Lexikon der Biologie: genetische Impfung
genetische Impfung, DNA-Vakzinierung, DNA-Immunisierung, Gen-Vakzinierung, genetische Immunisierung, Immunisierung mit Genen, genetic immunization, Methode, um einen Organismus gegen ein Antigen zu immunisieren (Immunisierung), wobei nicht ein Protein oder Peptid, sondern die genetische Information (Desoxyribonucleinsäuren, Ribonucleinsäuren) als Vakzine eingesetzt wird. Meist wird die cDNA des Zielantigens in ein eukaryotisches Expressions-Plasmid (shuttle-Vektor) kloniert und mit einem Promotor ausgestattet, der eine starke Expression der cDNA in den Zellen des immunisierten Organismus ermöglicht. Aufgedeckt wurde die Möglichkeit der genetischen Immunisierung, als Versuchstiere, denen Plasmid-DNA mit der genetischen Information für das Zielantigen intramuskulär injiziert worden war, antigenspezifische Antikörper und eine spezifische zelluläre Immunantwort (zellvermittelte Immunität, T-Lymphocyten) bildeten. Dies bedeutete, daß Zellen der immunisierten Tiere die DNA aufgenommen sowie das Protein produziert hatten und dadurch eine Immunantwort induziert worden war.
Für die genetische Impfung kann die DNA auf unterschiedliche Weise verabreicht werden: 1) intramuskuläre oder intradermale Injektion „nackter“ Plasmid-DNA; 2) Partikelkanone („gene gun“): die DNA wird z.B. an kleinste Goldpartikel gebunden und mit Druck in die Haut geschossen; 3) die DNA wird in Liposomen verpackt und über die Schleimhäute des Nasen-/Rachen-Raums bzw. der Bronchien aufgenommen; 4) Verpackung der DNA in abgeschwächte Viren (Vacciniaviren [Pockenviren], Adenoviren); 5) orale Applikation von abgeschwächten, apathogenen Bakterien (z.B. Salmonella, Listeria), die mit der cDNA für das Zielantigen transformiert worden sind und die von Phagocyten (dendritische Zellen, Langerhans-Zellen, Makrophagen, neutrophile Granulocyten) aufgenommen werden. Durch Einbringen von cDNA in Antigen-präsentierende Zellen des zu immunisierenden Organismus werden diese in vivo transfiziert und stellen ein Antigenreservoir dar, das eine langanhaltende Immunantwort induzieren kann.
Mögliche Mechanismen der Induktion einer Immunantwort bei der genetischen Impfung sind: a) Gewebsresidente Antigen-präsentierende Zellen nehmen die DNA auf, produzieren das Protein, spalten es in Peptide und präsentieren diese auf MHC-I- bzw. MHC-II-Molekülen (Histokompatibilitäts-Antigene, immunologisches Gedächtnis). b) Zellen des Gewebes, in das die cDNA eingebracht worden ist (z.B. Muskel oder Haut), nehmen die DNA auf und produzieren das Protein. Gelangt das Antigen aus den Zellen, kann es von Antigen-präsentierende Zellen aufgenommen, prozessiert (Prozessierung) und auf MHC-Molekülen präsentiert werden. Muskelzellen können durch die Präsentation von Peptiden des Antigens auf MHC-I-Molekülen keine effektive Immunantwort induzieren, da sie keine costimulatorischen Moleküle (Costimulation) exprimieren (Immunantwort). Abgeschwächte Salmonellen wandern nach oraler Applikation durch das Darmepithel vor allem in die Peyerschen Plaques ein, wo sie von Phagocyten aufgenommen werden. Aufgrund ihrer Mutation können die Salmonellen nicht in den Phagocyten persistieren und werden abgebaut. Auf diese Weise wird die cDNA des Antigens für die Phagocyten zugänglich, die daraufhin das Antigen produzieren und eine Immunantwort induzieren können. Der Vorteil der Verwendung von cDNA als Vakzine anstelle des entsprechenden Proteins, für das sie codiert, ist zum einen, daß Nucleinsäuremoleküle weniger empfindlich und einfacher zu handhaben sind, und zum anderen können sie leicht modifiziert werden, d.h., ihre Sequenz kann verändert oder an die Sequenz eines zweiten Moleküls fusioniert werden. Durch zusätzliche cDNA-Applikation von Cytokinen oder Wachstumsfaktoren läßt sich die Immunantwort modulieren und verstärken. Daneben haben sich bestimmte Sequenzen bakterieller DNA (CpG-Motive) als potentes Adjuvans erwiesen. Zusätzlich entfällt die oft aufwendige und kostenintensive Reinigung der Proteine. Ein Risikofaktor bei der genetischen Impfung ist allerdings die Möglichkeit, daß die eingebrachte Plasmid-DNA in das Genom der Zellen integrieren kann und auf diese Weise Gene zerstören oder die kontrollierte Genexpression innerhalb einer Zelle stören könnte, so daß unkontrolliertes Wachstum der Zelle resultieren würde. Dieses Risiko könnte durch Verwendung optimierter Plasmide verringert werden. Eine andere Möglichkeit ist der Einsatz von mRNA (messenger-RNA) statt cDNA. Hier besteht das Problem der möglichen Integration in das Genom nicht. Die genetische Impfung stellt damit ein aussichtsreiches, potentiell therapeutisches Instrument für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten (z.B. AIDS, Hepatitis, Malaria, Grippe) und die Immuntherapie von Tumoren (Immun-Krebstherapie) dar.
R.We.
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