Lexikon der Biologie: Infektionskrankheiten
ESSAY
Margit Just · Friedrich Kluge
Infektionskrankheiten
Infektionskrankheiten sind ansteckende und nicht ansteckende Krankheiten bei Tier und Mensch (bei Pflanzen: Pflanzenkrankheiten) mit akutem oder chronischem Verlauf, die durch Infektion mit bestimmten Erregern (Viren, Bakterien, Pilze, Protozoen [Einzeller], Würmer [insbesondere Fadenwürmer], Arthropoden [Gliederfüßer], Prionen) entstehen. Erst das Zusammenwirken von Infektion, schädigender Wirkung der Mikroorganismen und spezifischer Abwehr des Körpers führt zum charakteristischen Bild der jeweiligen Infektionskrankheit und bestimmt deren Verlauf ( vgl. Abb. ). Eintrittspforten für Erreger sind alle Körperöffnungen – Atemwege (Atmungsorgane, Lunge), Verdauungswege (Mund, Darm), Geschlechtsorgane –, die intakte oder verletzte Haut (auch Biß- und Stichwunden) und Schleimhaut sowie die Placenta.
Infektionserreger sind mit verschiedenen Pathogenitätsdeterminanten ausgestattet. Dazu gehören die Fähigkeiten: 1) in den Wirt einzudringen (Invasion: Adhäsine, Invasine), 2) die unspezifische Immunabwehr zu umgehen (Subversion/Evasion: Impedine, Moduline), 3) Zellen zu schädigen (Toxine, Aggressine) und 4) sich in normalerweise keimfreien Regionen des Wirts zu vermehren (z.B. Gewebe, Blut, Bauchhöhle).
Die Einteilung von Infektionskrankheiten ( vgl. Tab. ) kann erfolgen nach dem Krankheitserreger, der Übertragbarkeit oder dem zeitlichen Ablauf der Krankheitserscheinungen. A) Einteilung von Infektionskrankheiten nach dem Krankheitserreger: z.B. Virusinfektionen, bakterielle Infektionen, Mykosen, Protozoeninfektionen und andere. B) Unterscheidung nach der Übertragbarkeit des Erregers: 1) direkte Übertragung von Mensch zu Mensch; a) Tröpfcheninfektion (z.B. Influenzaviren durch Niesen), b) Kontaktinfektion (z.B. Durchfallerkrankungen [Diarrhoe] durch verschmutztes Trinkwasser und kontaminierte Lebensmittel [Nahrungsmittelvergiftungen]), c) fliegende Infektion (z.B. Windpocken); 2) indirekte Infektion über Zwischenträger oder Zwischenwirte (sog. Vektoren wie Stechmücken, Stechfliegen, Läuse, Zecken – z.B. benötigen Hantaviren als Vektoren Nagetiere, deren eingetrockneter Kot oder Urin als virushaltiger Staub eingeatmet zur Infektion führt). Es werden unterschieden: Anthroponosen, Anthropozoonosen und Zoonosen, je nachdem, ob die jeweilige Infektionskrankheit ausschließlich von Mensch zu Mensch, von Tier zu Mensch (auch umgekehrt) oder von Tier zu Tier übertragen wird. C) Einteilung nach dem zeitlichen Ablauf der Krankheitserscheinungen: 1) foudroyant (blitzschneller Beginn, schwerster, oft tödlicher Verlauf), 2) akut (plötzlicher Beginn, über Tage dauernder, meist fieberhafter Verlauf), 3) chronisch (allmählicher Beginn, subfebrile Temperaturen, Wochen, Monate oder Jahre dauernd), 4) rezidivierend (wiederholt auftretend, meist mit akut verlaufenden, fieberhaften Schüben), 5) latent (klinisch stumme Phasen über Monate bis Jahre).
Im Falle lokaler Infektionskrankheiten verbleiben die Erreger im Bereich der Eintrittspforte (z.B. bei Cholera im Verdauungstrakt, bei Angina im Rachen) und verursachen nach Ablauf der Inkubationszeit typische organische Krankheitszeichen (z.B. Durchfall bei Cholera, Halsschmerzen bei Angina). Durch in die Blutbahn eindringende Toxine kann jedoch auch der übrige Körper in Mitleidenschaft gezogen werden. Bei einer zyklischen Infektionskrankheit (z.B. bei den meisten Virusinfektionen) dringen die Erreger von der Eintrittspforte aus über Lymph- (Lymphe, Lymphgefäßsystem) und Blutbahnen (Blut, Blutgefäßsystem) in Gewebe und Organe. Während einer krankheitstypischen Inkubationszeit (Stunden bis mehrere Jahre) setzen sich die Erreger ohne klinische Anzeichen im Körper fest und werden im sich anschließenden Generalisations- oder Prodromalstadium in die Blutbahn geschwemmt (Virämie, Bakteriämie). Neben Blutbildveränderungen verursachen sie zunächst unspezifische Allgemeinsymptome wie Fieber, Abgeschlagenheit, Kopf- und Gliederschmerzen oder Kreislaufstörungen und rufen im nachfolgenden Stadium der Organmanifestation die für die jeweilige Infektionskrankheit charakteristischen Erscheinungen und typischen Organsymptome hervor, z.B. Hautausschlag bei Röteln oder spezifische Fieberverläufe bei Malaria. Vor allem bei Hochrisikopatienten (wie onkologischen Patienten, Verbrennungspatienten oder Patienten mit multiplen Begleiterkrankungen) können eine Sepsis, Sepsis-Syndrome und verwandte Zustände auftreten.
Infektionskrankheiten können in verschiedenen Ausprägungen verlaufen (mit fließenden Übergängen): a) ohne erkennbare klinische Krankheitszeichen (inapparent), b) als manifeste Erkrankung mit typischer und ausgeprägter Symptomatik, c) als abortive Form mit raschem und abgeschwächtem Verlauf. Die Intensität der Erkrankung hängt neben der Abwehrlage des betroffenen Organismus von der Virulenz und der Pathogenität des Erregers ab. Eine Infektionskrankheit kann vollständig ausheilen oder Defektheilungen und bleibende Schäden verursachen, aber auch durch Komplikationen zum Tode führen. Lokale Infektionen bewirken nur eine örtliche Immunität im betroffenen Gewebe und eine antitoxische Immunität im Blut, so daß etwa nach Ablauf eines Jahres eine Neuinfektion möglich ist. Eine überstandene zyklische Infektionskrankheit hinterläßt eine aktive Immunität, die meist viele Jahre (oder lebenslang) vor einer Neuerkrankung schützt. Infektionskrankheiten treten in epidemischer (örtlich und zeitlich begrenzt, Epidemie), endemischer (Dauerverseuchung innerhalb eines geographischen Gebiets, Endemie) oder pandemischer (weltweit, Pandemie) Form auf.
Infektionskrankheiten stehen weltweit an erster Stelle der Todesursachen, gefolgt von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bösartigen Krankheiten (Krebs). 1995 wurden 17,3 Millionen Todesfälle durch die häufigsten Infektionskrankheiten akute Atemwegsinfektionen, Durchfall, Tuberkulose, Malaria, Hepatitis, AIDS und Masern verursacht. Das Phänomen der sich weltweit immer stärker ausbreitenden Infektionskrankheiten („emerging infections“) wird mit Besorgnis beobachtet und u.a. von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als alarmierend bezeichnet. Die Ursachen für die immer schnellere Ausbreitung historischer Seuchen (vor allem Diphtherie, Tuberkulose, Bilharziose [Schistosomiasis], Malaria), aber auch neuer Infektionskrankheiten sind vielfältig. Veränderungen im menschlichen Verhalten, Klimaerwärmung (Klimaänderungen), Bevölkerungswachstum (Bevölkerungsentwicklung) und die damit zunehmende Armut sowie Resistenzentwicklungen (Resistenz) von Krankheitserregern spielen dabei eine Rolle: Vermehrte Reisetätigkeit („global village“), Verstädterung (Urbanisierung) und Flüchtlingsproblematik tragen zu rascherer Ausbreitung von Infektionskrankheiten bei. Sexuell übertragbare Infektionskrankheiten (sog. STDs = sexually transmitted diseases, wie z.B. AIDS) haben stark zugenommen. 1993 waren in den USA doppelt so viele Geschlechtskrankheiten gemeldet (mehr als 12 Millionen) als 10 Jahre zuvor. Eine Mehrzahl von gefährlichen Krankheitserregern wird durch Vektoren wie Insekten oder Süßwasserschnecken übertragen, deren Verbreitungsmöglichkeiten um so besser sind, je feuchter und wärmer ihr Lebensraum ist. Bereits eine relativ geringe Erhöhung der Durchschnittstemperatur hätte erhebliche Auswirkung auf die Vermehrung von Vektoren und Parasiten. So benötigen z.B. Anopheles-Mücken – die Überträger von Malaria – für ihre Entwicklung zum blutsaugenden Insekt bei 20 °C fast 3 Wochen, bei 31 °C nur noch 7 Tage. Eine Klimaerwärmung dürfte die Ausbreitung vieler Infektionskrankheiten wie Malaria, Schistosomiasis, Leishmaniose, Gelbfieber, Schlafkrankheit oder Denguefieber begünstigen. Das Denguefieber z.B., früher nur in der pazifischen Küstenregion von Costa Rica bekannt, tritt inzwischen nach feuchten, heißen Jahren im ganzen Land auf, darüber hinaus auch in Lateinamerika, Texas, Indien, Nordaustralien. Nach Hitzeperioden 1994 kam es im indischen Staat Surat zu Fällen von Lungen-Pest, bei der 63 Menschen starben. Das weltweite Bevölkerungswachstum verursacht die Ghettoisierung eines wachsenden Bevölkerungsanteils, bei dem Armut zu mangelnder Kleider- und Körperhygiene beiträgt, was die Übertragung vor allem solcher Infektionskrankheiten fördert, die durch Läuse oder Zecken vermittelt werden. Das klassische Fleckfieber löste 1997 im Bürgerkrieg in Ruanda eine Epidemie mit mehr als 100.000 Erkrankten aus. Die steigende Bevölkerungszahl macht eine Ausweitung der Siedlungsräume und eine intensivierte Nutztierhaltung nötig und damit einhergehend die Schaffung künstlich bewässerter Flächen, von Dammbauten oder zusätzlichen Tränken – Brutstätten für Insekten, Schnecken und andere Krankheitsüberträger. In Argentinien z.B. führte die Umwandlung von Grasland in Ackerland (Maisanbau) zu einer starken Vermehrung von Feldmäusen, die das Junin-Virus (Arenaviren) beherbergen. Mangelernährung (Unterernährung, Mangelkrankheiten) erhöht die Anfälligkeit gegenüber Infektionskrankheiten und bietet Erregern vermutlich einen Selektionsvorteil. Klimaerwärmung und Bevölkerungswachstum verschärfen vielerorts den regionalen Wassermangel, die damit verbundene schlechte Trinkwasser-Hygiene und somit die Gefahr der Zunahme von Infektionskrankheiten. In Peru kam es 1991 nach extrem warmem Wetter zu einer Cholera-Epidemie mit einer halben Million Erkrankter.
Der zunehmende Verbrauch und Mißbrauch von Antibiotika führt zur Entwicklung resistenter Erregerstämme. Bakterien ändern ständig ihr Erbgut (Antibiotika-Resistenz, Multidrug-Resistenz, Resistenzfaktoren) und übernehmen Resistenzeigenschaften von anderen Organismen. So sind z.B. inzwischen 50–60% der Malariaerreger resistent gegen die Malariamittel Chloroquin (Resochin®), und auch gegen die neuen Medikamente Mefloquin (Lariam®) oder Atovaquon/Proguanil (Malarone®) bestehen bereits erste Resistenzen. Daneben sind an der zunehmenden Ausbreitung von Infektionskrankheiten Insektizidresistenzen von Vektoren beteiligt. Resistenzen und Multiresistenzen sind auch Gründe für die Zunahme von Nosokomialinfektionen (Hospitalismus) z.B. durch Pseudomonaden (Pseudomonas), Staphylokokken (Staphylococcus), Pneumokokken (Streptococcus), Enterobakterien (Darmbakterien) und Pilze. In Deutschland kommt es jährlich zu etwa 1 Million Krankenhaus-Infektionskrankheiten, etwa 40.000 davon verlaufen tödlich. Nicht nur Staphylokokken, auch neue Keime wie Actinomyceten verursachen heute weitaus mehr Nosokomialinfektionen als früher. Staphylokokken sind weltweit inzwischen zu mehr als 80% resistent gegen Antibiotika. Wichtig zur Bekämpfung von Nosokomialinfektionen sind die schnelle Identifikation von resistenten Keimen, ein strenges Hygienemanagement im Krankenhaus sowie die Aus- und Weiterbildung des Personals in klinischer Infektiologie.
Mutation, Gentransfer (Genübertragung) undSelektion führen zur Entstehung von Antigen- und Virulenzvarianten (Antigenshift, Antigenvariation), z.B. EHEC-Bakterien (enterohämorrhagische E.coli-Stämme; EHEC), toxic shock toxine (septischer Schock) bildende Staphylokokken und Streptokokken. Vor allem miteinander verwandte Keime können stark variieren, wie z.B. Rickettsien. Besonders Influenzaviren vom Typ A sind sehr instabil und mutieren schnell, wodurch weltweit neue, gefährliche Stämme entstehen und neue Grippewellen (Grippe) ausgelöst werden. Bei vielen anderen Krankheitserregern zeigt sich dagegen eine Entwicklung zur „Harmlosigkeit“ – möglicherweise als „Strategie“ der Erreger, das eigene Überleben zu sichern. So hat sich z.B. in Gebieten mit verbesserter Trinkwasserhygiene eine ungefährlichere Variante des Choleraerregers (Vibrio cholerae El Tor) ausgebreitet, die selten tödlich wirkt.
Etliche neue Krankheitserreger stammen von Wildtieren (z.B. HIV, Ebola-Virus, Lassa-Virus [Arenaviren] oder West-Nil-Virus), umgekehrt infizieren sich aber auch Wildtiere bei Mensch und Haustier mit für sie neuen Erregern. Ursachen für die Zunahme solcher Infektionen von Wildtieren sind die Nutzung bisher unbesiedelter Gebiete durch den Menschen, aber auch der weltweite Transport von Haustieren und Nahrungsmitteln (Einführung, Verschleppung). So wurden im 19. Jahrhundert kenianische Büffel durch von europäischen Kühen stammende Rinderpest fast ausgerottet (Ausrottung), und in der Serengeti starb der Afrikanische Wildhund (Hyänenhund) durch Tollwut und Staupe des Haushundes aus. Bei Wildtieren werden deshalb heute sogar teilweise Impfungen durchgeführt (mancherorts werden Gorillas gegen Masern und Schimpansen gegen Kinderlähmung geimpft). Eine Stärkung der veterinärmedizinischen Überwachung und des Informationsaustausches könnte hier die Übertragung von Erregern vermeiden bzw. vermindern. – Welche dramatischen Auswirkungen die „modernen“ Methoden der Tier-Ernährung, Tierhaltung (Massentierhaltung) und zum Teil europaweiten Tiertransporte haben können, zeigen z.B. die seit 2000/2001 in besorgniserregender Weise in mehreren europäischen Ländern zunehmenden Fälle von BSE und der Maul- und Klauenseuche.
Durch verbesserte diagnostische und molekularbiologische Methoden sind in den letzten 25 Jahren mehr als 20 neue oder bis dahin nicht identifizierte Erreger beschrieben und charakterisiert worden (z.B. Helicobacter pylori, Borrelia burgdorferi, Legionella pneumophila [Legionellaceae], Hantavirus [Bunyaviren], HIV). Durch verbesserte Diagnostik wurde erst vor kurzem eine völlig neue Klasse infektiöser Krankheitserreger entdeckt: die aus reinem Protein bestehenden Prionen (Bovine Spongiforme Encephalopathie, Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung). Durch verbesserte Diagnosemöglichkeiten sind bei den Hepatitisviren inzwischen 6 „Varianten“ bekannt geworden, bei den Warzenviren (Papillomviren) sogar ca. 80. Die Ätiologie vieler ungeklärter Krankheitsbilder konnte in den vergangenen Jahren auf Infektionserreger zurückgeführt werden, oder es werden Zusammenhänge vermutet (z.B. AIDS, Legionärskrankheit, Lyme-Borreliose, Helicobacter-Erkrankung; Sarkoidose durch atypische Mykobakterien, Arteriosklerose durch Chlamydia pneumoniae [Chlamydien], Depressionen durch Bornaviren [Bornavirus]). Möglicherweise spielen bei vielen Autoimmunkrankheiten wie Rheumatismus, Colitis ulcerosa oder bestimmten Diabetesformen (Diabetes) solche Infektionserreger eine Rolle, die mit Hilfe von dem Wirtsorganismus ähnlichen Oberflächenmolekülen (molekulare Mimikry) das Immunsystem dazu „verleiten“ könnten, auch körpereigenes Gewebe anzugreifen.
Zum Schutz vor Infektionskrankheiten wird heute das Hauptaugenmerk auf die sekundäre Prävention gelegt: auf die weltweite Überwachung zur frühen Erkennung von Krankheitsausbrüchen und zur Identifikation von Erregern. Viele Infektionskrankheiten der Subtropen/Tropen könnten durch gründliche Prophylaxe und Nachsorge bei Fernreisen verhindert werden (in Deutschland wurden 1997 880 Malariafälle gemeldet). Dabei erscheinen sorgfältig erhobene Reiseanamnesen wegen der Vielzahl der Erreger und zur leichteren Abgrenzung gegenüber anderen Infektionskrankheiten besonders wichtig. Die primäre Prävention gilt der Ursachenbekämpfung: vor allem der Entwicklung von Impfstoffen, aber auch dem besonnenen Umgang mit Antibiotika, der Schaffung einer soliden Infrastruktur im öffentlichen Gesundheitswesen und der Linderung von Armut, welche die Ausbreitung von Infektionskrankheiten fördert.
Schutzimpfungen (aktive Immunisierung) gehören zu den wirksamsten präventiven Maßnahmen; sie bannten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Gefahr durch viele Erreger. Bei Erreichen hoher Durchimpfungsraten ist es möglich, einzelne Infektionskrankheiten regional zu eliminieren oder gar weltweit auszurotten , wie z.B. die Pocken. Es liegen in Deutschland Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) vor, in denen auf die Wichtigkeit der Aufgabe des Arztes hingewiesen wird, für ausreichenden Impfschutz der von ihm betreuten Patienten zu sorgen. Zur Zeit liegt die Bundesepublik Deutschland bei den Impfraten im internationalen Vergleich weit zurück. Noch immer gibt es hierzulande jährlich 50.000–100.000 Masern-Erkrankungen, obwohl ein Dreifachimpfstoff (Masern–Mumps–Röteln) zur Verfügung steht. Auch waren lediglich ein Drittel der besonders gefährdeten Personen (chronisch Kranke, Personen über 60 Jahre und solche mit beruflichem Ansteckungsrisiko) im Winter 1998 gegen Influenza geimpft (für den Winter 1998 gab die Arbeitsgemeinschaft Influenza 15.000 Todesfälle an). Gentechnische Verfahren (Gentechnologie, genetische Impfung) ermöglichen die Entwicklung neuer Impfstoffe, darunter auch solcher, die vor Gebärmutterhalskrebs auslösenden Papillomviren schützen können.
Biologische Voraussetzungen für die Ausrottung einer Infektionskrankheit sind: a) der Erreger darf kein Tierreservoir haben und weder im Wasser noch im Boden vorkommen, daher sind z.B. Wundstarrkrampf (Boden), Cholera (Wasser) oder Gelbfieber (Affen) kaum ausrottbar; b) der Erreger darf nach der Genesung eines Patienten nicht im Körper persistieren wie Tuberkelbazillen (Mykobakterien) oder das Varizellen-Zoster-Virus; c) der Erreger soll genetisch stabil sein, da es gegen häufig mutierende Erreger wie Influenza- oder AIDS-Viren keine sichere Impfung geben kann; d) die Infektionskrankheit soll leicht erkennbar sein; e) es werden lebenslang wirksame, haltbare und überall verwendbare Impfstoffe (wie die tropenfesten Pockenvakzine) benötigt; f) wirksame Medikamente müssen vorhanden sein. Zu den organisatorischen und epidemiologischen Voraussetzungen einer Ausrottungskampagne gehört, daß Übertragungswege bekannt und Überwachungsprogramme effektiv sind, daß keine Kriege oder sozialen Unruhen herrschen, Politiker und die Bevölkerung motiviert sind sowie die Organisation und Finanzierung von Impfprogrammen gesichert sind. Ausrottungskampagnen verlaufen in mehreren Stufen: 1) starke Eindämmung einer Infektionskrankheit, 2) Eliminierung (nur noch einzelne Krankheitsfälle) in einem Land oder einer Region, 3) Extinktion (einschließlich der Vernichtung der letzten Erreger in Forschungslaboratorien). Eine gelungene Ausrottungskampagne war diejenige gegen die Pocken – sie konnten 1980 von der WHO als ausgerottet erklärt werden, seit 1977 gab es (bis 1980) weltweit keinen Erkrankungsfall mehr; in 2 Forschungslabors in den USA und Rußland existieren zur Zeit noch Erreger (Pockenviren). Dagegen sind die bisherigen Bemühungen gescheitert, die Malaria auszurotten. Eine 1953 von der WHO begonnene Ausrottungskampagne versagte auch infolge der Resistenz der Anopheles-Mücke gegen DDT® und der Malariaerreger gegenüber üblichen Medikamenten. Das Zieljahr für die Ausrottung der Masern ist 2010 – dazu ist eine Impfrate von nahezu 100% erforderlich. 1995 verzeichnete die WHO weltweit noch 42 Millionen Masernfälle, 1 Million Kinder starben, und 5,6 Millionen Erkrankte behielten Dauerschäden. Kinderlähmung (Poliomyelitis) sollte nach Angaben der WHO bis 2000 ausgerottet sein; in Nord- und Südamerika ist diese Krankheit bereits seit vielen Jahren eliminiert, Herde gibt es noch in Europa und Afrika.
In Deutschland werden die Meldevorschriften für Infektionskrankheiten zukünftig durch das „Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG)“ geregelt, das am 1.1.2001 in Kraft getreten ist und das Bundes-Seuchengesetz (BSeuchG) abgelöst hat. In den gesetzlichen Vorschriften ist u.a. festgelegt, welche Infektionskrankheiten bereits bei Krankheitsverdacht, bei Erkrankung und/oder bei Tod eines Patienten zu melden sind. Zur Verbesserung der Meldemoral sowie als Rückmeldung für Ärzte und zur frühzeitigen Erkennung kleinerer Epidemien existieren inzwischen auch verschiedene, ständig aktualisierte Informationssysteme im Internet. – Einige klinische Aspekte: Von der immensen Zahl der Bakterienarten sind nur wenige zur Infektion befähigt. Das Vorhandensein von Erregern im Wirt (Mensch) stellt im klinischen Sinne noch keine Infektionskrankheit dar. Das Ausmaß der Pathogenität (Virulenz) hängt von der Invasivität des Keims und von Wirtsfaktoren ab. Zur Diagnostik gehört u.a. der Nachweis des Krankheitserregers. Typische Beispiele: Abstrich Tonsillen (Streptokokken/Tonsillitis); Anzüchtung aus dem Blut (Streptococcus viridans/Endocarditis lenta); Mikroskopie: Urin (Escherichia coli/Cystitis), Liquor (Meningokokken/Meningitis), Sputum (Tuberkelbacillen/Tuberkulose), Stuhl (Amöben/Amöbenruhr). Die antibakterielle Chemotherapie strebt eine Erregerisolierung mit Antibiogramm an. Die in großer Vielfalt eingesetzten Substanzen töten den Keim entweder ab (Bakterizide) oder hemmen dessen Vermehrung (Bakteriostatika). Die wenigen Virostatika hemmen durch „falsche Bausteine“ – Nucleosidanaloga – die virusspezifische DNA-Replikation. – Bedeutende Beiträge zur Erforschung bzw. Bekämpfung von Infektionskrankheiten leisteten u.a. B.L.F. Bang, E.A. von Behring, A.M. Besredka, T.M. Bilharz, A. Blaschko, H. Brehmer, D. Bruce, F. Burnet, A.L.C. Calmette, E.B. Chain, A. Döderlein, G.J.B. Domagk, K.J. Eberth, P. Ehrlich, C. Eijkman, J.F. Enders, M.A. Epstein, N.R. Finsen, A. Fleming, C. Flügge, G. Fracastoro, G.T.A. Gaffky, R.C. Gallo, C. Golgi, G.B. Grassi, W.M.W. Haffkine, G.H.A. Hansen, S. Hata, E.L. Heim, F.G.J. Henle, O.J.L. Heubner, E. Hoffmann, C.W. von Hufeland, J. Hunter, E. Jenner, W. Kikuth, S. Kitasato, E. Klebs, H.H.R. Koch, C.L.A. Laveran, R.K.G.F. Leuckart, J. Lister, F.A.J. Löffler, K.O. Medin, I.I. Metschnikow, L. Montagnier, A. Negri, A.L.S. Neisser, B. Nocht, H. Noguchi, Paracelsus, L. Pasteur, E. Pfeiffer, C. von Pirquet, E.J. Reichenow, Rhazes, C.R. Richet, H.T. Ricketts, P. Ricord, R. Ross, P.P.É. Roux, M.A. Ruffer, H. Sachs, F.R. Schaudinn, P. Uhlenhuth, R. Virchow, J. Wagner von Jauregg, S.A. Waksman, A.P. von Wassermann, R.B. Woodward, A.J.É. Yersin. – Bakteriologie, Chemotherapie, Geschlechtskrankheiten, Immunisierung, Inkubationszeit, Medizin (Kleindruck und Tab.), Mikrobiologie, Parasitismus, Tropenkrankheiten, Viruskrankheiten.
Lit.:Bauernfeind, A. (Hrsg.): Lexikon der Mikrobiologie und der Infektiologie. Stuttgart 21995. Brandis, H., Eggers, H.J., Köhler, W., Pulverer, G. (Hrsg.): Lehrbuch der medizinischen Mikrobiologie. Stuttgart 71994. Garrett, L.: Die kommenden Plagen. Neue Krankheiten in einer gefährdeten Welt. Frankfurt 1996. Hahn, H. (Hrsg.): Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie. Heidelberg 42001. Heesemann, J., Hacker, J. (Hrsg.): Molekulare Infektionsbiologie. Heidelberg 2000. Marre, R.: Klinische Infektiologie. München 2000. Reinhardt, B.: Steckbriefe seltener und „importierter“ Infektionserreger. Berlin 1998.
Infektionskrankheiten
Stadien einer Infektionskrankheit
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