Lexikon der Biologie: immunologisches Gedächtnis
immunologisches Gedächtnis, Bezeichnung für die Tatsache, daß das Immunsystem bei einem erneuten Kontakt mit einem Antigen stärker und schneller auf das Antigen reagiert als beim Erstkontakt. Als Erklärung des immunologischen Gedächtnisses werden im allgemeinen 2 Möglichkeiten diskutiert: entweder das Antigen bleibt nach einer Immunantwort lange genug im Organismus, um einen dauernden Stimulus darzustellen, oder es existieren langlebige Gedächtniszellen, die bei einem erneuten Kontakt mit „ihrem“ Antigen zu Effektorzellen werden. Vermutlich gibt es keine einheitliche Erklärung für alle Antigene. Es ist bekannt, daß Impfungen gegen manche Pathogene nur ein Mal während eines Lebens erforderlich sind, während gegen andere Pathogene Auffrischungsimpfungen notwendig sind. Zumindest in seiner „Länge“ unterscheidet sich also das immunologische Gedächtnis für verschiedene Antigene. Durch moderne genetische und zellbiologische Techniken konnte in letzter Zeit die Existenz langlebiger cytotoxischer T-Lymphocyten (CTL) belegt werden, die noch Jahre nach dem Erstkontakt nachweisbar sind. Ähnliche Experimente weisen darauf hin, daß auch andere Antigen-spezifische Lymphocytentypen wie z.B. CD4-positive T-Lymphocyten, reife B-Lymphocyten und sogar Plasmazellen jahrelang im Organismus überdauern. Für das kürzere immunologische Gedächtnis scheint die Persistenz des Antigens in den Lymphknoten wichtig zu sein (Affinitätsreifung). Dort ist das Antigen in den Follikeln durch die follikulären dendritischen Zellen in Form von Antigen-Antikörper-Komplexen (Immunkomplex) gebunden. Antigen wird langsam aus den Komplexen freigegeben und bildet so einen dauernden Stimulus für das Immunsystem. In mehreren adoptiven Transfer-Experimenten (adoptiver Transfer) gelang es nur dann, das immunologische Gedächtnis zwischen verschiedenen Tieren zu übertragen, wenn auch das Antigen mitinjiziert wurde. Verschiedene Erklärungen sind für die Existenz des längeren immunologischen Gedächtnisses herangezogen worden. Besonders der spezielle Mechanismus der Antigen-Präsentation während einer Stimulierung von T-Zellen spielt dabei eine Rolle: auf den MHC-Molekülen (Histokompatibilitäts-Antigene) der Klasse I werden den T-Zellen Antigenfragmente präsentiert, die sie zur Teilung anregen. Insbesondere die geringe Spezifität der MHC-Moleküle könnte dazu führen, daß nicht nur Fragmente des ursprünglichen Antigens präsentiert und erkannt werden, sondern auch Antigenfragmente, die keine direkte Sequenzhomologie aufweisen. In der Tat kann im Experiment eine Immunantwort gegen ein bestimmtes Virus (Virusinfektion) durch die Immunisierung mit einem anderen Virus hervorgerufen werden, obwohl die beiden Viren immunologisch (also auf der Ebene der Antikörper) nicht miteinander kreuzreagieren. Die Kreuzreaktion ist also stärker ausgeprägt auf der Ebene der Fragmente der beiden Viren, die dem Immunsystem präsentiert werden, weil die Auswahlkriterien der MHC-Moleküle für diese Fragmente nicht so selektiv sind und weil die T-Zellen weniger selektiv für diese Antigenfragmente sind. Darüber hinaus können T-Gedächtniszellen mit B-Zellen direkt und deshalb mit seltenen Antigenen reagieren, weil diese durch das Immunoglobulin der B-Zellen gleichsam „gesammelt“ und auf der Oberfläche der B-Zellen präsentiert werden. Das immunologische Gedächtnis ist nach dieser Theorie also eher eine dynamische Eigenschaft des Immunsystems, das dauernd auf Antigene der Umwelt reagiert und so seine Erinnerung an frühere Antigene behält, weil die Umweltantigene für die T-Zellen den früheren Antigenen ähnlich genug sind, um weiterhin einen Stimulus zu liefern. adaptive Immunität.
U.T./O.L.
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