deshalb kam er in seiner transzendentalen Fragestellung auch nur dazu, nach den Bedingungen der Möglichkeit, nicht jedoch nach dem Grund von etwas überhaupt zu fragen. Für ihn ist die Dimension des Grundes identisch mit der Dimension der Bedingungen. Damit gelingt ihm nun zwar die Destruktion der tradierten Schulmetaphysik, indem er in der »Transzendentalen Dialektik« die vorzüglichen Gegenstände der metaphysica specialis (Welt, Seele, Gott) ad absurdum führt und in der »Transzendentalen Analytik« die metaphysica generalis ihres ontologischen Wahrheitsgehaltes beraubt und »Sein« nur noch auf die Funktion der Kopula im Urteil einschränkt. Aber Kant scheitert an seiner Aufgabe der Grundlegung, denn seine Transzendentale Logik vermag nicht mehr den Anspruch einzulösen, den die Schulmetaphysik behauptete. Darum musste der »stolze Name einer Ontologie ... dem bescheidenen, einer bloßen Analytik des reinen Verstandes, Platz machen« (KrV B303). – Mit Kant scheint das Schicksal der O. endgültig besiegelt zu sein. Das Auflehnen des Deutschen Idealismus gegen die Prämissen Kants gewann noch einmal – besonders in der Gestalt Hegels – die ganze Spannweite und Einheit der »ersten Philosophie« als Metaphysik zurück. Hegel hebt die Scheidungen der metaphysischen Disziplinen auf und lässt an ihre Stelle seine Wissenschaft der Logik (1812/16) treten, deren »objektiver« Teil die Stelle der »vormaligen Metaphysik« (Logik, Einl.) einnimmt, freilich unter der Rücksicht eines absoluten Standpunktes auf der Spitze der neuzeitlichen Subjektivität, was die Grundlegung der Metaphysik in der Seinsnatur des Menschen, so wie sie bei Aristoteles – wenn auch noch nicht explizit – angelegt ist, letztlich verhindert. – Nach dem sogenannten »Zusammenbruch des Deutschen Idealismus« wurde es zunächst ruhig um die O. Positivismus und Neukantianismus waren je auf ihre Weise antimetaphysisch eingestellt. Erst im letzten Drittel des 19. Jh. erwachte mit dem Aufkommen der Neuscholastik thomistischer Observanz wieder das Interesse an der Disziplin O. Unter dem Vorzeichen einer Wende zum Objektiven oder zu den »Sachen selbst« erneuerten sowohl die Phänomenologie Husserls als auch der kritische Realismus N. Hartmanns zu Beginn des 20. Jh. die O., ohne jedoch die Voraussetzungen der neuzeitlichen Bewusstseinsphilosophie zu verlassen noch gar hinter Kant zurückzugehen. Der wohl aufsehenerregendste Versuch, Heideggers Fundamentalontologie, ist lebensphilosophisch, neukantianisch und phänomenologisch motiviert; er bleibt bei einem nicht zu bestimmenden Seinsbegriff und damit bei einer »negativen O.« stehen. Überhaupt hat die sogenannte »neue O.« (Hartmann) daher weder etwas mit der O. Wolff’scher Prägung gemein, noch will sie die Sache der philosophia prima fortführen. War die Schulphilosophie des 16./17. Jh. in Verlegenheit, für einen abgezweigten Sachbereich der Metaphysik einen passenden Namen zu finden, so sah man sich nun vor dem Problem, ihn mit »neuem Inhalt« zu füllen. Allgemein ist der Ansatz, vom Gegebenen auszugehen und den Seinsbegriff auf Letztgegebenheiten einzuschränken. Dass man sich dadurch den Weg zu einer Prinzipienreflexion, die das Sachproblem O. im problemgeschichtlichen Zusammenhang der Frage nach der »ersten Philosophie« grundzulegen vermöchte, abschneidet, scheint man zu übersehen. Die neuen O.n, so verschieden und gegensätzlich sie sich in der Spannweite von Heidegger bis Quine darstellen, sind allesamt darum im Kern ametaphysisch.
(3) Sachproblem: Obwohl die Geschichte des Begriffes O. eine Traditionslinie nachzeichnet, in welcher sich das Grundproblem der »ersten Philosophie« als »Metaphysik« aus seiner Ursprungsdimension entfernte, wäre es verfehlt, gänzlich auf den Terminus O. verzichten zu wollen, falls man ihn in systematischer Absicht problemgeschichtlich thematisiert. Dann aber wird man vor allem jene epochalen Wissensentwürfe nicht übersehen können, die einer Metaphysik des Geistes (Platon, Augustinus, Anselm, Eckhart, N. v. Cues) verpflichtet sind. Denn sie bewegt durchgehend das eine kardinale Problem der Apriorität oder Seinswirklichkeit, worauf die Grundfrage »Warum« zielt. Am Leitfaden dieser Urfrage hat sich das Sachproblem dergestalt differenziert, dass man zwischen zwei Weisen von »Grund« zu unterscheiden weiß: einem universalen und einem absoluten, jener als der Seinsgrund der Möglichkeit im Menschen, genannt »Welt« oder »Weltall des Geistes« – in sich notwendig, an sich zufällig –, dieser als der schlechthin zureichende Grund, genannt »Gott« oder das »Absolute«, das sich freilich als »das höchste Thema der Metaphysik ... nur im Welthorizont des Denkens, im Auslegungshorizont des Weltsubjektes Mensch, im Horizont der endlichen mens einlösen läßt, insofern auch Welt oder das Weltall des Geistes in der physis anthropon (Seinsnatur des Menschen) das ist, über das nicht hinausgedacht werden kann« (W. Schrader, 1983, S. 329). – Unter dieser Rücksicht meint der Begriff O. weder eine Disziplin noch eine Spezialtheorie über Sein und Seiendes im Allgemeinen. Um ihn aber von seiner Wirkungsgeschichte abzuheben, muss er mit dem Begriff Metaphysik zusammengedacht werden. Sobald sich Metaphysik und O. sachlich wechselweise auslegen, ohne darum synonym zu sein, ordnet sich der Terminus »O.« dem Begriff »Metaphysik« attributiv unter, so dass sich eine ontologische Metaphysik einreiht in die übergreifende Tradition einer von Aristoteles vorskizzierten Problematik.
Literatur:
- H. Krings: Fragen und Aufgaben der Ontologie. Tübingen 1954
- M. Müller: Sein und Geist. Systematische Untersuchung über Grundproblem und Aufbau mittelalterlicher Ontologie. Freiburg/München 21981
- H. Reiner: Die Entstehung und ursprüngliche Bedeutung des Namens Metaphysik. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 8 (1954)
- W. Schrader: Zur Erneuerung der Frage nach der Ersten Wissenschaft. In: Perspektiven der Philosophie 9 (1983)
- B. Weißmahr: Ontologie. Stuttgart 1985.
LR
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