Verhaltensforschung: Ökologie der Angst
Ein einziges Video von einer ferngesteuerten Kamera genügte der Ökologin Justine Smith, die inzwischen an der University of California in Davis forscht, für einen eindrucksvollen Beleg: Auf dramatische Weise demonstrierte es, welche Furcht ein Wesen, das weder Krallen noch Reißzähne oder Gift besitzt, bei einem ausgewachsenen Raubtier auslösen kann.
In einer kalten, regnerischen Nacht im März 2015 zeichnete eine von Smith installierte Kamerafalle in den Santa Cruz Mountains einen Puma auf. Am Anfang des Videos hört man Frösche quaken, der Puma taucht aus dem Unterholz auf und schaut sich vorsichtig um. Im Bild unten erscheinen die Worte »Frog (control) playback on«. Während die Blätter im Hintergrund im Takt der Regentropfen tanzen, nähert sich die Raubkatze einer undefinierbaren Fleischmasse – vielleicht dem Kadaver eines unglückseligen Maultierhirsches, von dem durch Fraß und Verwesung nur noch der Rumpf übrig geblieben ist. Mit seinen großen Pranken hält der Spitzenprädator die Masse fest, während er Fell und Fleisch zerfetzt. Das Video wird schwarz – der Vorhang fällt nach dem ersten Akt des 15 Sekunden langen Schauspiels.
Nach einer kurzen Pause kehren im zweiten Akt die Bilder und Geräusche des regennassen Pumas zurück. Wieder nähert er sich seiner Mahlzeit. Als unten im Video die Beschriftung »Human playback on« auftaucht, wird die friedliche Szene durch die Stimme eines älteren Mannes unterbrochen, der nüchtern über einen Gerichtsprozess spricht. Der Puma reagiert blitzschnell mit einem reflexartigen Blick in Richtung des Geräusches; das Tier hat sich bereits für eine Handlungsoption entschieden. Obgleich in Wirklichkeit kein Mensch ihm sein Revier streitig macht – in einer solchen Nacht ist wohl meilenweit niemand zu erwarten –, springt die Großkatze davon, gleitet unter einen Baumstamm und verschwindet nahezu lautlos. Ein überstürzter Abgang, ausgelöst lediglich durch eine menschliche Stimme …
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben