Direkt zum Inhalt
Login erforderlich
Dieser Artikel ist Abonnenten mit Zugriffsrechten für diese Ausgabe frei zugänglich.

Philosophie: Wie kann man Bewusstsein erklären?

Ein ewiges Rätsel oder schon bald verstanden? Darüber, was Bewusstsein ist und wie es entsteht, gehen die Ansichten weit auseinander. Angesichts der Fülle an Erklärungs­ansätzen lohnt es sich zu vergegenwärtigen, was eine wissenschaftliche Theorie eigentlich leisten soll.
Illustration eines Kopfes mit Ästen als Nervenzellen

An Bewusstseinstheorien besteht heutzutage kein Mangel. Das Angebot ­­ist so vielfältig, dass für jeden Geschmack etwas dabei zu sein scheint. Ob Dualisten, Monistinnen, Epiphänomenalisten, Embodimenttheoretikerinnen, Panpsychisten, eliminative Materialisten oder Anhänger der künstlichen Intelligenz: Alle werden auf dem weiten Feld der Theorien fündig.

Nun ist Vielfalt unbestritten von Vorteil, wenn man etwa einen Gebrauchtwagen, eine leckere Sorte Obstsaft oder eine passende Einschlaflektüre sucht. In der ­Wissenschaft hingegen wirkt sie zunächst irritierend. Schließlich wollen wir nicht den Ideenreichtum der Fachleute bewundern, sondern wissen, wie es sich mit dem Bewusstsein denn nun wirklich verhält. Nur was bedeutet das konkret? Was muss man von einer angemessenen Theorie des Bewusstseins erwarten?

Bevor ich das beantworte, werfen wir einen kurzen Blick in die Geschichte der Auseinandersetzung mit dem Bewusstseinsproblem. Das Interesse daran scheint fast so alt zu sein wie die menschliche Kultur. Schon in frühen kulturellen Zeugnissen wie den Felsmalereien in den Höhlen von Lascaux, der biblischen Erzählung der Genesis oder der Kosmogonie des platonischen »Timaios« spielen Seelenvorstellungen eine große Rolle. Seelenlehren entwickelten sich in vielen weit voneinander entfernten Kulturen offenbar unabhängig von unseren Traditionen. Natürlich gibt es im Einzelnen eine Reihe von Differenzen, doch in der Regel gehen alle Lehren davon aus, dass die Seele einen übernatürlichen Ursprung besitzt, dass sie unabhängig vom Körper existieren kann und auch dessen Tod zu überleben vermag: Seelenlehren sind in der Regel dualistisch.

Monistische Theorien, die geistige Zustände als materielle Prozesse auffassen, hatten es bis weit ins 19. Jahrhundert schwer, weil wichtige Voraussetzungen für eine solche Erklärung fehlten. Die Grundlagen der elektrochemischen Informationsübertragung zwischen Nervenzellen waren damals unbekannt; genauso wenig wusste man, dass das Gehirn aus einer riesigen Anzahl von Nervenzellen besteht, die auf komplexe Weise miteinander verbunden sind. Das Gehirn galt lange Zeit als eine homogene, gallertartige Masse, die von feinen Röhren, den Nerven und Adern, durchzogen war. Kognitive Prozesse stellte man sich als die mechanische Bewegung kleiner Körper in diesen Röhren vor. Laut dem französischen Philosophen René Descartes konnten sie Informationen »an die Seele übertragen«.

Versuche, Geistiges auf Hirnaktivitäten zurückzuführen, besaßen insgesamt wenig Überzeugungskraft. So ist es kein Zufall, dass materialistische Erklärungs­ansätze erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Boden gewannen, als man die Struktur und Funk­tion neuronaler Prozesse besser durchschaute.

Doch wenn früheren Generationen wichtige Erkenntnisse über Geist und Gehirn verschlossen blieben, weil ihnen zentrale Begriffe und Grundlagen fehlten – warum sollten nach uns folgende Generationen im Rückblick nicht ähnliche Defizite bei uns feststellen? ...

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – »Entschuldigung, da verstecken wir uns hinter einer billigen Ausrede«

Der bedeutende Philosoph Immanuel Kant hätte am 22. April 2024 seinen 300. Geburtstag gefeiert. Kann der kategorische Imperativ und sein philosophisches System auch noch auf die Themen des 21. Jahrhunderts angewandt werden? Außerdem: Ursachen und Umgang mit »Ghosting« in der Welt des Online-Datings.

Spektrum - Die Woche – Zwei junge Forscher stellen die Mathematik auf den Kopf

Treten Sie ein in den Bonner Hörsaal, in dem zwei junge Mathematiker im Juni 2022 damit begannen, durch ihren revolutionären Ansatz der verdichteten Mengen die Regeln des Fachs neu zu schreiben! Außerdem in dieser Ausgabe: ein mutiger Vermittlungsansatz im ewigen Streit der Bewusstseinstheorien.

Gehirn&Geist – Zucker als Droge - Wie Süßes unser Gehirn beeinflusst

Auch Erwachsene können Süßem nur schwer widerstehen. Warum wirkt Zucker wie eine Droge und wie beeinflusst Süßes unser Gehirn? Lässt sich dagegen etwas machen? Außerdem: Warum schwindeln manche Menschen ständig, wie kann man solchen pathologischen Lügnern helfen? Manchmal ist es nicht so leicht zu entscheiden, ob wir etwas wirklich sehen oder es uns nur vorstellen. Wie unterscheidet unser Gehirn zwischen Realität und Einbildung? Manche Menschen können längerfristige kognitive Probleme nach einer Krebstherapie haben. Was weiß man über das so genannte Chemobrain, was kann Linderung verschaffen? Dating-Apps ermöglichen es, Beziehungen mit einem Klick zu beenden und plötzlich unsichtbar zu sein. Dieses Ghosting kann für die Opfer sehr belastend sein.

  • Quellen

Goldman, J. S. et al.: Brain-scale emergence of slow-wave synchrony and highly responsive asynchronous states based on biologically realistic population models simulated in The Virtual Brain. bioRxiv, 2020

Hagner, M.: Homo cerebralis. Der Wandel vom Seelenorgan zum Gehirn. Insel, 2000

Hasenfratz, H.-P.: Die Seele. Einführung in ein religiöses Grundphänomen. Theologischer Verlag, 1986

Hinterhuber, H.: Die Seele. Natur- und Kulturgeschichte von Psyche, Geist und Bewusstsein. Springer, 2001

Sheils, D.: A cross-cultural study of beliefs in out-of-the-body experiences, waking and sleeping. Journal of the Society of Psychical Research 49, 1978

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.