Paläoanthropologie: Die wahre Steinzeitdiät
An einem späten Abend des Jahres 1990 saß ich in meiner Hütte am Ufer des Flusses Alas in der Forschungsstation Ketambe des indonesischen Nationalparks Gunung Leuser. Im Schein einer Kerosinlampe schrieb ich meine Notizen ins Reine. Ich wollte hier für meine Doktorarbeit herausfinden, was und wie die Klein- und Menschenaffen der Region fressen. Dahinter steckte die Idee, dass solche Beobachtungen zu Größe, Form und Abnutzungsspuren der Zähne passen sollten: Javaneraffen besitzen ein Gebiss mit großen Schneide- und flachen Backenzähnen, das nach hergebrachter Ansicht zum Verzehr von Früchten gebaut ist. Doch die Affen, die ich die letzten vier Tagen gesehen hatte, fraßen anscheinend nur junge Blätter. Damals begriff ich, dass der Zusammenhang zwischen Form und Funktion der Zähne komplizierter ist, als es in den Lehrbüchern steht – die Zähne verraten nicht unbedingt, was ein Tier frisst. Das mag abstrus klingen, aber diese Erkenntnis wirkt sich maßgeblich auf unser Verständnis über die Evolution der Tiere einschließlich uns Menschen aus.
Als Paläontologe verdiene ich meinen Lebensunterhalt damit, das Verhalten ausgestorbener Arten anhand ihrer fossilen Überreste zu rekonstruieren. Insbesondere interessiert mich, wie sich Tiere früher ihre Nahrung beschafft haben und wie sich dabei Umweltveränderungen auswirkten. Das Jahr in Ketambe prägte mein Denken über Primaten und ihre Lebensgemeinschaften. Ich erkannte die Biosphäre unseres Planeten als reich gedeckten Tisch. Die Tiere stehen gewissermaßen mit dem Teller in der Hand am Büfett und wählen aus dem Angebot, das jeweils zur Verfügung steht. Die Wahl definiert, welchen Platz jede Spezies in der Natur einnimmt.
Zähne spielen für die Nahrungswahl eine Schlüsselrolle – schließlich braucht man das richtige Werkzeug …
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben