Lexikon der Biologie: Massentierhaltung
Massentierhaltung, Intensivhaltung, Intensivtierhaltung, in der heutigen Landwirtschaftssprache (Landwirtschaft) selten gebrauchte Bezeichnung für die Haltung einer großen Anzahl von Nutztieren (z.B. Schweine, Hühner [Haushuhn], Rinder) gleicher Art auf begrenztem Raum zugunsten rationeller Produktion von z.B. Fleisch, Eiern (Hühnerei), Milch. I.w.S. kann auch ein Großteil der seit den 1970er Jahren stark zunehmenden Aquakulturen (Fischzucht, Meereswirtschaft, Teichwirtschaft) zur Massentierhaltung gerechnet werden. Charakteristisch für die Massentierhaltung sind ein möglichst geringer Einsatz von Arbeitskräften zur Versorgung und Fütterung der Tiere bzw. der Einsatz kostensparender maschineller Einrichtungen, die diese Arbeiten ausführen, sowie produktionsfördernde Maßnahmen (z.B. automatische Stallklimakontrollen, Masthilfsmittel). Im Gegenzug werden die arteigenen Bedürfnisse der Tiere meist stark vernachlässigt. Die Massentierhaltung provoziert in zunehmendem Maße – und nicht nur durch die in den letzten Jahren durch das Auftreten von BSE (Bovine Spongiforme Encephalopathie) und Maul- und Klauenseuche in das Bewußtsein der breiten Bevölkerung getretenen negativen Auswirkungen dieser Tierhaltung – eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit dem Thema, sowohl aus ethischer, tierschutzrechtlicher, ökologischer als auch medizinischer (Medizin, Veterinärmedizin) und lebensmittelrechtlicher Perspektive. – In Deutschland werden viele Millionen Tiere landwirtschaftlich gehalten ( vgl. Tab. 1 ). Die Begriffe Massentierhaltung und Intensivtierhaltung werden meist synonym gebraucht, doch transportiert der Begriff Massentierhaltung stärker den Tatbestand hoher Tierbestände pro Betrieb und der Begriff Intensivtierhaltung die wirtschaftlich orientierte Tierhaltung mit hohen Besatzdichten und hoher Mechanisierung. In den letzten Jahrzehnten hat die Anzahl vieler landwirtschaftlich genutzter Tiere pro Betrieb rasant zugenommen, insbesondere im Bereich der Geflügelhaltung ( vgl. Abb. ). Bei gleichzeitiger Zunahme der Betriebsgröße ist eine Abnahme der Anzahl der Betriebe zu verzeichnen. Nach dem Prinzip des „Wachsen oder Weichen“ hat ein dramatisches Höfesterben eingesetzt ( vgl. Tab. 2 ). – Im Hinblick auf den Tierschutz spielt vor allem die Art und Weise, wie die Tiere gehalten werden, und damit der Platz pro Einzeltier eine wesentliche Rolle. Die Anzahl der Tiere pro Betrieb ist deshalb aber nicht unwichtig. Denn bei zu großen Gruppen (Tiergesellschaft) – z.B. bei Geflügel – kann sich keine stabile Rangordnung (Hackordnung) bilden, und mit immer neuen Rangordnungskämpfen (Aggression, Kampfverhalten) entsteht Streß (Dichtestreß) bei den Tieren. Weiterhin ist bei großen Gruppen eine effektive Gesundheitskontrolle des Einzeltieres und damit eine entsprechende (tierärztliche) Behandlung der Tiere sehr schwierig. Um die Produktionskosten der landwirtschaftlichen Tierhaltung gering zu halten, sind neben der Spezialisierung und Vergrößerung der Tierbestände neuzeitliche Haltungssysteme eingeführt worden, die weitgehend auf eingestreute Liege- und Laufflächen verzichten. Die Tiere werden auf engstem Raum und in reizarmer Umgebung gehalten, in Käfigen (Batteriehaltung; Legehennen, Kaninchen), in Ställen ohne Tageslicht (Puten, Masthühner), in Anbindehaltung (Milchkühe) oder einzeln in Kastenständen (Sauen). In solchen Haltungssystemen sind die Tiere in ihrer Bewegungsmöglichkeit erheblich eingeschränkt, zum Teil können sie sich nicht einmal umdrehen. Wegen der Enge und der strukturlosen Umgebung können die Tiere einen Großteil ihres arteigenen Verhaltens wie Bewegung (Fortbewegung), Ruhen, Futteraufnahme, Erkundungsverhalten, Komfortverhalten oder Sozialverhalten (z.B. allogrooming, grooming, soziale Körperpflege) nicht ausleben. Erzwungenes Nichtverhalten führt zu Streß und Frustrationen. Dies äußert sich wiederum in Verhaltensstörungen wie Aggressivität, Ängstlichkeit (Angst), Stereotypien (Bewegungsstereotypie) sowie Kannibalismus. Der Bewegungsmangel und die einstreulosen Gitter-, Spalten- oder betonierten Böden führen in der Praxis zudem zu schmerzhaften Veränderungen des Bewegungsapparats, Klauen- oder Fußballenentzündungen und Hautgeschwüren. Nicht zuletzt wirken sich artwidrige Haltungssysteme und hohe Besatzdichten negativ auf den Gesundheitszustand aus, in gleichem Maße nehmen der Infektionsdruck (Infektionskrankheiten) und die Krankheitsanfälligkeit der Tiere zu. – Damit sich die Tiere gegenseitig nicht verletzen, und um letztendlich wirtschaftlichen Ausfällen vorzubeugen, kürzt man Legehennen und Puten prophylaktisch die Schnäbel, Ferkeln die Zähne und Schwänze oder entfernt Rindern die Hörner. Die Tiere leiden aufgrund dieser Eingriffe nicht nur an akuten, zum Teil chronischen Schmerzen und Sekundärinfektionen, sie werden auch erheblich in ihrem Verhalten eingeschränkt. Schnabelkupierte Puten z.B. können unter Umständen Nahrung nicht mehr pickend, sondern nur noch schaufelnd zu sich nehmen (Nahrungserwerb). Bei Schweinen ist das Sozialverhalten eingeschränkt, weil der Schwanz ein wichtiges Kommunikationsorgan (nonverbale Kommunikation) ist. Eine Lösung im Sinne des Tierschutzes stellen diese Manipulationen nicht dar, da die Ursachen, nämlich die artungerechten Haltungssysteme, völlig unberührt bleiben. Ebenso symptomatisch werden Krankheiten der Tiere bekämpft. Da hohe Tierzahlen und Besatzdichten die Krankheitsanfälligkeit und -verbreitung fördern, werden die Tiere prophylaktisch geimpft (aktive Immunisierung) und mit Medikamenten behandelt. Solche Maßnahmen belasten den Körper der Tiere und, je nach Medikament bzw. Abbaumöglichkeiten im Tier, auch den Verbraucher unnötig. – Im Sinne einer maximalen Produktionssteigerung erbringen Tiere durch „optimierte“ Zuchtverfahren (Tierzüchtung) zum Teil „unphysiologisch“ hohe Leistungen ( vgl. Infobox 1 ), die der Körper der Tiere meist nur kurze Zeit aufrechterhalten kann, so daß die Tiere häufig nach Abfallen der Leistung geschlachtet werden. Fütterung und Medikamentierung stehen ebenfalls im Dienste der Leistungssteigerung. Ungeachtet der Physiologie der Tiere werden sie mit energiereichem Kraft-Futter und mit leistungsfördernden Antibiotika (Futtermittelzusatzstoffe, Ergotropika) gefüttert; unangenehmer Begleiteffekt ist u.a. die Entstehung von Antibiotika-Resistenzen und zwar nicht nur beim Tier selbst, sondern auch beim Verbraucher. Bis 1988 war es erlaubt, Hormone in der Tiermast einzusetzen, aus Verbraucherschutzgründen wurde dies in der EU verboten, ebenso der Import von Tieren (bzw. deren Produkte), die eine Hormonbehandlung erhielten (z.B. aus Südafrika, Amerika). Auch die seit jeher umstrittene Fütterung mit Tiermehlen an pflanzenfressende Rinder ist erst Ende 2000 EU-weit verboten worden, nachdem BSE-Fälle auch in Deutschland aufgetreten sind. Die Fischmehl-Verfütterung ist hiervon jedoch ausgenommen und EU-weit, trotz zum Teil hoher Dioxin-Belastungen (Dioxine), an Geflügel, Schweine und Fische erlaubt. – Ein häufig und seit längerer Zeit von der Öffentlichkeit gefordertes Verbot von Langzeit-Tiertransporten – meist zu weit entfernten Schlachthöfen – ist erst durch den massiven Ausbruch der Maul- und Klauenseuche (2000/2001) zum Gegenstand politischen Handelns geworden: Langzeit-Tiertransporte sind in Deutschland und der EU kurzfristig eingeschränkt worden. – So wie die Massentierhaltung, erfolgt auch die Schlachtung der Tiere nach den Regeln der modernen Marktwirtschaft und somit nach einer kosteneffizienten, meist automatisierten Vorgehensweise. Vor der Tötung müssen die Tiere betäubt werden. Die Betäubung der Tiere ist häufig automatisiert, und in vielen Fällen ist eine hohe Fehlbetäubungsrate zu verzeichnen. Besonders eklatant und bekannt sind die vollautomatischen Geflügelschlachtanlagen. – Die Massentierhaltung ist unter dem Gesichtspunkt des Tierschutzes kaum tragbar. Auch Tiere in der Landwirtschaft unterstehen in Deutschland dem Schutz durch das Tierschutzgesetz. Darin ist festgelegt, daß Tiere ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechend verhaltensgerecht untergebracht werden müssen. Im Juli 1999 ist die Deutsche Legehennenhaltungsverordnung durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes für nichtig erklärt worden ( vgl. Infobox 2 ). – Um die Massentierhaltung in der heute meist praktizierten Form abzuschaffen, bedarf es einer aktiven Mitwirkung der Öffentlichkeit durch die Unterstützung entsprechender regulierender Gesetzgebungen sowie durch den Verbrauch von Nutztier-schonenden Produkten. Letzteres kann durch eine Produktkennzeichnung mit gesetzlich festgelegten Zertifikaten und einer entsprechenden Überprüfung der Zertifikat-Vergabe erleichtert werden. Artenschutz, Bioethik, Deprivationssyndrom, Düngung, Gülle, Gefangenschaftsstörung, kognitive Ethologie, Konfliktverhalten, Naturschutz, Nutztierethologie; Konfliktverhalten .
I.D./D.F.
Massentierhaltung
Durchschnittlicher Tierbestand pro Halter in Deutschland (Quelle: Agrimente, 1998, IMA und ZMP [Hrsg.])
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.