Zukunft der Stadt: Der Traum von den Stadttomaten
Die Weltbevölkerung wächst, immer mehr Menschen leben in Städten. Um unter diesen Vorzeichen die Ernährung zu sichern, wollen einige Forscher die Landwirtschaft in die Großstädte verlegen – und sie dort in die Vertikale bringen. Die Idee klingt visionär. Aber ist sie auch viel versprechend?
Es gibt wohl nur wenige Universitätsseminare, die eine solche Sogkraft entwickeln wie das Projekt des Mikrobiologen Dickson Despommier von der Columbia University in New York. 2001 überlegte der Professor für Umwelt und Gesundheit zusammen mit seinen Studenten, wie man es schaffen könnte, mehr Nahrung auf weniger Fläche zu produzieren. Die Antwort war so einfach wie bestechend: Wir verlagern die Landwirtschaft in die Vertikale – und produzieren Salate, Tomaten und Zucchini in städtischen Hochhäusern. Aus der Idee wurde ein Konzept, inzwischen interessieren sich Architekten, Wissenschaftler und auch Politiker für das "vertical farming". Und das Porträt Dickson Despommiers ziert zahlreiche Presseberichte zum Thema.
Gibt es genügend Platz für Äcker?
Für so viel Landwirtschaft aber, errechnete Despommier mit seinen Studenten, ist auf der Welt gar kein Platz: Bereits 2006 betrug seinen Schätzungen zufolge die weltweite Fläche für Getreide- und Gemüseanbau zusammen mit dem Weideland für Nutztiere 800 Millionen Hektar. Um die Nahrungsproduktion zu verdoppeln, müssten Despommier zufolge eine weitere Milliarde Hektar hinzukommen. Das entspräche in etwa der Größe Brasiliens. Schon heute jedoch würden etwa 85 Prozent der geeigneten Flächen für Ackerbau und Viehzucht genutzt. Hinzu komme: Bereits 2030 werden 60 Prozent der Menschen in Städten leben. Da klingt die Idee, ihnen vertikale Farmen direkt ins Wohnviertel zu stellen, durchaus logisch.
Glaubt man Despommier, hätten die Gemüsewolkenkratzer nur Vorteile: Sie könnten das ganze Jahr über produzieren, wären unabhängig von Wetter, Dürren oder Überschwemmungen. Zudem wären die Hochhäuser dank effizienter Anbaumethoden sehr ertragreich: Eine vertikale Farm mit 30 Stockwerken könne seinen Berechnungen nach genügend Nahrung produzieren, um 50 000 Menschen satt zu machen – und das bei geringerem Ressourcenverbrauch. Denn wie in vielen Treibhäusern üblich, könnte man die Pflanzen in den vertikalen Farmen statt über Boden durch Nährlösungen versorgen und so mehr als 90 Prozent Wasser einsparen. "Es gibt keinen anderen Weg als nach oben", sagt er.
Ressourcen würden theoretisch reichen
Diese Folgerung jedoch ist umstritten. "Im Grunde brauchen wir keine neuen Anbauformen, um die Ernährung der Weltbevölkerung zu sichern", sagt etwa Eckhard George, der Leiter des Leibniz-Institutes für Gemüse- und Zierpflanzenanbau in Erfurt. Zwar könne man die landwirtschaftlichen Erträge nicht ins Unendliche steigern, aber effizienter nutzen. Dies empfiehlt auch das United Nations Environment Programme (UNEP). Nur 45 Prozent des jährlichen Getreideertrages, hat die UNEP errechnet, stehen den Menschen zur Ernährung zur Verfügung. Der Rest gehe bei der Ernte verloren oder werde an Tiere verfüttert. Etwa 3,5 Milliarden Menschen könnten ernährt werden, würde man statt der Tiere die Menschen mit diesem Getreide versorgen, folgern die UN-Experten. Die heutigen Ackerflächen wären also – zumindest theoretisch – ausreichend.
Keine Daten über Rentabilität und ökologischen Nutzen
Ob vertikale Farmen überhaupt rentabel und vor allem ökologisch wären, ist zudem noch völlig offen. Despommier plant darum eine Versuchsanlage in den USA. Außerdem hat er eine Absichtserklärung für den Bau eines vierstöckigen Gewächshauses in Masdar City in Abu Dhabi unterzeichnet. Auch die Uni Hohenheim hat beim Bundesforschungsministerium ein Projekt mit dem Namen "Skyfarm" eingereicht. Die Forscher um Joachim Sauerborn, geschäftsführender Direktor des Instituts für Pflanzenproduktion und Agrarökologie in den Tropen und den Subtropen, wollen versuchen, Reis in Treibhäusern anzubauen, ebenfalls Wasser sparend mit Nährstofflösungen. Bis es konkrete Ergebnisse gibt, wird es aber noch Jahre dauern.
Und selbst wenn die Forscher Erfolg haben: In der Realität hat es sich als schwierig erwiesen, Großprojekte, wie sie für vertikale Farmen notwendig wären, zu finanzieren. Die chinesische Ökostadt Dongtan etwa, bei der urbane Landwirtschaft eine wichtige Rolle spielen sollte, wurde nach vierjähriger Planung wegen Finanzierungsproblemen auf Eis gelegt. Es mangelt nicht an ausgefallenen und visionären Plänen für vertikale Farmen, was fehlt sind finanzkräftige Investoren mit langem Atem.
Mehr Lebensqualität durchs Gärtnern
Dennoch glaubt auch Katrin Bohn an die Zukunft urbaner Landwirtschaft – allerdings unter anderen Vorzeichen als Despommier. "Urbane Landwirtschaft ist eine gute Sache", sagt die Architektin. Schließlich gehe es dabei nicht allein um die Frage, ob mit Treibhäusern in der Stadt die Ernährung der Milliarden gesichert werden könne, sondern auch um eine neue Form der Lebensqualität.
Zahlreiche Projekte im Kleinen
So pflanzen Studenten der McGill-Universität im kanadischen Montreal etwa auf ihrem Campus in Pflanzenkübeln und längs aufgeschnittenen Regentonnen seit 2007 Gemüse und Salat an und versorgen damit ein Hilfsprojekt, das Essen für Bedürftige anbietet. Ähnliche Projekte hat Vikram Bhatt von der McGill School of Architecture auch in Sri Lanka, Uganda und in Argentinien angeregt. In New York betreiben mehrere Nachbarschaftsprojekte gemeinsame Gärten, es gibt Restaurants, die auf heimische Produktion im Hinterhof umgestellt haben.
In die Höhe zieht es hingegen den Paignton Zoo im Südwesten Englands: Er nutzt ein Treibhaus mit vertikal angeordneten Ablagen, auf denen Salate, Karotten und Kräuter für die Zootiere angebaut werden. Bei einem täglichen Verbrauch von etwa 800 Karotten und einer jährlichen Gemüserechnung von etwa 230 000 Euro, glauben die Betreiber, könne sich das Treibhaus schnell rentieren. Ähnlich züchtet auch Jeff Kellogg in St. Petersburg in Florida sein Gemüse: Seine Farm beherbergt auf 1350 Quadratmetern 70 000 Pflanzen, die in Metallgestängen übereinander aufgehängt sind und mit Nährlösungen versorgt werden.
Eine Vielzahl solcher Projekte, ist Bohn sicher, könnte deutlich zur Versorgung der Städter beitragen:
Auch Eckhard George vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenanbau sieht die Anhängerschaft der gärtnerischen Eigenproduktion wachsen. Die Menschen folgten dabei einem inneren Bedürfnis: "Wir haben einen intimen Bezug zu unserer Nahrung", sagt er. "Nur ist der in unserer modernen Gesellschaft in den Hintergrund getreten. Das könnte sich durch urbane Landwirtschaft wieder ändern – und so ein grundlegendes Bedürfnis der Stadtbewohner befriedigen."
Karin Bohn wird sich davon bald selbst überzeugen können: Auch die University of Brighton plant, Studenten zu Gärtnern zu machen. Erste Pflanzenkübel wurden bereits 2009 aufgestellt, jedes Jahr soll der Campusgarten ein Stückchen wachsen – der Schaden der Studenten soll es nicht sein: Die selbst gezogenen Salate und Tomaten werden frisch in der Mensa zubereitet.
"Landwirtschaft in Gebäude zu verlegen ist die beste Methode, Nahrungssicherheit zu gewährleisten", ist Despommier überzeugt. Und genau diese sehen Experten zunehmend in Gefahr. Denn die Weltbevölkerung wächst – und damit auch der Bedarf an Nahrung. Bis 2050, schätzt die UN, müsse sich die Nahrungsproduktion verdoppeln, um die bis dahin prognostizierte Zahl von etwa neun Milliarden Menschen wie bisher ernähren zu können.
Gibt es genügend Platz für Äcker?
Für so viel Landwirtschaft aber, errechnete Despommier mit seinen Studenten, ist auf der Welt gar kein Platz: Bereits 2006 betrug seinen Schätzungen zufolge die weltweite Fläche für Getreide- und Gemüseanbau zusammen mit dem Weideland für Nutztiere 800 Millionen Hektar. Um die Nahrungsproduktion zu verdoppeln, müssten Despommier zufolge eine weitere Milliarde Hektar hinzukommen. Das entspräche in etwa der Größe Brasiliens. Schon heute jedoch würden etwa 85 Prozent der geeigneten Flächen für Ackerbau und Viehzucht genutzt. Hinzu komme: Bereits 2030 werden 60 Prozent der Menschen in Städten leben. Da klingt die Idee, ihnen vertikale Farmen direkt ins Wohnviertel zu stellen, durchaus logisch.
Glaubt man Despommier, hätten die Gemüsewolkenkratzer nur Vorteile: Sie könnten das ganze Jahr über produzieren, wären unabhängig von Wetter, Dürren oder Überschwemmungen. Zudem wären die Hochhäuser dank effizienter Anbaumethoden sehr ertragreich: Eine vertikale Farm mit 30 Stockwerken könne seinen Berechnungen nach genügend Nahrung produzieren, um 50 000 Menschen satt zu machen – und das bei geringerem Ressourcenverbrauch. Denn wie in vielen Treibhäusern üblich, könnte man die Pflanzen in den vertikalen Farmen statt über Boden durch Nährlösungen versorgen und so mehr als 90 Prozent Wasser einsparen. "Es gibt keinen anderen Weg als nach oben", sagt er.
Ressourcen würden theoretisch reichen
Diese Folgerung jedoch ist umstritten. "Im Grunde brauchen wir keine neuen Anbauformen, um die Ernährung der Weltbevölkerung zu sichern", sagt etwa Eckhard George, der Leiter des Leibniz-Institutes für Gemüse- und Zierpflanzenanbau in Erfurt. Zwar könne man die landwirtschaftlichen Erträge nicht ins Unendliche steigern, aber effizienter nutzen. Dies empfiehlt auch das United Nations Environment Programme (UNEP). Nur 45 Prozent des jährlichen Getreideertrages, hat die UNEP errechnet, stehen den Menschen zur Ernährung zur Verfügung. Der Rest gehe bei der Ernte verloren oder werde an Tiere verfüttert. Etwa 3,5 Milliarden Menschen könnten ernährt werden, würde man statt der Tiere die Menschen mit diesem Getreide versorgen, folgern die UN-Experten. Die heutigen Ackerflächen wären also – zumindest theoretisch – ausreichend.
Auch Katrin Bohn, Architektin an der University of Brighton, glaubt nicht, dass vertikale Farmen oder urbane Landwirtschaft die Lösung der Ernährungsfragen der Zukunft darstellen: "Wollte man eine Stadt ganz aus sich selbst heraus ernähren, müsste man die heutigen Nahrungsgewohnheiten radikal ändern", sagt sie. Der Anbau von Getreide zum Beispiel sei in Städten kaum zu realisieren – die benötigten Flächen seien einfach zu groß. Auch die Zucht von größeren Tieren werde bei Konzepten wie dem von Despommier ausgeschlossen: Die industrielle Abfertigung von Rindern in Hochhäusern fände in der Bevölkerung nur wenig Zustimmung.
Keine Daten über Rentabilität und ökologischen Nutzen
Ob vertikale Farmen überhaupt rentabel und vor allem ökologisch wären, ist zudem noch völlig offen. Despommier plant darum eine Versuchsanlage in den USA. Außerdem hat er eine Absichtserklärung für den Bau eines vierstöckigen Gewächshauses in Masdar City in Abu Dhabi unterzeichnet. Auch die Uni Hohenheim hat beim Bundesforschungsministerium ein Projekt mit dem Namen "Skyfarm" eingereicht. Die Forscher um Joachim Sauerborn, geschäftsführender Direktor des Instituts für Pflanzenproduktion und Agrarökologie in den Tropen und den Subtropen, wollen versuchen, Reis in Treibhäusern anzubauen, ebenfalls Wasser sparend mit Nährstofflösungen. Bis es konkrete Ergebnisse gibt, wird es aber noch Jahre dauern.
Und selbst wenn die Forscher Erfolg haben: In der Realität hat es sich als schwierig erwiesen, Großprojekte, wie sie für vertikale Farmen notwendig wären, zu finanzieren. Die chinesische Ökostadt Dongtan etwa, bei der urbane Landwirtschaft eine wichtige Rolle spielen sollte, wurde nach vierjähriger Planung wegen Finanzierungsproblemen auf Eis gelegt. Es mangelt nicht an ausgefallenen und visionären Plänen für vertikale Farmen, was fehlt sind finanzkräftige Investoren mit langem Atem.
Mehr Lebensqualität durchs Gärtnern
Dennoch glaubt auch Katrin Bohn an die Zukunft urbaner Landwirtschaft – allerdings unter anderen Vorzeichen als Despommier. "Urbane Landwirtschaft ist eine gute Sache", sagt die Architektin. Schließlich gehe es dabei nicht allein um die Frage, ob mit Treibhäusern in der Stadt die Ernährung der Milliarden gesichert werden könne, sondern auch um eine neue Form der Lebensqualität.
"Urbane Landwirtschaft ist in gewissem Sinn auch eine Bewegung von unten, die mindergenutzten Raum für sich entdeckt und ihn für Landwirtschaft nutzt", sagt sie. Überall in den Städten gebe es Flächen, die für Ackerbau genutzt werden könnten – und das nicht nur in der Vertikalen, also auf Balkonen, Dächern oder an Fassaden, sondern auch in der Horizontalen: In Parks, neben Bahngleisen, auf Abrissflächen. In zahlreichen Städten gebe es einen Trend zum urbanen Gärtnern, in Kleinprojekten würden verschiedene Verfahren ausgetestet.
Zahlreiche Projekte im Kleinen
So pflanzen Studenten der McGill-Universität im kanadischen Montreal etwa auf ihrem Campus in Pflanzenkübeln und längs aufgeschnittenen Regentonnen seit 2007 Gemüse und Salat an und versorgen damit ein Hilfsprojekt, das Essen für Bedürftige anbietet. Ähnliche Projekte hat Vikram Bhatt von der McGill School of Architecture auch in Sri Lanka, Uganda und in Argentinien angeregt. In New York betreiben mehrere Nachbarschaftsprojekte gemeinsame Gärten, es gibt Restaurants, die auf heimische Produktion im Hinterhof umgestellt haben.
In die Höhe zieht es hingegen den Paignton Zoo im Südwesten Englands: Er nutzt ein Treibhaus mit vertikal angeordneten Ablagen, auf denen Salate, Karotten und Kräuter für die Zootiere angebaut werden. Bei einem täglichen Verbrauch von etwa 800 Karotten und einer jährlichen Gemüserechnung von etwa 230 000 Euro, glauben die Betreiber, könne sich das Treibhaus schnell rentieren. Ähnlich züchtet auch Jeff Kellogg in St. Petersburg in Florida sein Gemüse: Seine Farm beherbergt auf 1350 Quadratmetern 70 000 Pflanzen, die in Metallgestängen übereinander aufgehängt sind und mit Nährlösungen versorgt werden.
Eine Vielzahl solcher Projekte, ist Bohn sicher, könnte deutlich zur Versorgung der Städter beitragen:
"Würde man zum Beispiel in London öffentlichen Stadtraum in produktive Landflächen umwandeln, könnte man 30 Prozent des Obst- und Gemüsebedarfs der Stadtbewohner abdecken – und das, ohne einen einzigen Park in ein Kohlfeld zu verwandeln", sagt sie.
Auch Eckhard George vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenanbau sieht die Anhängerschaft der gärtnerischen Eigenproduktion wachsen. Die Menschen folgten dabei einem inneren Bedürfnis: "Wir haben einen intimen Bezug zu unserer Nahrung", sagt er. "Nur ist der in unserer modernen Gesellschaft in den Hintergrund getreten. Das könnte sich durch urbane Landwirtschaft wieder ändern – und so ein grundlegendes Bedürfnis der Stadtbewohner befriedigen."
Karin Bohn wird sich davon bald selbst überzeugen können: Auch die University of Brighton plant, Studenten zu Gärtnern zu machen. Erste Pflanzenkübel wurden bereits 2009 aufgestellt, jedes Jahr soll der Campusgarten ein Stückchen wachsen – der Schaden der Studenten soll es nicht sein: Die selbst gezogenen Salate und Tomaten werden frisch in der Mensa zubereitet.
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