Verhaltensforschung: Federvieh mit Köpfchen
Als Nächstes stand Gerti auf dem Experimentierplan. Nachdem meine Mitarbeiter und ich die Elster (Pica pica) in meinem Labor an der Ruhr-Universität Bochum aus ihrem Käfig geholt und ihren Kopf mit einem Tuch bedeckt hatten, befestigten wir an ihren schwarzen Federn an der Kehle einen kleinen gelben Papiersticker. Dann setzten wir sie in einen anderen Käfig mit einem großen Spiegel. Wir ließen nun Gerti allein und gingen in einen benachbarten Raum, um sie über einen Monitor zu beobachten. Gerti schaute in den Spiegel und versuchte sofort, den Sticker loszuwerden, indem sie sich am Hals kratzte oder auf dem Boden rieb. Nachdem sie erfolgreich das störende Etwas beseitigt hatte, warf sie einen abschließenden Blick in den Spiegel und beruhigte sich wieder. Bei Menschenaffen gilt ein derartiges Verhalten als Beweis für Selbsterkennung. Bei einem Vogel hatte man so etwas bislang noch nie beobachtet.
An diesem Tag im Jahr 2006 waren wir alle wie elektrisiert, doch gleichzeitig drängte sich uns die naheliegende Frage auf: Was ist, wenn wir uns irrten? Könnte Gerti den Sticker nicht einfach deshalb entfernt haben, weil sie bloß etwas Störendes an ihrem Gefieder gespürt hatte? Unser Team, zu dem neben mir noch Helmut Prior und Ariane Schwarz gehörten, testete Gerti erneut. Dabei tauschten wir den gelben Sticker gegen einen schwarzen aus, der auf ihrem dunklen Federkleid kaum sichtbar war. In einem weiteren Kontrollversuch erhielt sie den gelben Sticker, aber keinen Spiegel. In beiden Fällen machte Gerti keine Anstalten, das Papier abzustreifen. Es störte sie nur, wenn sie an ihrem Gefieder eine auffällige Farbmarkierung im Spiegel sah. Andere Elstern, die wir gleichermaßen testeten, verhielten sich ähnlich. Demzufolge scheinen diese Vögel tatsächlich ihr eigenes Spiegelbild zu erkennen.
Vom Menschen abgesehen, war die Fähigkeit zur Selbsterkennung bislang lediglich von einigen wenigen Säugetieren mit großem Gehirn wie Schimpansen, Orang-Utans, Indischen Elefanten oder Delfinen bekannt. Dass auch Elstern zu diesem erlauchten Kreis zählen, ist nur eines von vielen Beispielen für höhere kognitive Leistungen, wie man sie erst in den letzten Jahren bei Rabenvögeln und Papageien entdeckt hat. Diese Erkenntnis bringt eine seit mehr als 100 Jahren vorherrschende Theorie ins Wanken. Demnach erforderten solche Fähigkeiten eine gut entwickelte Großhirnrinde, wie sie Säugetiere haben. Ein derartiger Kortex fehlt aber den Vögeln, weshalb sie eigentlich keine herausragenden kognitiven Leistungen zeigen sollten …
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