Direkt zum Inhalt

Epidemiologie: Dicke Bretter und klare Signale

Auf dem 17. Weltkongress der Epidemiologen in Bangkok wird hart gearbeitet, leidenschaftlich diskutiert und fleißig Networking betrieben. Aber auch das Feiern kommt nicht zu kurz. Immerhin wird die Internationale Epidemiologische Gesellschaft 50 Jahre alt. Fast.
XVII IEA World Congress of Epidemiology
Es war im Jahr 1957, als die Internationale Epidemiologische Gesellschaft (International Epidemiological Association, IEA) formal bei einem Treffen von Epidemiologen im holländischen Nordwijk aus der Taufe gehoben wurde. Aber so genau soll man das Geburtsjahr der Gesellschaft nicht nehmen, meint ausgerechnet Lester Breslow, der große alte Mann jener Wissenschaft, die auf Daten, Zahlen, Fakten beruht. Es habe auch schon in den Jahren vor Nordwijk Treffen von Epidemiologen gegeben, betont der Nestor der Epidemiologie. Es sei daher schwierig zu definieren, welches Jahr als das wirkliche Geburtsdatum der IEA anzusehen sei, sodass das 50-jährige Jubiläum auch jetzt schon gefeiert werden könne, findet der 90 Jahre alte Breslow, der in Nordwijk und den anderen Treffen dabei war.

Jacqueline Müller-Nordhorn | Dr. Jacqueline Müller-Nordhorn von der Berliner Charité gehört zu den wenigen Teilnehmern aus Deutschland, die nach Bangkok zum 17. Epidemiologische Weltkonferenz gereist sind.
Der rührige Professor aus Kalifornien schätzt sich "glücklich", an der Konferenz in Bangkok teilnehmen zu können. "Mit dieser Konferenz geht eine Vision von uns damals in Nordwijk in Erfüllung", erzählt er. Die Vision, die bestand in die Einbeziehung Afrikas, Asiens, Lateinamerikas in die Epidemiologie. In Nordwijk seien alle 35 Teilnehmer aus westlichen Staaten gekommen. "Uns war damals schon klar, dass wir auch die Dritte Welt erreichen müssen." Die Konferenz in Bangkok, bei der die Mehrheit der 700 Teilnehmer aus diesen Ländern seien, wertet Breslow als "großen Erfolg".

Breslow ist keiner, der sein Licht und das seiner Disziplin unter den Scheffel stellt. Gerne und ausführlich spricht er über die Erfolge seiner Wissenschaft. Zum Beispiel, dass die Epidemiologie sich bereits einmal grundlegend gewandelt hat.
"Mit dieser Konferenz geht eine Vision in Erfüllung"
(Lester Breslow)
"Bis etwa Ende der 1950er Jahre haben sich Epidemiologen nur mit übertragbaren Krankheiten befasst. Dann begann sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass wir uns auch den immer häufiger werdenden chronischen Krankheiten zu stellen haben." Der Wandel sei ausgelöst worden durch die Entdeckung des Zusammenhangs von Rauchen und Lungenkrebs. "Bis heute sehen wir immer mehr Krankheiten, die durch unseren Lebensstil verursacht werden", betont Breslow und nennt Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Fettsucht als Beispiele.

Vorbeugung besser als Heilen

Deutsche Wissenschaftler sind auf der Konferenz rar gesät. "Epidemiologie steckt bei uns noch immer in den Kinderschuhen", klagt Jacqueline Müller-Nordhorn von der Berliner Charité. Dabei sei doch gerade die Charité die Wirkungsstätte epidemiologischer Pioniere wie Robert Koch, Ernst Sauerbruch oder Rudolf Virchow gewesen. Wie vielen anderen wissenschaftlichen Bereichen habe die Nazizeit und der Zweite Weltkrieg jedoch auch der Epidemiologie in Deutschland einen schweren Schlag versetzt. "Davon hat sich die Epidemiologie bis heute nicht erholt."

Zudem habe sich in Deutschland noch nicht wirklich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Vorbeugung besser als Heilen sei. "Die großen Infektionskrankheiten sind doch schon vor dem Aufkommen von Antibiotika und Impfstoffen gewaltig zurückgegangen, weil die Hygiene und die sozialen Lebensbedingungen verbessert worden sind", beton Müller-Nordhorn.

Unbequeme Erkenntnisse

Lester Breslow geht trotz der Erfolge der Epidemiologie in den vergangenen 50 Jahren hart mit seinen jüngeren Kollegen ins Gericht. Viele würden sich nicht darum kümmern, ob eine Gesellschaft aus ihren Forschungen Konsequenzen zieht und die Resultate in politisches Handeln umsetzt. "Epidemiologen müssen dafür sorgen, dass ihre Untersuchungsergebnisse breit bekannt und umgesetzt werden", fordert Breslow und fügt hinzu: "Das ist die große Herausforderung der Zukunft an die Epidemiologie. Die Epidemiologie ist sowohl eine medizinische Wissenschaft als auch eine Sozialwissenschaft, auch wenn das so manche meiner Kollegen nicht gerne hören."

"Epidemiologie steckt bei uns noch in den Kinderschuhen"
(Jacqueline Müller-Nordhorn)
Die sollten sich an John Snow ein Beispiel nehmen, findet Breslow. Der Londoner Physiker hatte Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckt, dass verschmutztes Wasser aus einer bestimmten Pumpe die Ursache eines Cholera-Ausbruchs in London war. "Statt seine Entdeckung nur in Fachblättern zu veröffentlichen oder als Abstract bei einer Konferenz einzureichen oder was immer ein Wissenschaftler damals mit seinen Forschungsergebnissen gemacht hat, ging Snow hin und legte die Pumpe still." Als jüngstes Beispiel nennt Breslow die Vogelgrippe. Es sei die Verantwortung der Epidemiologen, Gesellschaften, Regierungen und Gesundheitsinstitutionen deutlich vor der drohenden Gefahr zu warnen.

Als Epidemiologe muss man dicke Bretter bohren. Oft sind die Erkenntnisse über Ursachen von Krankheiten für die Mächtigen unbequem und werden lange ignoriert oder die Problemlösung auf die lange Bank geschoben. Prominenteste Beispiele sind der jahrzehntelange Kampf der Tabakindustrie gegen Antirauchergesetze oder auch die Ignoranz so mancher Staaten gegenüber HIV und Aids.

Oder auch Sars. Bei der Lungenkrankheit hätten einige Länder zunächst versucht, Wissen und Informationen "zu unterdrücken". Breslow sagt klar: "Solche Trends müssen ein Ende haben. Auch das muss eine klare Botschaft dieser Konferenz sein."

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.