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Aguada Fénix: Die Geburtsstunde der Maya

Schon lange rätseln Archäologen, wo, wie und wann die Maya-Kultur entstanden ist. Nun haben sie in Tabasco, Mexiko, den ältesten bekannten Bau der Maya entdeckt – und den größten. Der 3000 Jahre alte Komplex war aber wohl kein Werk von Königen, sondern das einer gut organisierten Gemeinschaft.
Die Maya-Stätte von Tikal in Guatemala

Dieser Artikel wurde am 11.12.2020 aktualisiert.

Krieg, Klimaverschlechterung, Kalenderende – auf viele Menschen üben die Maya eine besondere Faszination aus. Vor allem wie die komplexe Kultur untergegangen ist, erregt großes Interesse. Wahrscheinlich waren es ausgedehnte Dürren verquickt mit sozialen Umwälzungen und Kriegen, die dafür sorgten, dass die klassischen Maya-Stadtstaaten zwischen 800 und 1000 n. Chr. zusammenbrachen. Doch jedes Ende hat auch einen Anfang – und der Beginn der Maya-Kultur liegt anders als ihr Niedergang noch weitgehend im Dunklen. Im Südosten Mexikos sind Archäologen nun auf bislang unbekannte Stätten gestoßen, die zeigen, wann, wo und wie die frühen Mesoamerikaner den Grundstein für ihre Kultur legten. Forscher um Takeshi Inomata von der University of Arizona haben in der Region Tabasco die bislang älteste Großanlage der Maya ausfindig gemacht. In Aguada Fénix entdeckten sie ein aufgeschüttetes Erdplateau mit für die Maya-Kultur typischen Zeremonialbauten.

Wie sie im Fachmagazin »Nature« beschreiben, handelt es sich zudem um die größte frühzeitliche Anlage dieser mittelamerikanischen Zivilisation. Inomata und seine Kollegen gehen davon aus, dass die Menschen von Aguada Fénix vor rund 3000 Jahren in einer gemeinschaftlichen Anstrengung eine monumentale, meterhohe Plattform und Rampen aufgeschüttet haben. Den Anstoß für das 200 Jahre währende Mammutprojekt hätten sie von den benachbarten Olmeken bekommen – eine ungefähr zeitgleiche, von Eliten angeführte Kultur, die herrschaftliche Bauten und kolossale Skulpturen hinterließ.

Wer waren die frühen Maya?

Im dichten Regenwald der Yucatán-Halbinsel und der angrenzenden Landbrücke zwischen Pazifik und Atlantik erstreckten sich einst Dutzende Stadtstaaten der Maya. Ihre Herrscher ließen im 1. Jahrtausend n. Chr., der Zeit der Klassik, weitläufige Zentren errichten. Von der einstigen Pracht zeugen heute noch berühmte Stätten wie Tikal in Guatemala, Calakmul oder Palenque in Mexiko – mächtige Stufenpyramiden, ausgedehnte Platzanlagen, mit Treppen gesäumte Ballspielplätze und befestigte Straßen. Hunderte Fundorte haben Archäologen im einstigen Maya-Tiefland dokumentiert, das heute den Südosten von Mexiko, die Staatsgebiete von Belize und Guatemala sowie die westlichen Regionen von El Salvador und Honduras umfasst. Im Süden grenzt entlang der Pazifikküste das Hochland an.

Archäologen rätseln schon länger darüber, wie die Maya-Kultur entstanden ist. Manche gehen davon aus, dass einfache Dörfer allmählich zwischen 1000 und 350 v. Chr. – während der Mittleren Präklassik – zu großen Zentren heranwuchsen. Die Menschen hätten in jener Phase nicht nur damit begonnen, Keramik herzustellen, sondern seien auch sesshaft geworden. Dieser These steht die Vorstellung gegenüber, dass die frühen Maya sehr viel rascher ihre Lebensweise und ihre Umgebung veränderten. Entsprechende Impulse hätten sie sich bei den Olmeken geholt, die an Orten wie San Lorenzo bereits zwischen 1400 und 1150 v. Chr. plateauartige Großbauten errichtet hatten. Dort, in der Region Veracruz im Südosten Mexikos, markierten die Herrscher ihren Machtanspruch zudem mit kolossalen Skulpturen ihrer Köpfe.

Um letzterer Annahme nachzugehen, rief Takeshi Inomata 2017 das »Middle Usumacinta Archaeological Project« ins Leben. Die Idee dahinter: die Grenzregion zwischen den Olmeken und dem Maya-Tiefland genauer zu erkunden. Heute befindet sich das Gebiet in Mexiko nahe der Grenze zu Guatemala an den Flüssen Usumacinta und San Pedro. Dass die Forscher hier fündig werden könnten, legten Scans nahe, die auf der Lidar-Technik (kurz für »Light Detection and Ranging«) beruhen. Von einem Hubschrauber aus sendet dafür ein Lasergerät alle paar Sekunden millionenfach Laserimpulse aus. Zwar prallen die meisten Strahlen an der Vegetation ab, doch durchdringen auch genügend das Blätterdach bis zum Boden. Aus den Reflexionen dieser Lichtimpulse erstellt das Gerät ein topografisches Profil – und macht etwaige überwucherte Strukturen sichtbar.

»Auf niedrig aufgelösten Lidar-Aufnahmen, welche die mexikanische Regierung gesammelt hatte, haben wir diese riesige Plattform bemerkt«, sagt Takeshi Inomata in einer Presseaussendung der University of Arizona. »Daraufhin haben wir unsererseits hoch aufgelöste Aufnahmen angefertigt, die dann die Existenz eines großen Baus bestätigten.« Dieser entpuppte sich als 1413 Meter lange und 399 Meter breite Plattform, deren Längsseite auf einer Nord-Süd-Achse verläuft. Um das Plateau anzulegen, hatten die Maya zirka 10 bis 15 Meter hoch Erde und Lehm auf einer natürlichen Felsenanhöhe aufgehäuft.

Aguada Fénix | Basierend auf Laserscans haben Archäologen um Takeshi Inomata von der University of Arizona eine 3-D-Rekonstruktion der frühen Maya-Anlage erstellt. Im Zentrum der lang rechteckigen Plattform (dunkelbraun) lokalisierten sie eine zeremonielle »E-Gruppe«, hier als schmale Linie mit Punkt sichtbar.

Dass an dieser Stelle, in Aguada Fénix, eine Stätte der Maya schlummerte, war bis dahin unbekannt. »Das Gebiet ist erschlossen, es ist kein Dschungel, Menschen leben dort – aber niemand kannte die Stätte, weil sie so flach und riesig ist. Es sieht aus wie natürliche Landschaft«, sagt Inomata. Die Lidar-Aufnahmen zeigten zudem, dass die Plattform von weiteren, kleineren Anlagen und künstlich angelegten Teichen umgeben ist. Straßen, von denen sich die längste über eine Strecke von 6,3 Kilometern nachvollziehen lässt, verbinden die Bauten und führen über neun Rampen auf das Plateau.

Typische Zeremonialarchitektur der Maya

Im Umfeld von Aguada Fénix haben die Archäologen insgesamt 21 solcher Komplexe per Laserscan entdeckt, die allerdings kleinere Ausmaße aufweisen. Wie Inomata und sein Team beschreiben, liegt allen Fundorten derselbe Bauplan zu Grunde: eine langrechteckige Anlage entlang einer Nord-Süd-Achse, in deren Zentrum sich eine für die Maya typische Zeremonialarchitektur erhebt – eine so genannte E-Gruppe, benannt nach dem Erstfund in Uaxacatun in Guatemala. Sie besteht normalerweise aus einer westlichen Pyramide und drei gegenüberliegenden Pyramiden, die in Nord-Süd-Richtung aufgereiht sind. »E-Gruppen sind die früheste Form von Architektur im Maya-Tiefland, die nicht zu Wohnzwecken errichtet wurde. Sie dienten astronomischen Beobachtungen mit dem bloßen Auge«, erklärt die Archäologin Patricia A. McAnany von der University of North Carolina at Chapel Hill in einem Begleitkommentar zur »Nature«-Studie. Eine solche gut 400 Meter lange E-Gruppe zeichnet sich auch auf dem Plateau von Aguada Fénix ab.

Nachdem Inomata und sein Team den Ort ausfindig gemacht hatten, machten sie sich daran, das Alter der Anlage zu klären. Dazu legten sie mehrere Grabungsschnitte an – auf dem großen Plateau, in den Straßen und umgebenden Strukturen – und nahmen 69 Holzkohleproben, die sie anschließend mit Hilfe der C-14-Methode datierten. Das Ergebnis: Die Konstruktion aus Lehm und Erde war um 1000 v. Chr. begonnen und 200 Jahre später vollendet worden. Allerdings zeugen tiefer liegende Kulturschichten davon, dass bereits zwischen 1250 und 1050 v. Chr. Menschen in Aguada Fénix lebten. Um 750 v. Chr. hatte man den Ort dann verlassen.

Einfluss der Olmeken

Für die These von der allmählichen Entstehung der Maya im Lauf des 1. Jahrtausends v. Chr. spricht demnach nur noch wenig. »Es handelt sich um faszinierende Entdeckungen, die unser Bild von den Anfängen der Maya-Kultur revolutionieren«, sagt Nikolai Grube. Der Altamerikanist und Archäologe von der Universität Bonn ist auf die Maya-Kultur spezialisiert und war nicht an der Studie von Inomata beteiligt. Grube betont zudem, dass mit Aguada Fénix nun erstmals konkrete Belege für die Architektur der frühen Mittleren Präklassik vorliegen. »Wir sehen hier möglicherweise die Geburtsstunde der Maya-Kultur.«

Kopfkoloss | Diese Skulptur eines Kopfes kam in der Olmeken-Stätte La Venta ans Licht. Die Basaltplastik ist rund zweieinhalb Meter groß. Forscher vermuten, dass es sich um das Bildnis eines Herrschers handelt.

Die mesoamerikanischen Erbauer hatten sich dafür die entsprechende Inspiration bei den benachbarten Olmeken geholt. Aus Zentren wie San Lorenzo sind ebenfalls monumentale Plateauanlagen bekannt, die schon einige Jahrhunderte zuvor in Gebrauch waren und als Kultorte dienten. »Offenbar übernahmen die Erbauer von Aguada Fénix architektonische Elemente der olmekischen Kultur«, sagt Grube. Wie Inomatas Grabungen ergaben, hatten sich die frühen Maya auch bestimmte Rituale von den Nachbarn abgeschaut: Im Erdreich der E-Gruppe von Aguada Fénix entdeckten sie einen Hort aus grünen Steinäxten. Solche Depots, die vermutlich Gaben an die Götter waren, sind sowohl von olmekischen als auch von Maya-Bauten bekannt – etwa in Ceibal in Guatemala.

An diesem Fundplatz stießen Inomata und sein Team bereits 2015 auf eine ähnliche Anlage, ebenfalls mit Hilfe von Laserscanning aus der Luft. Sie lokalisierten dort ein aufgeschüttetes Plateau – samt E-Gruppe und Steinäxten –, das etwas kleiner und jünger ist als sein Pendant in Aguada Fénix. Die rechteckige Plattform misst ungefähr 600 auf 340 Meter. Die Forscher datieren das Erdwerk um 950 v. Chr. An diesem Fundort hatten die Gruppe um Inomata erstmals die Anfänge der Maya aufgedeckt. »Ein enorm wichtiger Beitrag zum Verständnis der Wurzeln der Maya-Kultur«, urteilt Nikolai Grube.

Die Fundsituation in Aguada Fénix würde eigentlich nahelegen, dass es nicht Maya, sondern Olmeken waren, die in Aguada Fénix eine riesige Plattform errichteten. Dagegen sprechen laut Inomata aber die Gebrauchsgegenstände, die bei den Grabungen ans Licht kamen. So ähnelten die Keramikfunde den Gefäßen von anderen Maya-Fundorten im Tiefland. Zudem entdeckten die Archäologen Bruchstücke von Obsidiangeräten, deren Steinmaterial aus Regionen im heutigen Guatemala stammte – während die Olmeken ihren Obsidian aus mexikanischen Gebieten bezogen. »Zwar legen die Keramikfunde nicht notgedrungen nahe, dass die Erbauer von Aguada Fénix auch die Maya-Sprache gesprochen haben, aber sie scheinen kulturell dem Maya-Tiefland viel nähergestanden zu haben als den Olmeken«, schreiben Inomata und seine Kollegen in »Nature«.

Das Werk einer Gemeinschaft?

Wer aber waren die Erbauer von Aguada Fénix? Waren sie – ähnlich wie ihre späteren Nachfolger im Tiefland – Herrscher über Stadtstaaten? Die Archäologen um Inomata gehen vom Gegenteil aus. Denn bislang fehlen konkrete Hinweise auf Eliten, wie sie beispielsweise im benachbarten San Lorenzo existieren: Dort ließen sich mit Entstehung des Königtums einzelne Herrscher in kolossalen Porträtköpfen darstellen. »Anders als in den olmekischen Zentren zeigt Aguada Fénix keine klaren Anzeichen für eine ausgeprägte soziale Ungleichheit«, resümieren Inomata und seine Kollegen. Vielmehr hätten die Bewohner in einer kollektiven Anstrengung schätzungsweise 3,2 bis 4,3 Millionen Kubikmeter Erde für das Zeremonialplateau aufgeschüttet. Eine Gruppe von angenommen 5000 Menschen hätte dafür zirka 2000 bis 2600 Arbeitstage gebraucht.

Für die Forscher ist der Zeitpunkt, an dem monumentale Anlagen wie in Aguada Fénix und Ceibal erbaut wurden, kein Zufall. In jener Phase vollzieht sich ein tief greifender Wandel: Die Menschen gingen allmählich von einer mobilen zu einer sesshaften Lebensweise über. Und sie begannen, gezielt Mais zu kultivieren und Tongefäße zu fertigen. Dienten die Plattformen mit ihren astronomischen Observatorien (E-Gruppe) dann womöglich als Versammlungsplatz für die in der Region lebenden Menschen? »Archäologen versuchen zu verstehen, was bei der Entwicklung des Gemeinschaftslebens zuerst kam – die Sesshaftigkeit in festen Behausungen oder regelmäßige Zusammenkünfte bei rituellen Anlässen«, erklärt McAnany. Bislang glaubte die Forschergemeinschaft, erst als sich Menschen niedergelassen hatten, hätten sie auch große Kultbauten angelegt. »Doch die neuen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass es genau umgekehrt verlief«, schreibt die Archäologin.

Keine Eliten, sondern frühe bäuerliche Gruppen hätten demnach die Plattform von Aguada Fénix gemeinschaftlich aufgeschüttet und sich dort zu Festzeiten getroffen. Auch Nikolai Grube hält die These einer flachen Hierarchie für plausibel. »Ich halte die Überlegungen für sehr überzeugend, denn auch in anderen Bereichen Amerikas und der Welt insgesamt gibt es Beispiele für frühe religiöse Architektur, die vor der Herausbildung hierarchisierter Gesellschaften entstand – etwa in Göbekli Tepe in der Türkei oder Cerro Sechin in den Anden.«

Takeshi Inomata und sein Team haben Licht in die weitgehend dunklen Anfänge der Maya gebracht. Ihre Forschung eröffnet eine neue Perspektive auf diese Kultur. Doch noch stehen sie am Anfang. Als Nächstes plant die Gruppe deshalb die Wohngebiete von Aguada Fénix ausfindig zu machen. »Wir haben jetzt substanzielle Informationen über die Zeremonialbauten, aber wir wollen sehen, wie die Menschen in dieser Zeit gelebt haben und wie sich ihre Lebensweise geändert hat.«

Korrektur: Es hieß zuvor, 5000 Arbeiter hätten 20 000 Arbeitstage gebraucht, um die Plattform zu errichten. Diese Angabe war falsch und ist nun korrigiert.

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